Architektur
Die Renaissance des Dorfes
Welche Rolle kann die Architektur spielen, wenn es darum geht, die Abwanderung aus den ländlichen Gebieten abzubremsen? Der renommierte Architekturkritiker Köbi Gantenbein schreibt in seiner Kolumne, es brauche dafür die Gunst ineinander greifender kultureller und unternehmerischer Taten. Wie beispielsweise im Bündner Bergdorf Andeer.
Andeer, 16.06.2022
Die Renaissance des Dorfes ist die Zuversicht des ländlichen Raumes im Berggebiet. Staatliches Handeln will sie mit Ausbau von Strassen und dem Service Public bis ins hinterste Tal ermöglichen, dennoch wandern junge Menschen ab und das Dorf stirbt. Nötig sind neben solcher Gunst ineinander greifende kulturelle und unternehmerische Taten. Andeer, der kleine Kurort in der Val Schons im Kanton Graubünden, ist dafür ein Beispiel.
Das traditionsreiche Kurbad mit Hotel ist renoviert, eine kleine Reha-Klinik und eine Alterssiedlung mit einer Arztpraxis sind realisiert, eine Käserei läuft, eine Kapelle an der nahen Autobahn sollen Herzog & DeMeuron bauen, Häuser werden restauriert und nun ist das «Hotel Post» renoviert – gemeinsamer Nenner dieser Renaissance sind Initiativen mit Geld von aussen. Das «Hotel Post» ist dazu ein Klassiker – Robert Lombardini, ein Sohn des Hauses, emigrierte ins Unterland und kehrte wohlhabend heim, sein Geld in das Hotel der Familie investierend. Was auch ein Schicksal der Hotellerie nicht nur in den Ferienregionen zeigt – aus den Erträgen des Betriebes kann deren Modernisierung oft nicht bezahlt werden. Und bei Umbaukosten von 8,3 Mio muss manches Bier über den Tisch, damit die Rechnung aufgeht.
Die Hofstatt aus neuklassizistischem Kasten und angegliederten Stallungen der «Post» stärkt nun den Hauptplatz von Andeer. Die miserable Substanz musste weitgehend fort, in den Rest kamen zwölf grosszügige Hotelzimmer und im Parterre und im Keller die Wirtschaft. Wo die Stallbauten waren, steht nun ein Holzhaus mit Schiebeläden. Darin ist das Säli für anspruchsvolle Gastronomie mit einem grossen Gartenzimmer. Bedient werden die Gaststuben von einer Küche aus, die wie ein Scharnier beide Lokale verbindet. Der Innenausbau ist ein Hochamt des Handwerks – eigens für das Haus gestaltete Möbel und Leuchten, sorgfältige Holz- und Steinarbeiten – die Val Schons ist noch reich an guten Schreinereien und Zimmereien und Andeer ist neben Vals der Ort des Steins im Kanton Graubünden. Und so haben Bauherr und Architekt die Steinmetze eingeladen, einen monumentalen Waschtisch für die WC-Anlage aus dem grünlich schimmernden Andeerer Granit zu hauen.
Infos zum Bau
Hotel Post, Andeer, 2021
Bauherr: Robert Lombardini, Hünenberg
Architekt und Ingenieur: Fanzun Architekten Ingenieure Berater, Chur
Bauleitung: Mathis Lampert, Chur
Schreiner: TM, Zillis
Steinmetz: Francesco Passante, Chur
Kosten: 8,3 Mio
Verfahren: Studienauftrag
Bilder: Ralph Feiner