Tamara Funck: Die Fragerei und der Erwartungsdruck, Mutter zu werden, können belastend sein – zumindest erlebe ich es so in meinem Umfeld. Selber muss ich mir die Kinderfrage mit 33 Jahren nicht stellen, da ich vor sechs Jahren ungeplant schwanger wurde und inzwischen zwei Söhne habe. Ehrlich gesagt bin ich erleichtert, dass ich das Gewicht dieser Entscheidung nicht auf mir spüre. Ich weiss nicht, wie ich damit umgehen würde. Wie geht es dir damit?
Delia Imboden: Ich habe keine Kinder und es ist jetzt scheinbar der «perfekte» Zeitpunkt, um Mutter zu werden. Ich bin auch 33 Jahre alt, in einer langjährigen Beziehung, im Beruf mehr oder weniger angekommen und habe ein Dach über dem Kopf. Der Erwartungsdruck kommt eher von meiner Walliser Familie. In meinem Berner Umfeld gibt es keinen Druck und mehr Offenheit gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen.
Mein Vater sagt schon immer mal wieder: «Und? Du bist ja schon 33 Jahre alt!» Ich antworte dann: «Wer sagt, dass ich Kinder will?» Er ist dann ruhig (lacht). Meine Mama hält sich da mehr zurück. Mein Bruder, der jünger ist als ich, und seine Frau, die zwei Kinder haben, fragen schon auch immer mal wieder nach. Ich denke, im Wallis herrschen teils immer noch traditionellere Frauen- und Familienbilder vor. Gerade in der Stadt und in meiner akademischen Bubble wird das Thema Muttersein viel freier verhandelt.
TF: Wir Frauen werden ja immer noch so sozialisiert, dass man Mutter sein muss, um eine «richtige» Frau zu sein. Kinderlosigkeit wird hinterfragt und abgetan mit «Warte nur noch ein paar Jahre, dann kommt der Kinderwunsch…»
DI: In den letzten Monaten habe ich mich intensiv mit der Kinderfrage beschäftigt, ob ich das will und warum? Ist es das, was mir meine Mama vorgelebt hat und das, was eine Frau zu sein hat? Eben Mutter? Ich habe viele Bücher gelesen, zum Beispiel «Die Mutter aller Fragen» von Rebecca Solnit und «Motherhood» von Sheila Heti.
Ich kann mir ein Leben ohne Kinder auch gut vorstellen.
Trotzdem habe ich manchmal mehr oder weniger Lust darauf, Kinder zu haben. Ich muss es so sagen: Ich habe Lust, Kinder zu haben, aber weniger Lust darauf, was es den Umständen entsprechend bedeutet in unserer patriarchalen Gesellschaft. Ich bin sehr freiheitsliebend und die wilde Frau in mir braucht ihren Raum. (lacht) Und du, fühlst du dich als «richtige» Frau, weil du Mama bist? (lacht)
TF: Ha! (lacht) Ich hoffe sehr, dass ich mich auch ohne Kinder als «richtige» Frau fühlen würde – was immer das heisst. Natürlich ist das Muttersein ein Teil meiner Identität geworden. Ich musste in die Mutterrolle hineinwachsen und war nach der Geburt meines ersten Sohnes sehr verloren. Ich war noch im Studium und am Herausfinden, wer ich bin und wo es mich beruflich hinzieht. Das war viel. Die Erfahrung dieser Veränderung hat mich sicher selbstbewusster gemacht, aber das hat teils mit dem Älterwerden, teils mit dem Muttersein zu tun.
DI: Du sagst, das Muttersein ist ein Teil deiner Identität. Wie viel Raum nimmt dieser Teil ein in deinem Leben?
TF: An manchen Tagen fühlt es sich so an, als wäre ich «nur» Mutter, weil ich mich «nur» um die Bedürfnisse der Kinder kümmere und keine freie Minute für mich habe. Dadurch, dass die Kinder älter werden – sie sind jetzt fünf und zwei – gibt es wieder mehr Tage, an denen ich vor allem Arbeitskollegin oder Freundin bin. Es ist schön, dass die verschiedenen Facetten wieder mehr Platz haben.
Das Muttersein ist ein wichtiger Teil, aber der Beruf ist genauso wichtig.
Beide Geburten bedeuteten einen beruflichen Einschnitt – so ist das bei fast allen Frauen. Seit ich wieder in einem Team arbeite und beruflich gefordert bin, geht es mir besser.
DI: Denkst du nicht, dass das bei mir anders wäre? Dadurch, dass ich älter wäre, als du damals warst, weiss ich besser, was ich kann und was ich nicht kann, und wo ich beruflich stehe.
