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«Glacier Dreams» im Kunsthaus Zürich.

Bild: Franca Candrian, Kunsthaus Zürich, © Refik Anadol

Kommentar

Künstliche Intelligenz ist eine Frage der Macht

Künstliche Intelligenz ist das Thema der Stunde. Der Kampf um die technologische Hoheit ist in vollem Gang. Was aber kann KI in der Kunst? Und was die Kunst mit KI?

Von Mathias Balzer

Zürich, 24.01.2025

8 min

Der in Los Angeles lebende, türkischstämmige Künstler Refik Anadol zeigt im Kunsthaus Zürich seine KI-generierte Installation «Glacier Dreams», vom Museum beworben als «immersiver digitaler Raum, der Kunst, Technologie und Klimathematik auf spektakuläre Weise vereint».

Refik Anadol

(*1985 in Istanbul, lebt in Los Angeles) zählt zu den bedeutendsten Pionieren der auf KI-Technologien basierenden Kunst. Das Museum of Modern Art in New York gab seinem Werk «Unsupervised – Machine Hallucinations» einen prominenten Platz und hat es in die permanente Sammlung aufgenommen. Anadols Werke waren u.a. auch im Centre Pompidou in Paris oder an Ausstellungen wie z.B. im Frühjahr 2024 in der Serpentine Gallery in London zu sehen.

Das Kunsthaus Zürich präsentiert derzeit seine Installation «Glacier Dreams».

Der schwarze Kubus, in dessen Spiegelraum die Algorithmen betörende Bilder generieren, muss trotz Schönheit Kritik einstecken. Etwa von der Kunstkritikerin Daniele Muscionico, die in den Zeitungen von CH-Media kein gutes Haar an diesem Werk lässt.

Sie fragt: «Was bitte schön ist das denn nun?» Und bezeichnet den Kubus als «Folterkasten, eine Mischung zwischen eiserner Jungfrau und Alphütte», bei deren Besuch «man gerne einen Jägermeister intus haben dürfe». Die abstrakten Muster im Inneren würden sie an Darmflora erinnern. Und sie zitiert einen «massgebenden Kunstkritiker» der New York Times, der Anadols Werk als «banalen Bildschirmschoner» bezeichnet habe.

«Endlich wieder einmal Kunstkritik und Debatte!», mag man da rufen. Die furiose Schelte über das KI-Kunstwerk und seinem smart auftretenden Schöpfer, erinnert denn auch an alte Zeiten, in welchen das Feuilleton noch wirkungsmächtig war – und, im Rückspiegel gesehen, auch mal übers Ziel schoss.

So schrieb etwa der österreichische Kulturhistoriker Max Nordau über die ersten Filmvorführungen: «Die Kinematographen bedienen die niedrige Sensationsgier der Massen, ohne dass eine wahre künstlerische Inspiration darin erkennbar ist. Es handelt sich um Maschinen, die Bewegung reproduzieren – ohne Seele, ohne Geist.»

Ähnlich tönte es beim Aufkommen der Videokunst in den frühen Siebzigerjahren. Der us-amerikanische Kunstkritiker Hilton Kramer schrieb damals: «Die Videokunst der 1970er-Jahre ist kaum mehr als eine Ansammlung von narzisstischen Experimenten. Der Künstler steht vor der Kamera, redet in die Leere oder manipuliert das Bild – aber wo ist die Kunst? Wo ist die Bedeutung?»

Neue Technologien waren immer ein Treiber künstlerischer Entwicklung, aber den Künstler:innen, die sich darauf einliessen, wurde die Innovation meist nicht leicht gemacht.

Die Angst vor der Technologie

Erleben wir hier mit Anadols KI-generierter Kunst dasselbe? Wahrscheinlich schon, auch wenn er keineswegs eine Randfigur ist. Er gehört zu den ersten von Google geförderten Künstlern, arbeitet in Los Angeles mit einem Team von zwanzig Personen, kann seine Werke im New Yorker MoMa, der Serpentine Galerie in London, im Pariser Centre Pompidou, vor der UNO oder am WEF in Davos zeigen.

Und er muss mit den Widersprüchen eines international tourenden, viel fliegenden, von Banken geförderten Künstler leben, der sich einer Technologie bedient, die vielen Menschen Sorgen bereitet.

Er selbst präsentiert sich als hochgebildetes Wunderkind und Botschafter der fantastischen Möglichkeiten von KI. Den Zweifeln und Ängsten begegnet er mit dem altbekannten, aber deshalb nicht falschen Argument, Technologie sei an sich neutral wie etwa die Nutzbarmachung der Elektrizität: «Wir können das Licht brauchen, um abends mit Freunden zu diskutieren oder zu lesen – oder wir können damit auch einen elektrischen Stuhl bauen.»

Unser Experiment

Inspiriert von der Präsentation in Zürich haben wir unsere Berichterstattung einem kleinen KI-Experiment unterzogen. Meine Notizen zur Medienorientierung von «Glacier Dreams» im Kunsthaus Zürich hat Chat-GPT zu einem kritischen, aber sachlich gehaltenen Text verarbeitet. Diesen wiederum hat die KI in unserem Auftrag stilistisch in Texte folgender Autor:innen umgeschrieben: Emmy Hennings, Johann Wolfgang Goethe, Niklaus Meienberg, Magdalena Martullo-Blocher, Luisa Neubauer und Elisabeth Baume-Schneider. (Zum Artikel)

Angesichts der Möglichkeiten von KI ein spielerisches Mini-Experiment, auch nach zwei Jahren unregelmässiger Nutzung immer noch vom mulmigen Gefühl begleitet, mit einer Maschine zu kommunizieren. Immerhin: Sie gibt sich freundlich, ist rasend schnell und ziemlich gut.

