Das Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Der Keller im Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Bild: Ralph Feiner

Architektur

Ein schönes Haus für den guten Wein

Der Architekturkritiker Köbi Gantenbein führt durch das neue Weingut Obrecht in Jenins und feiert dabei die Zusammenkunft von kluger, schöner Architektur und der Herstellung edler Tropfen. Zudem liefert er gleich noch einen kleinen Führer durch sehenswerte Weinbau-Architektur in der ganzen Schweiz.

Von Köbi Gantenbein

Jenins, 03.05.2023

8 min

Seit 1840 wirkt im Weingut «Sonne» in Jenins die Familie Obrecht. Lange spielte der Wein eine bescheidene Rolle im Vielfaltsbetrieb, in dem auch Kühe, Schweine und Hühner lebten und Getreide wuchs. In den Sechzigerjahren konzentrierten sich Christian und Elsbeth Obrecht auf den An- und Ausbau von Wein, probierten neue Sorten und neue Sitten, wie den Ausbau des Burgundersaftes im Eichenfass.

In fünfter Generation haben 2006 ein weiterer Christian und seine Frau Francisca die «Sonne» übernommen. Sie zogen Trauben auf den gut sieben Hektar Weinberg auf, nach und nach entlang den Gedanken von «Demeter», dem strengsten Verfahren des biologischen Landwirtschaftens. Sie verfeinerten die Weine – ihren Blauburgunder «Troccla Nera» mag ich am besten – sie pflegen aber auch die weisse Uraltsorte «Completer» oder einen Schaumwein. Und sie besiegeln nun den Erfolg und die Zuversicht ihres Weingutes mit einem Neubau der Kellerei.

Das Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Das Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Bild: Ralph Feiner

Sie wählten dafür den umgekehrten Weg als unter Bauern üblich, die ihren Stall als Bauplatz für Wohnungen verkaufen und ausserhalb des Dorfes einen grossen Neubau aufstellen. Anstatt freies Feld zu zersiedeln, setzten sie ihren Torkel als Nachbar zum Wohnhaus. Nebst dem Willen war dazu freilich der Zonenplan wichtig; ihr Grossvater schon hatte die weite Wiese vor dem Hof auszonen lassen. Denn so gut rentiert selbst der Wein nicht, dass er in der Bauzone gekeltert werden könnte. 

Drei aufgespannte Flügel

Die Architekten Valentin Bearth, Andrea Deplazes und Daniel Ladner aus Chur gaben der «Sonne» einen grosszügigen, behüteten Platz als neue Mitte, aufgespannt zwischen Wohnhaus der Familie und der neuen Kellerei. Drei Flügel ausbreitend tragen filigrane Stahlstützen drei Dächer. In diese luftige Konstruktion mit dem Charme der Bricolage sind drei grosse, längliche, sechseckige Blechkästen mit viel Glas eingeschoben – einer fürs Büro, eine Küche und zwei Kammern.

Die zweite Kiste, im stumpfen Winkel zur ersten und geöffnet gegen den Hof, ist ein lichtdurchfluteter Raum fürs Zusammensitzen, Essen und Weintrinken von Frühling bis Herbst – im Winter ruhen hier die Orangen- und Zitronenbäume.
Im dritten Flügel, wieder in einem stumpfen Winkel abgesetzt vom Mittelhaus, sind die Maschinen abgestellt. So ein elektrisch angetriebener Traktor, den Christian Obrecht eigenhändig von Diesel auf Strom umgebaut hat.

Er mindert so mit dem Sonnenstrom im Traktor den Preis des biologischen Weinbaus, der für seine vielen Ausfahrten für die Schädlingsbekämpfung höhere CO2-Lasten aus Erdöl zu tragen hat als die übliche Winzerei. Und so ist auf den Dächern der drei Flügel reichlich Fotovoltaik installiert – nach dem Stand der Technik sind die Solarpanels zugleich die Dachdeckung. Deren Strom versorgt neben dem Traktor weitere Autos, das Weingut, das Wohnhaus der Familie und das Stöckli der Eltern. 

Das Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Bild: Ralph Feiner

Der architektonische Reiz ist die Verbindung der federleicht scheinenden, heiteren Bricolage aus Pfosten, Dächern und Kästen, geschmückt mit im Wind tanzenden Flaggen, mit der zweiten Welt der «Sonne». Sie ist in den Untergrund in eine riesige Grube betoniert – ein grosser, fünf Meter hoher, fünfeckiger Raum mit drei grossen Hallen für die Arbeit am Wein, dessen Reifung in Fässern und Lagerung in Flaschen.

