Kommentar

Die feministische Mutter

Wenn sich emanzipierte Frauen gegenseitig dafür beschuldigen, ihr Mamasein nicht ausreichend feministisch zu gestalten, läuft etwas gründlich schief. Daran müssen wir arbeiten. Persönlich und politisch.

Von Helena Krauser

Basel, 03.11.2023

4 min

Sobald eine Frau schwanger ist, wird sie zur Projektionsfläche. Sie ist jetzt nicht mehr ausschliesslich eine Frau, sondern eine Mutter. Eine Mutter im historischen Kontext, eine Mutter im patriarchalen System, eine Mutter mit Verantwortung. Verantwortung gegenüber ihren Kindern, aber auch Verantwortung für das Gelingen der Gesellschaft. Der Gleichstellung. Der Emanzipation.

Ganz im Sinne des Slogans der feministischen Bewegung der 70er Jahre «Das Private ist Politisch». 

Dieser Druck lastet nicht nur auf Müttern, sondern auch auf jungen Frauen, die sich die Frage stellen, ob sie denn überhaupt Mutter werden wollen. Er führt dazu, dass sie Angst haben, es nicht zu schaffen «das Mamasein feministisch zu gestalten» und dafür dann verurteilt zu werden. Von den Menschen, mit denen sie jetzt die gleichen Ideale teilen. So erzählt es Delia Imboden im Gespräch mit Tamara Funck im FRIDA Magazin.

Sie berichtet davon, dass sie viele Frauen kennt, die über eigentlich feministisch denkende Mütter lästern, die den Vätern alles abnehmen und daheim bleiben. 

Die Angst vor dieser Kritik ist leider vollkommen berechtigt.

Und das ist unglaublich traurig. 

Die Erwartung, dass eine Frau nach der Geburt ihres Kindes selbstverständlich genauso weiter handelt, denkt und fühlt, wie sie es davor getan hat, lässt die Wucht dieses einschneidenden Ereignisses völlig ausser acht. 

Und wer von Frauen in der sensiblen Phase der Familiengründung fordert, das eigene persönliche Leben danach auszurichten, was gesellschaftlich ihrer Meinung nach das erstrebenswerteste Ideal wäre, ist nicht revolutionär sondern bieder im Wortsinn. 

Es ist das eine, Schulter an Schulter mit Gleichgesinnten gegen den gemeinsamen patriarchalen Feind zu kämpfen und das andere, vielleicht viel schwierigere, die kleinen feinen Unterschiede der individuellen Bedürfnisse und Entscheidungen untereinander zu tolerieren. 

Sind wir denn nicht schon viel weiter?

Ist es im Feminismus des Jahres 2023 denn nicht Commonsense, dass jeder Mann, jede Frau und alle dazwischen und darüber hinaus so leben dürfen, wie sie es möchten? 

Stecken wir denn immer noch in der Annahme fest, dass eine Frau nur dann eine gute Feministin sein kann, wenn sie möglichst wenig mit Kindern und Haushalt zu tun hat? Zu tun haben möchte. Gefälligst! 

Vermutlich schon. Und vermutlich gibt es gute Gründe dafür: 

Emanzipation bedeutet «Befreiung aus einem Zustand der Abhängigkeit». In einem kapitalistischen System bedeutet das vor allem Befreiung aus einem Zustand der finanziellen Abhängigkeit

Frauen in der Schweiz leisten viel unbezahlte Arbeit. Sehr viel. Bei Frauen mit Kindern unter 15 Jahren sind es laut Bundesamt für Statistik rund 53 Stunden pro Woche. Dass dieser Umstand ungerecht ist, ist klar und altbekannt.  

Warum aber ist die einzige denkbare Lösung in dieser Diskussion, dass Frauen diese unbezahlte Arbeit nicht mehr machen? 

Dass sie die Kinder in die Kita bringen, eine Putzkraft bezahlen, ausserhalb des eigenen Haushalts arbeiten gehen und dann, wenn sie nach Hause kommen, all die Arbeit im Haus erledigen, die sich nicht so einfach externalisieren lässt?

Warum ist es in diesem unglaublich reichen Land nicht möglich, Frauen für diese Arbeit zu bezahlen?

Ausreichend zu bezahlen und somit aus dem Zustand der Abhängigkeit zu befreien? Insgesamt Care-Arbeit zu bezahlen? Oder zumindest, das zu realisieren, was andere europäische Länder schon lange kennen? Eine ernstzunehmende Elternzeit.

Natürlich möchten viele Frauen nicht ausschliesslich oder grösstenteils zuhause arbeiten. Natürlich möchten auch nicht alle Frauen Mütter werden. Aber vermutlich möchten alle die Wahl haben. Eine echte Wahl, ohne zwischen finanzieller Abhängigkeit und Dauerbelastung entscheiden zu müssen. 

Ausserdem würde eine Bezahlung dieser herausfordernden und komplexen Arbeit die Anerkennung geben, die sie verdient.

Sie wäre das Ende des Narrativs, dass Emanzipation ausschliesslich mit Erwerbsarbeit erreicht werden kann. 

Wenn wir einen Feminismus leben möchten, der wirklich alle Lebensmodelle toleriert, müssen wir auf gesellschaftlicher Ebene die Verurteilung untereinander ablegen und auf politischer Ebene endlich solide Grundlagen schaffen.