Corin Curschellas & The Recyclers Reloaded im FRIDA Magazin

Corin Curschellas & The Recyclers Reloaded.

Bild: André Albrecht

Musik

Ein Leben in Liedern

Die Bündner Sängerin und Komponistin Corin Curschellas realisiert mit ihrer «Collecziuns» ihre musikalische Autobiografie und kämpft damit gegen das Vergessen.

Von Köbi Gantenbein

Fläsch, 11.10.2023

5 min

Die Autobiografie der Sängerin, Komponistin und Schauspielerin Corin Curschellas ist eine schwarze Schachtel, darin sind vier CDs und zwei Büchlein versorgt. Alles gediegen gestaltet vom Wiener Designer Clemens Theobert Schedler.

Zwischen 1990 und 2010 hat die vielseitige Musikerin zahlreiche Alben mit eigenen Songs veröffentlicht und war damit auf Tour. Nun hat sie die 4-CD-Box «Collecziuns: Her Songs 1990–2010+2022» herausgegeben. Matthias Rüegg, Spiritus Rector des Vienna Art Orchestras und alter Weggefährte, hat rund 60 Songs für die vier Alben zusammengestellt.

Das eine Büchlein versammelt die Texte der Lieder, illustriert mit Fotografien aus dem Künstlerinnenalbum, das andere versammelt kurze Würdigungen von Weggefährtinnen und Künstlerkollegen. Auch hier Fotografien zur Work in Progress und Bilder mit stotzigen Felsen des jungen Bündner Fotografen Jaromir Kreiliger.

Die vier CDs stehen für die vier Kapitel, die Corin Curschellas musikalische Autobiografie ausmachen.

Erstens: «Her songs, from near and far» ist eine bunte Versammlung von Poesie und Klang, die zeitgenössisch Heimweh, Sehnsucht und Fremde ausmalen, eintauchen in das traditionelle Liedgut der Rätoromanen, Versatzstücke holen bei Guillaume Apollinaire, frühe Gedichte aus der Feder der Sängerin selber, die immer auch ihre eigene Lyrikerin war – und auch Texterin und Komponistin für Gesänge ihre Freunde wie den Sänger Michael von Heide, dem sie 1998 gar einen Hit geschrieben hat: «Jeudi amour».

Songs aus der ganzen Welt

«Near and far» – Corin Curschellas spannt den Bogen zwischen den Polen «Heimat» und «Welt»; sie besingt ihr Leben in den grossen Städten in Amerika, Frankreich und Deutschland und immer wieder heimkommend in ihr Haus in Rueun in der Surselva im Kanton Graubünden.

Dieses Fort- und Hiersein ist eingebunden in ein liebenswertes Lied des Unterengadins, wo ein Lied «il Randulin» besingt, den Handwerker- und Zuckerbäckeremigranten, der hin und her flog, in der Fremde reich wurde und zu Hause ein schönes Haus baute – oder der wie die meisten fortreiste auf Nimmerwiedersehen. Corin Curschellas widmet diesem Leid mehrere Versionen.

Literatur aus Graubünden

Zweitens: «Her songs. Da cor» – das ist eine Bündner Versammlung. Eingebettet in die «Canzun de Sontga Margriata», eine Sage aus der Sutselva, stellt Corin Curschellas «von Herzen» 13 rätoromanische Lieder, die sie zu Texten von Dichterinnen und Dichtern der Romantschia geschrieben hat; da geht es um den Wald, die Berge, den Alltag, die Liebe und das Leben.

Ein schöner Bogen zeitgenössischer Literatur aus Graubünden, eingebettet in kräftige Klänge aus Gitarre, Trommel, Sampler und Trompete. Gut zwanzig Jahre später erst wird sie mit zwei jungen Frauen «La Triada» gründen, ein Sängerinnen-Trio, das a capella meist alte Lieder singt – daraus werden 2015 und 2022 ihre schönsten zwei CDs werden. Jüngst hat übrigens das Trio aus Corin Curschellas, Ursina Giger und Astrid Alexandre am Festival «Alpentöne» in Altdorf zusammen mit dem Tonkünstler Bruno Amstad das Konzert «l’aur blau» aufgeführt. Radio SRF hat es in seiner Serie «Weltklasse» live übertragen.

Aus der grossen Bibliothek

Drittens «Her songs. Unüberhörbar», eine didaktische Versammlung, in der die Sängerin und Dichterin vorführt, wie sie aus Lyrik Lieder macht. Sie murmelt, brummelt, singt, flüstert und spricht und wir hören zu wie aus einem Text Melodie wird – meist aus einem ihrer eigenen Texte, die durch den Alltag streifen, Ereignisse illustrieren, die schon lange vergangen und vergessen sind. Und Melodie wird der Text aus dem Wissen um die grosse Bibliothek der Töne der Welt – von Jazz bis Volkslied, von John Cage bis Tingeltangel.

Viertens. «Her songs, pour toujours», eine Versammlung, in der Corin Curschellas – erwartet – ihr prägendes musikalisches Ereignis in vier Titeln vorführt – die langjährige Zusammenarbeit mit dem Musiker Matthias Rüegg und seinem «Vienna Art Orchester», mit dem sie mehrere Jahre als Sängerin unterwegs war. Die vier Lieder hat er für sie komponiert.

Und – unerwartet – eine Liederversammlung, die das Rätsel «+2022» im Untertitel der «Collecziuns» auflöst. Sind alle anderen Lieder aus den zahlreichen CDs zusammengestellt, die dieses Künstlerinnenleben begleiten, schliesst sie die vierte mit zehn noch nicht veröffentlichten Aufnahmen ab, Mitschnitten aus kleinen Konzerten oder ganz am Schluss eine persönliche Miniatur mit Matthias Rüegg am Klavier: «Luegid vo Bärg und Tal».

Der traurige Klang der Autobiografie

«Her Songs?» Das kleine Pronomen zeigt, wie Corin Curschellas immer mit Bedacht in Bezügen arbeitet, so sind es nicht «my Songs», sondern «ihre Lieder» – Freunde, die Welt, die Erfahrungen haben an diesem Lebensfaden entscheidend gewirkt. Autobiografien haben einen traurigen Klang – jemand erzählt, wie es war und schaut auf die Zeit, in der er nicht mehr sein wird.

Diese melancholische Stimmung trägt auch die schwarze Schachtel mit den zwei Büchlein und den vier CDs. Und löst sie auf mit einem Spruch auf der Rückseite des Textbuches: «Ich lebe mit jedem Tag lieber». Der Ertrag dieser Maxime ist ein dickes, anspruchsvolles Musikpaket – einmal hören hilft nicht, immer wieder hören, gibt den Klang und das Bild einer ungemein vielseitigen Künstlerin, daheim in den Bergen und zu Hause in der Welt.

Hier geht es zum Porträt der Künstlerin.

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Corin Curschellas, Collecziuns 1990-2010 + 2022. Label Tourbo Music. 99 Franken. www.corin.ch/shop