
Die Künstlerin Ana Vujic bei der Herstellung eines Wandbildes in der FABRIKculture in Hégenheim.
Bild: Zlatko Micic
Kunst
Ana Vujic – Keine Angst vor der Angst
Die Künstlerin Ana Vujic widmet sich in neusten Arbeiten dem Thema Angst – und befreit sich gleichzeitig von allzu simplen Zuschreibungen.
Hégenheim, 29.05.2025
«Jetzt bist Du in Frankreich», sagt Ana Vujic als wir vom Schotterweg auf die kleine Strasse einbiegen. Wir sind auf dem Weg vom Industriegebiet im baslerischen Allschwil zur FABRIKculture in Hégenheim. Die ehemalige Textilfabrik ist seit 22 Jahren ein Haus der Kunst, mit Ateliers und einer weitläufigen Shedhalle als Ausstellungsraum. Vujic arbeitet hier seit einigen Jahren in einem Wohnatelier, hat mit ihrer Familie aber auch eine Wohnung in Basel. Nun bespielt sie die Halle in Hégenheim mit einer Einzelausstellung. Der Titel: «Just Another Fear» (Nur eine weitere Angst).

Das Werk «Somewhere» in der Ausstellung «Just Another Fear» von Ana Vujic in der FABRIKculture in Hégenheim.
Bild: Zlatko Micic
Zur Begrüssung der Besucher:innen hat die Künstlerin mit ihrem liebsten Werkzeug, dem Kohlestift, ein riesiges, verlassenes Ruderboot direkt auf die Wand gemalt, es schwebt dort – gleich neben dem Notausgang. Ein Tau hängt ins Leere, Bildtafeln voller Kohlestaub suggerieren einen Weg.
Wurde das Schiff gerade verlassen oder erwartet es Gäste für eine frühsommerliche Ruderpartie? Oder steht es bereit für eine Meeresüberquerung mit ungewissem Ausgang? Oder ist es führerlos gestrandet?
Ana Vujic kommentiert ihr Bild nicht. Sie freue sich und staune über die vielen Interpretationen, die sie höre. Das Boot solle ruhig in diesem Schwebezustand und damit ein Rätsel bleiben.
Es reiht sich damit schlüssig ins Werk der Künstlerin, das zwar von handwerklich gekonnter Figuration lebt, aber keinen leicht lesbaren Realismus bedient und sich allzu raschen Zuschreibungen entzieht.
Von der Anarchie zur Theorie – und zurück
Mit Zuschreibungen von aussen kennt sich die Künstlerin aus. Bei einem Besuch im Jahr 2019 in ihrem Kunstraum und Atelier «Voltage» im Basler St.-Johann-Quartier hatte sie mir ihren Werdegang als Künstlerin erzählt. Als Zehnjährige kam sie aus einem serbischen Dorf nach Basel zu ihren Eltern. Zuvor lebte sie vor allem bei ihrer Grossmutter.
Und da war sie bereits, die Zuschreibung, sie sei eine arme Migrantin aus einem Kriegsgebiet. «Meine Eltern arbeiteten bereits vor dem Krieg in der Schweiz und waren nicht arm. Ich kam also nicht als mittelloses Flüchtlingskind.»
Da die Eltern gleich neben der Messe wohnten, erhielt die Familie – so war es damals noch üblich – Gratis-Tickets zu ART Basel. Für ihre Eltern sei das eine total fremde Welt gewesen. Sie selbst sei dort durch politische und feministische Kunst angefixt worden, verkehrte in der Hausbesetzer-Szene, malte Konzertplakate, entwarf Tattoos, begann Schablonen für Street-Art zu schneiden.

