Köbi Gantenbein über die Casa del SolCH im FRIDA Magazin

Die Casa Sol’CH in Poschiavo ist der Erstling der jungen Architektin Nadia Vontobel.

Bild: Nadia Vontobel

Architektur

Das dunkle Haus, der schöne Erstling

Mit der Casa del Sol'CH in Poschiavo zeigt die Architektin Nadia Vontobel eindrücklich, wie Solartechnologie zu überraschend schönen Lösungen führen kann. Ihr Einfamilienhaus ist zudem auch ein Statement für das Handwerk. Nur der Beton ist nicht mehr zeitgemäss, schreibt unser Architekturkritiker Köbi Gantenbein.

Von Köbi Gantenbein

Poschiavo, 23.09.2022

6 min

Wer die schöne Reise mit der Eisenbahn über den Berninapass tut und schliesslich von Cavaglia talwärts kurvt, sieht am Rand des Speckgürtels von Poschiavo aus all den landläufigen Häuschen mit Garten ein dunkles, längliches Klötzchen schimmern – das Zweifamilienhaus Sol’CH.

Wie ein Mantel umhüllen Photovoltaik-Paneelen seine Fassaden und sein Dach. Sie produzieren viermal mehr Strom als die Bewohnerinnen und Bewohner für ein komfortables Leben brauchen. Diese Zahl ist zwar bemerkenswert, aber nicht mehr aussergewöhnlich, denn die Sonnenbau-Technik hat in den letzten zehn Jahren grosse Fortschritte gemacht.

Ausserordentlich aber ist, dass hier Technik und Architektur so eingerichtet sind, dass die Anlage auch im Winter, wenn die Sonne flach scheint und Schnee auf dem Dach liegt, immer noch einen Stromüberschuss herstellen. Und das Sonnentüfteln erklärt denn auch die Dachform: Ein Knick kaum hat es begonnen, steil auf der Nord- und flacher auf der Südseite. Dach, Lage, Gestaltung der Fassade und der Einschnitte und die 35-Grad Neigung des Norddaches sind auf Sonnengewinn hin ausgerichtet wie er höher kaum geht.

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Das Haus ist ein architektonisches Statement. Es schimmert nobel und dunkel in anthrazit und braun, es ist anders als seine Nachbarn nicht wegen des gestalterischen Übermuts seiner Architektin, sondern weil hier Photovoltaik ästhetischen Ausdruck findet. Und dennoch keinen Designspektakel macht, sondern sich in die bürgerliche Anständigkeit des Quartiers einfügt – die dunkle Fassade wird wohl genug zu reden gegeben haben.

Gross ist der Unterschied des Hauses zum Sonnenbasteln in der Pionierzeit der Solararchitektur, gross auch der Unterschied zu den Häusern und Ställen mit aufgeständerten Solaranlagen auf dem Dach, dem Balkon und im Garten. Für die Casa Sol’CH hat die Architektin den Stand der Technik für das Design ihres Hauses verwendet, ja mit dem Panel-Fabrikanten an Oberflächen, Anschlüssen und der Montage gar eigens getüftelt bis sie ihren gestalterischen Vorstellungen für ein ins Haus integriertes Kraftwerklein entsprechen konnten. 

Eine Perle der Kleinhaus-Architektur

Auch ausser der solaren Meisterschaft ist die Casa Sol’CH eine Perle der Kleinhaus-Architektur. Gebaut auf dem Untergeschoss eines Hauses, das abgebrochen werden musste, ist eine grosszügige Wohnung für eine oder je nach dem zwei Familien entstanden. Im Erdgeschoss gibt es den grossen, offenen Wohn-Ruhe-Kochraum mit dem Ausgang zum grossen Garten.

Im ersten Geschoss sind entlang des Ganges voller Einbaukästen und Schränklein die Zimmer nach Süden hin gereiht; im Dachgeschoss gibt es weiteren Wohnraum und eingelassen ins Dach einen Sonnenbalkon. Möchten die Felix und Ursula Vontobel, die Bewohner, einmal mehr als Wohnen, so können sie in ihrem Haus gut und gerne ein kleines Hotel einrichten.

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Eine Visitenkarte für das Handwerk im Tal

Die Casa Sol’CH ist der Erstling der jungen Architektin Nadia Vontobel und, wie oft Sitte und Brauch im Architektengewerbe, waren ihre ersten Auftraggeber die Eltern. Und freilich hat sie für ihren Erstling auf alles und besonders Acht auf Details gegeben; ich stelle mir durch das Haus streifend vor, was die junge Architektin als Bauleiterin den Maurern, Malern und Schreinern mit Druck und Charme alles abverlangt hat. Und so ist ihr Haus auch eine Visitenkarte für das hoch entwickelte Handwerk im Puschlav, denn die Bauleute kommen alle aus dem Tal.

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Die Casa Sol’CH fährt nah an der Zeit des Wohlstandes in der Schweiz – viel Raum für eleganten, ruhigen Lebensstil; gestalterische, technische und handwerkliche Hochleistungen. Das Haus ist eine Energiemaschine und liegt dennoch leicht neben der Zeit, die nebst Energie- auch Klimavernunft verlangt.

Für die tragende Konstruktion wählten Bauherrschaft und Architektin Beton – hölzern sind die gediegenen Ausbauten und Verkleidungen und die Innenwände. Beton aber ist der klimaschädlichste der Baustoffe und sollte nur noch dort gebraucht werden, wo es nicht anders geht – für Staumauern zum Beispiel. Ein klima- und energieschönes Doppeleinfamilienhaus liesse sich flott aus Holz bauen. Immerhin – der Sichtbeton der Casa Sol’CH ist sehr schön gemacht.

Chas Sol’CH, Via dal Solch, Poschiavo, 2021
Architektin: Nadia Vontobel, Zürich, www.nvarchitekten.ch 

Und da für die Spezialistinnen die Daten der Sonnenanlage:
Energiebezugsfläche Gebäude: 374.5 m2
Energieverbrauch: 34.3 kWh/m2a (Heizung und Strom)
Aktive PV-Oberflächen: 187 m2 (Dach), 284 m2 (Fassade)
Maximale Leistung: 34 kWp (Dach), 30 kWp (Fassade)

Energieproduktion: 47’770 kWh
Speichersystem: 3000 l Speicher für Heizung und Warmwasser
Elektroauto mit bidirektionalem Laden
Speicherkapazität: Wasserspeicher ca. 50 kWh, 

30% Batteriekapazität Elektroauto für PV-Pufferung = ca. 25 kWh