TF: Auf jeden Fall. Ich bin mir sicher, dass der Zeitpunkt und die eigenen Lebensumstände eine grosse Rolle spielen. Bei mir haben beide Kinder meine Identität auf den Kopf gestellt, weil ich mich völlig verlor in der Babyblase. Ein stückweit gehört das aber auch dazu.
Identitätskrise mit und ohne Kind
DI: Ich hatte meine Identitätskrise auch ohne Kind. Und eine der zentralen Fragen in der Krise war: Will ich Kinder oder nicht?
TF: Redest du mit Freunden darüber?
DI: Ja. In meinem Kollegenkreis ist es ein omnipräsentes Thema und wir fragen uns oft: Wann ist der richtige Zeitpunkt? Ich glaube, den gibt es nicht. Bisher hat niemand Kinder von meinen engsten Freud:innen. Auch mit meiner 58-jährigen Mitbewohnerin, die zwei Kinder hat und Hebamme ist, rede ich oft über die Kinderfrage. Sie sagt, ich mache mir viele gute Gedanken, beleuchte es von allen Seiten und irgendwann komme der Moment, wo man nicht noch mehr darüber nachdenken kann.
Entweder man macht es oder man macht es nicht.
Per se: Ich will Kinder. Ich finde es etwas sehr Schönes, Kinder zu haben – aber in dem patriarchalischen System, in dem wir leben, ist es nicht gerade geil.
TF: Ja, manchmal ist es nicht geil. Überforderung. Mental Load. Berufliche Diskriminierung und erschwerter Wiedereinstieg ins Berufsleben. Plus das unerreichbare Mutterideal …
DI: Aber, wie war es bei dir? Hattest du dir viele Gedanken gemacht zur Kinderfrage?
TF: Ich dachte immer, dass ich irgendwann mal Mutter sein werde, aber habe mir nie wirklich Gedanken gemacht, bis ich schwanger war. Mein Partner und ich liessen es darauf ankommen. Völlig naiv und verliebt dachten wir, es passiert eh nichts und gleichzeitig konnten wir es uns vorstellen, miteinander ein Kind zu haben, sonst hätten wir besser verhütet.
Im Nachhinein würde ich nichts ändern wollen.
Wir sind zufrieden, haben zwei tolle Kinder, unterstützen einander sehr und sind individuell gewachsen an der Elternrolle. Im Moment selber, als sich mit der Schwangerschaft schlagartig alles veränderte, war es natürlich ein Schock. Wir kannten einander erst sechs Monate und lebten in verschiedenen Städten.
Projektionsfläche für andere
DI: Warst du die erste in deinem Umfeld, die Mutter wurde?
TF: Ja. Das war am Anfang nicht ganz leicht.
DI: Wieso?
TF: Als Frau hat man viele Jahre Angst, schwanger zu werden und möchte nicht, dass sich der eigene Körper verändert.
Meine Freundinnen haben ihre Ängste auf mich projiziert.
Das taten sie natürlich nicht absichtlich und bewusst – aber wenn man schwanger, überfordert und unsicher ist, ist es schwierig, so viele Fragen gestellt zu bekommen. Sie fanden meine Schwangerschaft, die Geburt und die ersten Monate mit dem Baby superspannend, wie ein Experiment aus sicherer Entfernung.
DI: Warst du damit auch einsam?
TF: Teilweise schon. Ich finde es immer spannend, wenn Leute sagen, sie wollen Kinder, weil sie im Alter nicht einsam sein wollen. Elternsein macht auch einsam, besonders wenn man sein berufliches Umfeld für eine Zeit verliert und weniger freie Zeit zur Verfügung hat, um Freunde zu sehen. Gleichzeitig entstehen unglaublich viele neue Bekanntschaften durchs Elternsein, die sehr schön sind.
DI: Wenn man es nicht erlebt hat, kann man es sich einfach nicht vorstellen, was ein Kind mit sich bringt …
TF: Genau. Es ist schon verrückt. Die Entscheidung für ein Kind ist unwiderruflich und wir wissen nicht, was sie beinhaltet.
Diskussionen mit dem Partner
DI: Was für mich da enorm ins Spiel kommt, ist ein guter Partner. Das ist für mich das A und O. Wenn ich wüsste, dass mein Partner Karriere machen und nichts übernehmen möchte, würde ich keine Kinder bekommen. Gleichzeitig finde ich auch ein gutes Umfeld, das mitträgt, wichtig. Mein Partner und ich ziehen jetzt gerade in eine Gross-WG, in der auch eine Familie mit Kindern lebt, und ich bin gespannt zu sehen, wie das ist und klappt. So was könnte ich mir gut vorstellen.
Das klassische Kleinfamilienmodell finde ich eher langweilig und abturnend.