Volksmusik
Diese Kapelle liefert den Sound zur Klimakrise
Blasmusik? Das ist doch dieser Umzug, der uniformiert durchs Dorf marschiert, wenn der Bundesrat kommt – so die antiquierte Vorstellung. Dass es auch ganz anders geht, zeigt die österreichische Kapelle Federspiel. Sie liefert den Sound zur Klimakrise – melancholisch und doch federleicht.
Fläsch, 18.01.2023
«Avanti o popolo, alla riscossa, Bandiera rossa, Bandiera rossa» – aus vollen Kehlen beschliesst meine Kapelle die Feier zum 1. Mai. Dieses Volkslied aus Italien ist ein kräftiges Beispiel für Programmmusik – Klänge, die sich verbünden mit der Welt ausserhalb der Musik. Das im Unterschied zu Liedern, die nur musikalische Bezüge haben.
Die Grenzen sind freilich fliessend – aber seit dem Barock nahmen die Komponisten immer wieder Bezug auf Stimmungen, auf Naturphänomene, auf ihre Angebetete oder auf Heldentaten ihrer Fürsten. So raschelt, zwitschert, verblüht und gefriert es in den «Vier Jahreszeiten» von Antonio Vivaldi; wir sehen «Elise» schmachten, wenn der Pianist das ihr zugeeignete Stückli spielt, oder wir stellen uns die Bilder einer Ausstellung vor, wenn Modest Mussorgski das grosse Orchester auf Trab bringt.
Trauer und Zuversicht
Anregende Programmmusik macht auch die österreichische Kapelle «Federspiel». Klarinette, Trompeten, Flügelhorn, Posaunen, Tuba – sieben Bläser arbeiten sich an zwei Krisen ab: Der des Klimas und der, die uns das Coronavirus bereitet hat.
Corona bietet eine einfache Programmvorlage: Die Musiker waren eingesperrt zu Hause. Sie übten allein und stellten sich vor, wie es wieder werden würde, wenn das Virus ermattet: «Freedom Waltz». Lüpfig ist der Walzer wie Zirkusmusik, deren Kapelle uns im Publikum ja einstimmen soll, dass jetzt dann wieder die Pferdchen kommen und im Kreis traben.
Die Musik zur Klimakrise ist erheblich komplizierter. Federspiel setzt als Titel ihres neuen Programms «Albedo» einen Begriff aus der Physik der Sphären. Die Albedo ist die Eigenart und das Mass, in dem eine Oberfläche Sonnenstrahlen reflektiert. Schnee hat eine Albedo von 0,9, wirft also fast alles Licht zurück, Wald hat eine von 0,05.
Die Albedo ist in den letzten Jahrzehnten um bis zu acht Prozent gesunken. Klimawissenschaftler nehmen das als Zeichen für die Klimakatastophe – je weniger Rückstrahlung, desto mehr Weltuntergang.
Doch so streng wie die mathematisch-physikalischen Bestimmungen der Kosmologie sind die der Musik keineswegs. Sie vertrauen dem schön weichen Klang des Begriffs «Albedo», die Komponisten fliegen aus zu Bildern und Stimmungen, zu Dunkelheit und Trauer, zu Licht und Zuversicht.
Und so sind Federspiels Programmziele auch verspielter als die Einigung der Menschheit hinter der «Bandiera rossa». Die Bedenklichkeit der Weltveränderung aber sorgt für eine Grundstimmung in ihrer Musik. Federspiel – auch der Name ist Programm – machen zwar federleichte Blasmusik, aber sie feiern die Melancholie.
Choräle in allen möglichen Konstellationen und Farben, immer wieder mit Dämpfer gespielte Trompeten, schmelzende Balladen aus der Trompete und bei aller Lust zum vollen Gebläse immer Rücksicht, damit die Klarinette nicht verloren geht – das stimmt diese Blechmusik fein und virtuos.
Und da Klang vieldeutig ist, murmelt ein kleiner Männerchor das Programm durch die Töne: «Reflect it, protect it, que calor, il fait chaud. Albedo». Nun engt das Programm – Klage über die Klimakrise – die Musik keineswegs ein. Federspiel bedient sich bei der Blechmusik der Schützen, bei den Beständen der grossen Opern, die ja die meisten kräftige Blechmusik brauchen, wenn der Held über die Bühne reitet, und die Musikanten erfinden freilich viele eigene Klänge.
Ihr Ensemble hat weder Pauke noch Trommel, aber es muss der Tubaspieler dennoch nicht durchwegs für den Takt sorgen – jedes Instrument wechselt von der Melodie zum Rhythmus – selbst die Klarinette wird so zur virtuosen Trommel. Melodie gibt es oft keine, nur Rhythmus und Harmonie. Und schliesslich – ganz trüb ist die Welt trotz der abnehmenden Albedo nicht – ein Wiegenlied schliesst als zehntes Stückli die CD ab, komponiert von einem Federspieler, der träumte Vater zu werden und es schliesslich geworden ist.