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Die Genossenschaft Warmbächli baut in Bern eine kleine Stadt in der Stadt.

Bild: Daniel Kaufmann

Architektur

Alles, was man zum Leben braucht

Architektonische Klimavernunft bedeutet: «Nur so viel abbrechen wie nötig. Aus möglichst allem, was da ist, etwas machen.» Die Genossenschaft Warmbächli in Bern hat dieser Devise folgend aus der alten Schokoladenfabrik Tobler ein gemeinnütziges Grosshaus gemacht. Unser Architekturexperte meint: ein Massstabsprung in Grösse und Komplexität.

Von Köbi Gantenbein

Fläsch, 14.12.2022

6 min

Wer im tiefen Keller des «Holligerhof 8» am Stadtrand von Bern steht, die Augen schliesst und schnuppert, spürt in der Nase feinen Kakaogeruch, versetzt mit Kehrichtduft. Und wer nichts riecht, soll es sich einbilden. Denn hier hatte über viele Jahre die Schokoladenfabrik Tobler die Zutaten für die Toblerone gelagert, während nebenan die Stadt Bern ihren Abfall verbrannte.

Nicht mehr gebraucht, entsteht hier ein Quartier zum Wohnen, Arbeiten und Leben für bis zu 800 Menschen. Das Wohngebirge der Architekten des Büros BHFS für die «Genossenschaft Warmbächli» im nicht mehr gebrauchten Chocolat-Tobler-Lager ist das erste Haus des Plans. Seit einem Jahr leben hier gut 160 Erwachsene und 60 Kinder in gut 61 Wohnungen in einem gemeinnützigen Grosshaus, an dem sie acht Jahre lang geplant und gebaut haben. 

Die Genossenschaft Warmbächli am Holligerhof in Bern

Die Genossenschaft Warmbächli am Holligerhof in Bern

Bild: Daniel Kaufmann

Dessen Merkzeichen ist architektonische Klimavernunft: «Nur so viel abbrechen wie nötig. Aus möglichst allem, was da ist, etwas machen.» Das ehemalige Lager und das Credo «brauche, was da ist» sorgen für ungewöhnliche Wohnungen mit Galerien in der Höhe – schmale, hohe und lange Räume in den grossen Raumtiefen der ehemaligen Lagerhallen. Das Fundament des Hauses und die ersten Stockwerke sind Bestand, oben drauf steht ein Holz-Beton-Bau. Und auf allem drauf eine grosse Terrasse mit Weit- und Bergblick bis ins ewige Eis.

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Bild: Daniel Kuafmann

In Zahlen heisst Klimavernunft: 21 000 Tonnen Beton sind übrig geblieben aus der Schokoladenvergangenheit – und also nicht nur viel CO2, sondern auch tausend Lastwagenladungen Ressource geschont. 5000 Tonnen sind abgebrochen und 9000 Tonnen Beton neu verbaut. Dazu kommen Metallständerwände, Stahlträger für die Aufstockung, Massivholz, Gips- und Dreischichtplatten. Die Lüftung hat eine Wärmerückgewinnung, die Fussbodenheizung einen Anschluss an die Fernwärme und auf dem Dach gibt es 700 m2 Panele, die Sonne fangen und Schatten spenden.

Zweifellos genügen die Graue und die Betriebsenergie hohen Anforderungen, auch wenn offensichtlich ist, dass Bauen und Wohnen aller Sorgfalt zum Trotz eine grosse Klimalast sind. Wir sehen hier auch den Preis des Weiterbrauchens: mit gut 2300 Franken ist der Baupreis pro m2 um einen Drittel teurer wie ein kostengünstiges neues Grosshaus auf der grünen Wiese.

Wir lernen: Das erste Gebot der Klimavernunft ist Bestand halten – das ist nicht gratis.

Aber Geschosshöhen wie in einem Palast, fantasievolle Grundrisse, Patina, Geschichte auf jedem Schritt, dichtes Zusammenleben und eben Klimavernunft  – das alles sind Werte, die den Preis mehr als wettmachen. Zudem – im «Holligerhof 8» gilt, 35 m2 pro Person sind genug. Das nimmt etlichen unter dem Strich erheblich weniger Geld aus dem Portemonnaie als eine konventionelle Neubauwohnung,

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Bild: Daniel Kaufmann

Es ist ja durchaus eine gute Tradition, aus nicht mehr gebrauchten Fabriken und Lagerhäusern Wohnungen zu machen für kollektive Wohnexperimente oder für schicke Lofts vermögender Menschen. Der «Holligerhof 8» in Bern ist ein Massstabsprung in Grösse und Komplexität.

Seine Einwohnerinnen und Bewohner bauen an einer kleinen Stadt in der grossen: Ateliers, Läden, Restaurants, Wohnungen von einem bis zu einem Dutzend Zimmer, in denen Wohngemeinschaften leben. Alles, was man so zum Leben braucht, ist da. Eindrücklich die Veloparade im Erdgeschoss, vielfältig sind die Menschen hier mir der Stadt verbunden und sie holen die Stadt auch nach Hause – soziale Dienste haben hier ihre Büros, Migranten treffen sich – ein reges Hin und Her.

Und wer durch den «Holligerhof» schreitet sieht an allen Ecken und Enden, wie fordernd kollektives Wohnen und Selbstverwaltung sind: Hier eine Arbeitsgruppe, dort eine Klagemauer, da ein Aufruf für eine Sitzung.  

Die Genossenschaft Warmbächli am Holligerhof in Bern

Bild: Daniel Kaufmann

Holligerhof 8, Bern
Bauherr: Genossenschaft Warmbächli
Architekten: BHFS Architekten, Zürich
Investition: 40 Mio