Zumindest darin, Muster in Texten zu erkennen und daraus – je nach Vorlage – neue zu generieren, wie etwa dieses: «’Glacier Dreams’ ist das perfekte Kunstwerk für unsere Zeit – und für unser Land. Es sieht aus wie eine Reflexion über die Klimakrise, ist aber eigentlich eine Reflexion über uns selbst: Eine Gesellschaft, die lieber den Anblick des Elends ästhetisiert, als sich ihm zu stellen.» Tönt das nach Niklaus Meienberg? Ein wenig schon.

Oder diese Zeilen, hätte sie nicht auch die Dada-Dichterin Emmy Hennings schreiben können? «Vielleicht brauchen wir keine glatten Kuben, keine KI-Wellen. Vielleicht brauchen wir wieder die Schreie, das Chaos, das Leben. Kunst muss zurückkehren zum Herzen, zum Menschlichen – sonst bleibt sie nichts als ein Tanz ins Nichts.»

Natürlich ist das spielerische Spekulation. Und klar ist auch: Die Maschine ist bereits ziemlich gut darin, das jeweils nächste passende, wahrscheinliche Wort zu finden. Aber versteht sie auch, was sie macht? Empfindet sie etwas beim Lesen von Hennings Apell an die Menschlichkeit? Nein, das tut sie – noch – nicht. Sie versteht nicht was sie sagt. Sie ist eher eine Art Super-Papagei, der alles nachplappern kann, was er je gehört oder gelesen hat.

Wer oder was ist der Autor, die Autorin?

Aber die Maschine rüttelt ordentlich am Selbstverständnis der Autorenschaft. Ihre stilistische Virtuosität ist eine Kränkung für jeden Schreibenden, der sich über Jahre um Stil bemüht. Aber wenn wir ehrlich sind: Selten erfinden wir Redewendungen von Grund auf neu. Meist übernehmen wir, schreiben fort, wenden an, je nachdem, welche Texte und Stile wir kennen. Ähnlich wie KI.

Davon ausgehend, dass dieses so wirkungsvolle Tool bald von allen Schreibenden genutzt wird, stellt sich die Frage: Wenn die elegante oder prägnante Formulierung KI-basiert ist, was ist dann noch die Leistung des Autors? Wird er vom Schreibenden zu einer Art recherchierendem Kurator?

Entscheidend ist, mit welchen Informationen die künstliche Intelligenz gefüttert wird. In meinem Falle waren es meine Notizen. Ohne sie hätte KI ganz andere Texte zum Thema generiert. Je präziser die Vorgabe, umso präziser das Resultat, inklusive Schreibstil.

Und die andere entscheidende Frage ist, wer die KI für welche Zwecke entwickelt und wer sie besitzt.

Die Kunst soll KI, unbedingt!

Unser kleines Experiment verweist direkt auf seinen Gegenstand, das Werk von Refik Anadol. Denn er geht im Umgang mit diesen Fragen kreativ und präzise vor. Die Daten für seine Installation, Millionen Fotografien von Gletschern, stammen nicht aus dem Netz. Sie wurden vom Künstler und seinem Team mittels Drohnen über ein Jahr lang weltweit gesammelt. Die KI, in welche die Daten gespiesen werden, ist wiederum eine von ihm selbst entwickelte. Die Rechner sind auf minimalen Konsum ökologischen Stroms ausgerichtet, was sie langsamer mache, erklärte Anadol in Zürich. Das Ganze sei «verdammt harte Arbeit».

Über das Resultat der Arbeit kann man geteilter Meinung sein. Verglichen etwa mit Ester Vonplons Arbeiten zu sterbenden Gletschern, sind die hier «träumenden» Gletscher harmlos wie Plüschhasen.

Aber es gilt in diesem Fall auch Marshall McLuhans These «The medium is the message». Damit meinte der Medienwissenschaftler, dass das Medium selbst – also die Art und Weise, wie eine Botschaft übermittelt wird – einen ebenso grossen, wenn nicht sogar grösseren Einfluss auf die Gesellschaft und das Individuum hat als der eigentliche Inhalt der Botschaft. Und diesen Einfluss wird KI mit Bestimmtheit haben.

So weit überblickbar nehmen wir bei den ersten Schritten dieser Kunst an einem bedeutenden kulturellen Ereignis teil. Es werden mit steigender Verfügbarkeit tausende Künstler:innen KI für ihre Zwecke nutzen und sie auf ihre Weise weiterentwickeln – zum Glück. Denn letztendlich wird die Zukunft dieser Technologie dadurch bestimmt, wer sie nutzt und vorantreibt. Und das ist wiederum eine Machtfrage.

Die neue US-Regierung unter Donald Trump will in den kommenden vier Jahren 500 Milliarden (!) Dollar in die Entwicklung von KI investieren. Kein Wunder sitzen die Tech-Boys Musk, Zuckerberg und Bezos beim Gottesdienst zu Trumps Inauguration wie brave Konfirmanden in der ersten Reihe.

Wir sollten ihnen das Feld nicht überlassen.


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