Sitzstangen für Vögel auf den Gaszeigern von Künstler Daniel Ritter.

Architektur und Kunst

Haus auf Gasleitung

In seiner neusten Architektur-Kolumne erzählt Köbi Gantenbein, wie eine der grossflächigsten Architekturinstallationen der Schweiz entstanden ist. Und was diese mit Raubvögeln und unseren Gasöfen zu tun hat.

Von Köbi Gantenbein

Fläsch, 16.05.2022

3 min

Wer über Land wandert, sieht im Mitteland und auf dem Weg von Basel über Luzern ins Wallis alle paar hundert Meter in den Wiesen eine Stange mit einem Giebel. Ein geknicktes Blech, orange lackiert, darauf steht eine geheimnisvolle Kombination aus schwarzen Buchstaben und Zahlen. Architektur für die militärische Landesverteidigung? Konkrete Kunst? Zeitgenössische Marksteine der Landvermesser?

Die Installationen sind die Folge eines Urteils des Bundesgerichtes, das der Gasindustrie befohlen hat, ihre in die Erde vergrabenen Leitungen sichtbar zu machen. Das Urteil wollte so die Sicherheit der einen bis vier Meter in die Erde gegrabenen Infrastruktur erhöhen; elegisch wurden die Auseinandersetzungen zwischen den Gasleitungs-Betreibern und den Bauern, denn die Stangen im freien Feld behindern zügige Feldarbeit. Doch mittlerweile stehen tausende orange Hüte entlang der gut 2300 Kilometer Rohrleitungen, die das Gas aus Norden und Süden in die Schweiz pumpen und im Land verteilen. 

Panoramasitzstangen für gefiederte Jäger

Die Raubvögel begrüssten die exquisite Architektur als patenten Hochsitz. Bald schissen sie das Orange zu, sodass die Gasfirmen ihren Hüten eine Dornenkrone aufsetzten – denn Gas ist ja ein geruchs- und geräuschloser Stoff, der teils aus Russland kommt und unsere Öfen heizt. Der Bildhauer Daniel Ritter aus Hellsau sah den Raubvögeln zu, wie sie trotz der Dornen auf ihre Sitze nicht verzichten wollten. «Ich helfe ihnen.» Daraus wurde eine der grossflächigsten Architekturinstallationen in der Schweiz. Denn Ritter montiert in die Gaszeiger Sitzstangen für die Bussarde, Milane und Eulen – exemplarisch funktionales Bauen. 

Bauplan Sitzstangen Gaszeiger Daniel Ritter.

Auf beiden Seiten des orangen Hutes setzt er eine Aluminiumlasche ins Dreieck, ins 1,4 Meter lange Kantholz kommt beidseits ein Vorstecker, der den Sitz befestigt – exemplarisch einfache Konstruktion. 2034 Sitzstangen hat Ritter mittlerweile entlang von 200 Kilometer Gasleitung montiert. Sie sind signiert mit dem Stempel «RD», damit die Habichte, Rotmilane und Waldkäuze wissen – dein Sitz ist Baukunst aus dem Zusammenspiel von Gas, Bundesgerichtsurteil und Vogelflug. 

Prestigegewinn für Gasfirmen

Die fliegenden Jäger wie die Falken ruhen auf der Kunst nun aus. Die Schleiereulen, die sitzend jagen, fliegen auf die Stange, drehen hier ihre Köpfe um 180 Grad, sehen die Maus und packen sie. Für beide ist die Kunst ein Ersatz für die aus den Feldern geräumten Bäume. Und sie sind gewiss bequemer nun als die Dornenkrone. Den Bauern können die orangen Hüte nun einen für sie praktischen Sinn stiften, weil die Raubvögel statt Pestizide die Schädlinge vernichten. Und für die Gasindustrie ist die Kunst ein Prestige-Gewinn, setzt ihnen doch die Klimalast ihres Stoffs zu, der zudem wegen des Kriegs in der Ukraine noch böser geworden ist.

Sitzstangen auf den Gaszeigern von Künstler Daniel Ritter.