Schönheit, wie man sie nicht mehr oft sieht

Die Räume in der Kellerei werden im Jahreslauf unterschiedlich gebraucht – in der Erntezeit im Herbst sind vorab die Räume für die Traubenbereitung mit grossen Maschinen und die Vergärung des Weins in mächtigen Standen in Betrieb. Später scheppern hier die Maschinen, die den Wein in Flaschen füllen, die Zäpfen in die Hälse stopfen und die Flaschen etikettieren. Diese warten in einem weiteren Raum auf den Versand in Gitterpaletten.

Die Räume sind in baumeisterlicher Schönheit gefertigt, wie man sie nicht mehr oft findet; sie sind in Beton belassen und in satten Farben ausgemalt – in den Vorräumen in Blau und in warmem Rot im Keller, wo der Wein in Eichenfässern reift, bevor er in die Flasche kommt. Und wir sehen, Farbe ist ein probates und wohlfeiles Gestaltungsmittel, das mit geschickt angebrachten Leuchten, Räume in atmosphärischen Schwung bringt.

Bemerkenswert ist die ganz und gar auf Flexibilität achtende Ausstattung. Jede Maschine, jedes Weinfass, jeder Tank soll herumgefahren werden können, fast kein Gerät ist fest installiert. Und so steht bescheiden am Rand des grossen Arbeitsraums die wichtigste Maschine – der Hubstapler. Er besorgt das Hin und Her des werdenden Weins durch die grossen Räume, ohne ihn könnten wir kein Glas Wein trinken. 

Das Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Bild: Ralph Feiner

Der Weg der «Sonne» ist beispielhaft für die die Weinbäuerinnen und Winzer in der Schweiz:

Seit hundert Jahren bewirtschaften sie mehr oder weniger gleich viel Rebland: Gut 15 000 Hektar, die Hälfte im Wallis und in der Waadt. Mit Rebbau-Katastern halten die Winzer einander in Schach, denn Weinbau ist der pro Quadratmeter Land der weitaus profitabelste Zweig der Landwirtschaft, da soll nicht mit neuen Flächen die Konkurrenz wachsen.

Völlig verändert aber haben sich das Selbstverständnis, das Können und die Produktionsformen der Winzer. Aus der Multikulti- wurde die Monolandwirtschaft des Weins. Schweizer Wein ist so vom Landwein, vom Lebensmittel ohne Namen, zum verfeinerten Genuss, zu einem Markenartikel geworden. Der Weinbauer lernt das Handwerk nicht mehr bei seinem Vater, sondern an den Schulen in Wädenswil oder Changins oder gar auf der Weinhochschule von Geisenheim in Deutschland.

Er zieht das Register vom Können in Weingarten und Keller über das Design der Flasche und der Etikette bis zum Aufbau gut geölter Verkaufskanäle. Und wie in der «Sonne» von Jenins erhält auch die Architektur der Keller neue Aufgaben – sie sind Ort der Arbeit und der Repräsentation geworden, die Sorgfalt und Ambition des Weingutes wie ein stolzes, schönes Wirtshausschild in die Welt hinaustragen sollen.

Weingüter für Architekturfreund:innen

Beispiele für solche Orte in der Schweiz sind das Weingut Gantenbein in Fläsch (Architektur Bearth & Deplazes), im selben Dorf die neuen Keller der Winzer Thomas MaruggLevanti und das Weingut Davaz (alle Atelier-f, Kurt Hauenstein) oder in Malans das Weingut Peter Wegelin (Architektur Konrad Erhard/Daniel Schwitter). 

Im Wallis hat die Cave Fin Bec in Pont de la Morge (Architektur Peter Märkli) in und im Tessin hat das Weingut Moncucchetto in Lugano (Architektur Mario Botta) sich allerhand Mühe in der Architektur gegeben. 

Das Weingut Obrecht im bündnerischen Jenins, entworfen vom Architekturbüro Bearth und Deplazes.

Weingut zur Sonne

Malanserstrasse 2, Jenins, 2022
Bauherr: Francisca und Christian Obrecht
Architekt: Bearth & Deplazes, Chur, Daniel Ladner
Projektleiter: Florentin Duelli
Baumeister: Reto Vils, Vilters-Wangs
Installierte Fotovoltaik: 72 kWp, Produktion: 70’000 kWh
Baukosten ohne Land (BKP 1-9): 5,2 Mio Franken

Zur neuen Kellerei trug das Künstler-Duo wiedemann/mettler, Zürich, als Kunst am Bau unter anderem das Buch zum Bau bei.