Das Werk «Die Dreiteilung» in der Ausstellung «Just Another Fear» von Ana Vujic in der FABRIKculture in Hégenheim.
Bild: Zlatko Micic
«Damals lag Anarchie in der Luft. Punk war der Sound-Track. Der Kapitalismus wurde abgeschafft – zumindest nächtens an der Bar.»
Das theoretische Rüstzeug holte sich Vujic mit Studien in Medienwissenschaften, Kunstgeschichte und Pädagogik. Ihre Masterarbeit war politischer Kunst und Kunst ausserhalb von Institutionen gewidmet. Ihr Brot verdient sie mittlerweile als Kunstvermittlerin.
Vujic bewegt sich seither zwischen Kunst und Street-Art, und gerät da manchmal auch zwischen Stuhl und Bank. Der Kunstmarkt finde es super, dass sie auch Street-Art mache, schliesslich schmücke man sich gerne mit etwas Underground. Die Kolleginnen und Kollegen von der Strasse jedoch seien gegenüber ihren Galerieauftritten kritisch. Die Szene findet, ihre Kunst verliere die subversive Kraft, sobald sie diese Schwelle überschreite.
Maria in Truble
Wir stehen vor einem weiteren grossformatigen Bild in der Ausstellung. Das Triptychon zeigt in der Mitte eine junge Frau. Mit der einen Hand wirft sie dem Betrachter Papier aus Stapeln auf einem Arbeitstisch entgegen, mit der anderen hält sie Seile, an deren Enden Bowling-Figuren hängen. Mit dem einen Fuss versucht sie sich auf ein Schaukelpferd zu stützen, nebenan tickt eine antike Standuhr.
In das Bild hinein führt eine Treppe – oder steigt die Frau bald zu uns runter? Würde sie uns erklären, dass sie eine junge Mutter in Schwierigkeiten ist, eine unheilige Nachfahrin der Mutter Maria, der ja zahllose Triptychen gewidmet sind? Oder ist das Ganze nicht viel mehr ein Traumbild, das sich der klaren Deutung entzieht?
«Maria erscheint ja meist ruhig und abgeklärt», sagt Vujic und lacht ein tiefes kehliges Lachen. Und klar: Mit der Geburt ihres ersten Sohnes, der mittlerweile drei Jahre alt ist, habe sie gelernt, was es heisst, im Zustand totaler Übermüdung den Spagat zwischen Künstlerin- und Muttersein zu wagen. Sie habe zeitweise Angst gehabt, durch das Kind die Kunst zu verlieren, oder nicht mehr als Künstlerin, sondern vor allem als Mutter wahrgenommen zu werden.

Ansicht der Ausstellung «Just Another Fear» von Ana Vujic in der FABRIKculture in Hégenheim.
Bild: Zlatko Micic
Deshalb lässt sie in ihrer Ausstellung, die die Angst ja im Titel trägt, in einer Soundinstallation Künstlerkolleg:innen zu diesem Thema zu Wort kommen, und deshalb kam sie selbst unlängst auch im SRF-Kulturplatz zum Thema «Karriere und Kinder» zu Wort. Ein dankbares Sujet für eine Kultursendung, die sich oft mehr zeitgeistigen Themen widmet, als dem eigentlichen Kunstwerk.
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Die Ängste junger Mütter sind für Vujic denn auch «Just Another Fear». Sie selbst hat für die Ausstellung einen ganzen Katalog von Ängsten zusammengestellt. In der Gegenwart präsente Ängste wie die vor Krieg, Aufrüstung, neuen Grenzziehungen, rechter Gesinnung und Faschismus. Aber für sie gibt es auch die Angst vor dem eigenen Spiegelbild, vor den Falten, den eigenen, inneren Gräben, den lodernden Gedanken, die Angst vor der Angst – und auch die Angst vor der Kunst.

Das Werk «Inbetween» in der Ausstellung «Just Another Fear» in der FABRIKculture in Hégenheim.
Bild: Raphael Stucky
Letztere ist vielleicht ja die Angst vor der Uneindeutigkeit, letztendlich Rätselhaftigkeit der Welt. Hat man nicht den Mut, sich dieser auszusetzen, verliert sie ihr Geheimnis. Ana Vujic hat es vor fünf Jahren so formuliert: «Kunst sollte nicht nur ein Spiegel der Gesellschaft sein. Dann wäre sie ja nur ein Abbild der politischen und gesellschaftlichen Realität. Ich stelle sie mir mehr als einen Bagger vor, der die gängigen Denkmuster umgräbt.»
Vielleicht könnte man es auch so formulieren – auch wenn dies wieder eine weitere Zuschreibung ist: Diese Künstlerin kämpft mit ihrem Kohlestift gegen die Simplifizierung der Welt. Und es gelingt ihr gut. Etwa in jener fünfteiligen Bildserie, in der ein Blatt Papier zu Asche zerfällt.
Oder in jenem weiteren grossen Bild, für einmal mit roter Kreide gemalt: Ein Mann im Anzug sitzt auf einem Stuhl. Ihm gegenüber schwebt ein Schaf in einem leeren Pool. Es hatte eine seltsame Frisur, einen sogenannten Sidecut. Hinter dem Tier kracht ein Zaun zusammen. Zwischen dem doch recht ungleichen Paar gibt ein mächtiges Metronom den Takt an. Daneben malt Vujic einen Altar für einen Koffer, dessen Inhalt uns verborgen ist.
Aktuelle Arbeiten von Ana Vujic
Bis 15. Juni: «Eva Aeppli im Dialog», Kunsthaus Zofingen
Bis am 21. Juni: «Just Antoher Fear», Fabrik Culture in Hégenheim
Bis 31.08.: Kunsthaus Solothurn «Freundschaft webt Banden – 175 Jahre Kunstverein Solothurn».