Der Künstler und Performer Andres Lutz feiert mit seinem neusten Stück «Dr. Lüdi ruft die Geister» Premiere im Theater der Roten Fabrik in Zürich.

Der Künstler und Performer Andres Lutz feiert mit seinem neusten Stück «Dr. Lüdi ruft die Geister» Premiere im Theater der Roten Fabrik in Zürich.

Bild: zvg

Andres Lutz im Gespräch

«Genug zu fressen, aber schlechte Träume»

Dr. Lüdi ist das Alter Ego des Künstlers Andres Lutz. Nun kommt der Meister der absurd-komischen Assoziationsketten wieder auf die Bühne. Wir haben vor der Premiere in Zürich mit Lutz über ernste Dinge wie die Freiheit des Theaters und die Zwänge des Kunstbetriebs, oder die allgemeine agnostische Teilratlosigkeit und Transzendenz gesprochen. Aber auch darüber, warum er Humor als Genre Scheisse findet und über die Geister, die im Plastikabfall wohnen.

Von Mathias Balzer

Zürich, 01.03.2023

7 min

Andres Lutz, wer ist Dr. Lüdi?

Andres Lutz: Dr. Lüdi ist Andres Lutz als komischer Performer. Er ist meine Bühnenfigur, mit der ich wiederum in verschiedene andere Rollen schlüpfe. Er ist in diesem Sinne nicht eine total definierte Figur mit klar erkennbaren Eigenschaften.

Dann ist Dr. Lüdi auch kein Arzt?

Doch, das ist er! Er verspricht sich schon einen gewissen therapeutischen Effekt von dem, was er tut. Er versucht ja, sein Publikum im besten Sinne zu unterhalten, und ihm durch Anwendung von Ironie und Heiterkeit etwas Transzendenz und Gelassenheit zu verschaffen. Und ich darf an dieser Stelle auch vermelden, dass ich hin und wieder auch etwas in diese Richtung vernehme: Zum Beispiel, wenn mir jemand erzählt, es sei ihm nicht gut gegangen, aber nachdem er eines meiner Videos auf Youtube gesehen habe, sei es ihm viel besser gegangen. Für mich ist so etwas eigentlich das Höchste, was ich erreichen kann.

Dass Dr. Lüdi wirklich hilft?

Ja, genau. Ich geh ja zwar nicht davon aus, dass die Menschheit und die Welt nur ein einziges Lazarett und Jammertal sind. Aber bei genauem Hinsehen sieht es eben doch danach aus. Darum Doktor.

Der Künstler als Arzt…

Ich will das nicht zu hoch hängen, denn es ist ja auch eine nachgelieferte Erklärung. Ich hab ca. 2005 mit dieser Figur angefangen, ohne mir damals zu denken, ich wolle die Menschen heilen.

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Andres Lutz

Ist 1968 in Wettingen geboren und hat nach der Schule die F&F in Zürich besucht. Seit 1996 ist er Teil des Künstler-Duos Lutz & Guggisberg mit Andres Guggisberg. Von 1996 bis 2003 war er zusammen mit Gerhard Meister als Bühnenduo «Geholten Stühle» unterwegs, das im Jahr 2000 mit dem Salzbuger Stier ausgezeichnet wurde. Seit 2005 tritt Lutz als Dr. Lüdi in Solo-Shows auf und produziert mit der Figur Videos. Er lebt und arbeitet in Zürich und im bündnerischen Ascharina. (mb)

Kann Dr. Lüdi etwas, was Andres Lutz nicht kann?

Nein. Da ist mir Dr. Lüdi dann doch zu ähnlich. Und schliesslich ist Andres Lutz ja auch der Veranstalter, Schöpfer und Manager von Lüdi. Und Lüdi ist eben nicht eine so leicht fassbare Figur, sondern auch immer wieder verschieden. «Dr. Lüdi am WEF» war beispielsweise eine eher gesetzte Geschichte, mit gelesenen Texten und den Bildern von Jules Spinatsch. In der neuen Show gibt es wieder verschiedene Figuren mit verschiedenen Dialekten, Alt und Jung, gescheit und dumm. In diesem Sinne kann man vielleicht sagen: Ich getraue mich als Dr. Lüdi vielleicht etwas mehr denn als Andres Lutz.

Vor fünf Jahren stieg Dr. Lüdi in das Moor, respektive den Sumpf der sozialen Medien. Was hat er dort gefunden?

Einerseits ging es um unser Eingebettetsein in diesen urbanen Schaum aus Wohlstand, I-Phone, Soziale Medien, Dritte Säule und Ferien überall. Andererseits um Flüchtlingsströme und die parallel laufende Dauerapokalypse, die uns schlechte Träume macht. Denn das ist ja unsere Situation: Genug zu fressen, aber schlechte Träume.

Nun ruft Dr. Lüdi die Geister. Welche sind es denn?

Einerseits sind das meine Zuschauer, denen ich sehr wohl Geist attestiere. Obwohl sie – genau wie wir alle – in einem Zustand leben, in dem uns die Materie anschweigt. Alles ist denkbar agnostisch und geheimnislos. Als bildender Künstler ist man ja damit beschäftigt, der Materie Leben einzuhauchen, damit z.B. eine Skulptur so etwas wie eine geistige Energie bekommt. Die Geister, die ich im neuen Stück rufe, sind wie erwähnt die Zuschauer, ganz lapidar,

aber es geht auch um das Verborgene und Geistige in der Welt, das ja beispielsweise im Plastikabfall hockt.

