Albumcover

«Gesellenwanderung» von der Kapelle «Gläuffig».

Volksmusik

Virtuos und gut

Der Bündner Köbi Gantenbein ist als leidenschaftlicher Musiker in der zeitgenössischen Volksmusik zu Hause. In seiner neusten Kolumne stellt er die Kapelle «Gläuffig» vor. Und erklärt, was ihre Virtuosität mit einem Artikel in der Bundesverfassung und mit Wilhelm Busch zu tun hat.

Von Köbi Gantenbein

Zürich, 17.05.2022

2 min

«Zum neuen Jahr begrüsst euch hier.
Ein Virtuos auf dem Klavier.
Er führ’ euch mit Genuss und Gunst.
Durch alle Wunder seiner Kunst.» 

So beginnt «Der Virtuos» von Wilhelm Busch. In 15 Bildern führt der Zeichner vor, wie ein Pianist sein Klavier so bearbeitet, dass der Zuschauer sich leibhaftig vorstellen kann wie ihm Hören und Sehen vergehen würde. Mit Körper und Kleid, Haut und Haar zieht der Musiker in einen wilden Ritt. Vom «Silentium» geht es über die «Fuga del Diavolo» bis zum «Finale furioso» und zum «Bravo Bravissimo. Nur Niccolo Paganini war auf seiner Geige schneller, John Coltrane am Saxofon wilder oder beides zusammen die Kapelle «Gläuffig».

Mathias Landtwing (Klarinette), Fränggi Gehrig (Handorgel), Lukas Gernet (Klavier) und Pirmin Huber (Kontrabass) sind die Virtuosen. Sie führen Tempo und Technik vor, als wollten sie sich, jede und jeden jeden Tag einmal überbieten. Wie das geht, können wir auf der CD «Gesellenwanderung» hören: 14 Stückli vom Schottisch über den Choral, den Walzer bis zum Klezmer. Schottisch und Polka können sie freilich auch.

Dann und wann sagen die Musikanten wie ich, deren Finger bei weitem nicht so gläuffig über die Klappen und Saiten eilen können wie die der Vier – virtuos sind sie, Hochleistungssportler, aber musikalisch? Landtwing & Co zeigen das Gegenteil. Und ich staune – einst galt Kasi Geisser, der erste Popmusiker des Ländlers, als der Virtose schlechthin, heute spielen junge Musikantinnen seine Stückli vor dem Frühstück nach. Und so ist die Meisterschaft der vier Gläuffigen auch ein Spiegel einer kulturpolitischen Leistung: Die meisten Musikanten meiner Generation waren bei privaten Lehrerinnen «in der Stunde», für die Nachgeborenen haben wir die Musikschulen eingerichtet, die es heute bis weit hinein in den ländlichen Raum gibt. Sie sorgen – mittlerweile durch einen Artikel in der Bundesverfassung gestärkt – für eine musikalische Ausbildung, die den Kapellen, den Rockbands und den Orchestern zu Gut kommt. Und die den Boden gelegt hat für eine professionelle Musikszene, wie sie die Schweiz erst seit zwei Generationen kennt. Und etlichen das täglich Brot beschafft, so auch den Vier. Auch die Volksmusik ist Teil des Aufbruchs – Ländler kann seit ein paar Jahren mit Bachelor und Master in Luzern studiert werden kann. Deren Studentinnen tun wie die Vier – und führen mit Genuss und Gunst durch alle Wunder ihrer Kunst. 

 

Gläuffig, Gesellenwanderung, Phono Vertrieb, Adligenswil, 2021

www.glaeuffig.ch