Und wie beschwört Dr. Lüdi diese Geister?

Zuerst hört man jemandem zu, der ganz viele Fragen hat, leicht selbstzerstörerisch, an sich selbst rumnörgelnd, so etwas Woody-Allen-artig, bis er merkt, dass er Hilfe braucht. Dann folgt eine Kurswoche, die so genannte Tofuwurst-Woche, mit diversen Angeboten, was zu tun wäre, um sich etwas besser zu betten oder sich esoterisch, geistig und mental etwas zu fluten. Etwa mit Bastelkursen, kleinen Figürchen aus Plastikabfall, der ja das neue Holz ist. Es ist also eine Art Flehen um etwas Archaisches.

Du sprichst von Geist, Transzendenz, Gnostik, zeigst aber eher den Trash dieser Welt. Wie geht das zusammen?

Es ist schon der Versuch, die Welt aus all diesen Trümmern auf diesem riesigen Abfallhaufen wieder neu zusammenzusetzen. Spielerisch, als Homo Ludens, darum heisst die Figur ja auch Lüdi, das kommt von Spielen. Das tönt jetzt vielleicht etwas hochtrabend, aber es geht schon in diese Richtung. Die Leute sollen an diesem Spiel teilhaben können und sehen, dass es ansatzweise schon möglich ist.

Hat Andres Lutz einen bestimmten spirituellen Hintergrund?

Ich bin weder ein verdeckter Sannyasin, noch bin ich Verschwörungs-Futzi oder Zen-Buddhist. Vielmehr nehm ich einfach Teil an dieser allgemeinen agnostischen Teilratlosigkeit, in der wir unsere 70 bis 90 Jährchen – so viele sind es ja mittlerweile – zubringen. Aber es geht mir eben um mehr als Sauglattismus, obwohl ich schon Komödiant bin und es liebe, wenn Menschen lachen. Andersherum geht es mir wie den meisten in meinem Bekanntenkreis: Ich finde Humor als Genre auch Scheisse.

Sie verfolgen die Comedy-Szene nicht?

Nein. Ich hab früher schon auch Helge Schneider geschaut oder Karl Valentin gelesen. Aber nach ein paar Jahren merkt man ja, dass es immer etwa dasselbe ist. Ich hab einfach die Veranlagung, Dinge zu sagen und zu tun, die Leute lustig finden. Einer solchen Begabung sollte man auch stattgeben, sie zulassen, anstatt davon zu träumen, im seriösen und ernsten Fach zuhause zu sein.

Ist die Kunst dieses ernstere Fach?

Das was ich auf der Bühne mache, hat etwas sehr Regionales und Schweizerisches, mit all den Dialekten und Bezugnahmen auf Dörfer und Täler. Was Andres Guggisberg und ich in der Kunst machen, hat weniger mit diesem Regionalismus zu tun. Und es gibt noch einen Unterschied: In der Bildenden Kunst stellt man, anders als auf der Bühne, Besitzbarkeiten her, die man zu verkaufen versucht, und wenn es gut läuft, verdient man eine Stange Geld und das Werk steht dann im Ferienhaus eines Zahnarztes in Zuoz herum. Damit finde ich tief in meiner Seele drin schon nicht wirklich Frieden. Da bleibt auf einer Bühne tendenziell schon weniger Abfall. Aber ich möchte an dieser Stelle auch nicht tendenziös wirken: Es gibt ja auch super Kunst und Scheiss-Theater.

Aber ist die Bühne ein Ventil für den Künstler?

Vielleicht schon. Auf der Bühne kann ich machen, was ich will. Ohne mir dauernd überlegen zu müssen, in welche Distributionsschläuche ich das Werk abfülle, in welchen Kontext, in welcher Galerie usw. An Orten wie dem Fabriktheater steh ich einfach auf der Bühne und habe das Glück, dass ich seit Jahren einige Freunde habe, die mich berücksichtigen bei ihrer Ausgehplanung.

Verstehst Du Deine Bühnenkunst auch politisch? Du wirkst manchmal ja wie ein etwas anarchistischer Unruhestifter?

Unruhestifter? Wie meinst Du das? Also ich nehm es positiv, aber möchte wissen, was es bedeutet.

Du sprengst die Grenzen der normalen Diskurse. Das seh ich als politischen Akt.

Das nehme ich gerne entgegen. Aber eigentlich ist es nicht meine primäre Intension Unruhe zu stiften. Ich bin kein Jonathan-Meese-mässiger Zertrümmerer. Vielmehr möchte ich die menschlichen Regungen darstellen. Und da sind Ungereimtheiten und Widersprüche vorprogrammiert. Wie ich schon sagte:

Sushi fressen und gleichzeitig «Echo der Zeit» über Syrien anhören. Das ist nun mal unsere Condition humaine.

Wenn ich das darstelle, möchte ich eigentlich nicht Unruhe stiften, sondern den Menschen eine Einsicht schenken, eben die bereits erwähnte, durch Ironie ermöglichte, Transzendenz.


«Dr. Lüdi ruft die Geister». Performance von Andres Lutz. 4. bis 12. März.Fabriktheater Rote Fabrik, Zürich.