Ein Darsteller

Theater und Performance

«Wir reiben uns an allem»

Wir haben «Dieter Meiers Rinderfarm» in Kreuzlingen beim Dreh eines Science-Fiction-Films besucht. Das Kollektiv definiert sich durch die Ablehnung der Hochkultur, den gemeinsamen Spass an Kitsch und Trash und die Vorliebe für Verwirrspiele. Im Gespräch verraten die drei, warum Humor hilft, nicht an der Welt kaputtzugehen.

Von Jana Avanzini

Luzern, 14.04.2022

9 min

Die Sonne scheint in Kreuzlingen, über den Zoll rollen die Einkaufstouristen, im Kunstraum an der Bodanstrasse 7a schlägt der Wind die Türe zu. Die Ausstellung ist geschlossen. Es herrscht Stille im Eingangsbereich, auf einem braunen Samtsofa liegt, wie sorglos weggeworfen, ein kopfloser Astronaut.

Um die Ecke gebogen, steht man in einer Mischung aus Atelier und Installation. Zwei Bildschirme stehen im Ausstellungsraum herum, mit Stühlen und Kopfhörern davor. Eine Art Collage an der Wand, an der anderen hängt ein Green Screen, und an einer durch den Raum gespannten Schnur ein paar Kostüme. In der Ecke ein Raumschiff. Aus Karton und ein paar Dachlatten zwar, aber ziemlich stabil und als Kulisse für einen Science-Fiction-Film in Do-it-yourself-Ästhetik auf jeden Fall geeignet.

Dieter Meiers Rinderfarm» in Kreuzlingen beim Dreh eines Science-Fiction-Films . Im Bild: umgeworfene Stühele.

Wer ist verwirrt?

Am Arbeits-Ess-Requisiten-Tisch gleich neben dem Raumschiff sitzen Jeremias Heppeler und David Nägeli vor ihren Laptops. Wir sind zu Besuch bei «Dieter Meiers Rinderfarm».

«Dieter Meiers Rinderfarm» ist ein Kollektiv und eine Band, aber auch ein Film – wir bleiben aktuell beim Kollektiv. Dieses besteht aus dem Künstler Jeremias Heppeler, dem Musiker Daif und der Autorin Jessica Jurassica. Doch eigentlich ist Heppeler auch Musiker, David Nägeli auch Künstler und Jessica Jurassica eine Social-Media-Kunstfigur. Verwirrung ist Programm.

Dieter Meiers Rinderfarm (von links): David Nägeli alias Daif, Jessica Jurassica und Jeremias Heppeler. Bild: Beni Blaser

Dieter Meiers Rinderfarm (von links): David Nägeli alias Daif, Jessica Jurassica und Jeremias Heppeler.

Bild: Beni Blaser

Eine Leidenschaft für Doppelungen und Verwirrspiele verbindet die drei in ihrer Arbeit. Ein Ansatz, der in der digitalen Welt einfach umzusetzen ist: «Mit wenigen Klicks hat man eine neue Person, Band oder ein geschichtliches Ereignis erschaffen», sagt Jeremias Heppeler. Und dieses Spiel mit der Realität verpflanzt das Kollektiv in reale Räume. Genauso wie die digitale Welt der Referenzialität und der Zitat-Kultur. Aktuell sieht das so aus: Ein multidisziplinäres Science-Fiction-Epos, bestehend aus einem Hörspiel, einer Ausstellung sowie dem Musicalfilm «Capslock Superstar samplen den Urknall».

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Die Story des Films: Nach einer ausgedehnten Tour macht die erfolgreichste Band der Galaxie «Capslock Superstar», bestehend aus Jessica Jurassica und DJ Netlog, gemeinsam mit ihrem Manager Josef Bertold Hund Urlaub am Bodensee. Dort entdecken sie, dass die Macher des Moonstock-Festivals ein ungeheures Schwarzes Loch erschaffen, welches schon bald ganze Galaxien und auch den Bodensee zu verschlucken droht. Im Angesicht der drohenden Apokalypse sehen die Popstars nur einen Ausweg: Eine Reise zum Anfang der Zeit, um den Urknall zu samplen und einen Song zu spielen, der die Macht besitzt, die Katastrophe abzuwenden.

Für das Projekt haben sie sich hier in Kreuzlingen einquartiert, ein Bett hinter dem Raumschiff eingerichtet, zwei Monate lang daran gearbeitet – in Zusammenarbeit mit einer ganzen Reihe von Schweizer Künstler:innen. Die Vorpremiere fand bereits statt, in seiner Endfassung aber wird der Film erst im Herbst zu sehen sein. Grund für die Verzögerung war einmal mehr Corona. Das Virus erwischte alle schön sorgfältig nacheinander. Wer vom Team nicht flachlag, musste bestimmt einmal in Quarantäne.

Wie wild solls werden?

Als «Dieter Meiers Rinderfarm» von Kurator Richard Tisserand das Angebot erhielt, zwei Monate lang den Kunstraum bespielen zu dürfen, schien das beinahe utopisch: So viel Zeit, den Raum und das Geld zur Verfügung zu haben, um in totaler Freiheit gemeinsam arbeiten zu können – und das Ganze während des Prozesses ausstellen zu können. Zwei Monate ausnahmsweise mit den eigenen seltsamen Ideen nicht alleine zu sein, fasst es Jurassica zusammen. «Doch am Ende waren wir durch Corona doch wieder zurückgeworfen auf das Chaos», so Heppeler.

Jeremias Heppeler stammt aus dem Donautal und arbeitet als intermedialer Künstler, Musiker, Filmemacher und Autor, aber auch als Kunstlehrer und als freier Journalist. Kunst und Journalismus gehören für ihn untrennbar zusammen – so trifft man bei Artikeln von Heppeler auch mal auf Artikel über Heppeler oder umgekehrt.

Ein Künstler malt einen nackten Menschen im Rahmen von Dieter Meiers Rinderfarm

Ihm Gegenüber am Tisch sitzt David Nägeli, aka DJ Netlog, aka DAIF. Der 30-jährige Rapper hat zu Beginn des Jahres sein viertes Soloalbum herausgegeben. «Mundart-Bedroom-Emopunk» nennt er seinen Sound, in welchen er offen auch seine Depressionen, Ängste verhandelt und sich mit toxischen Männlichkeiten auseinandersetzt. Auf der anderen Seite ist er auch Teil des Eurodance-Hiphop-Duos «Capslock Superstar», gemeinsam mit Jessica Jurassica. Und die wiederum kennt man ursprünglich als Social-Media-Figur, als selbstgekürtes It-Girl aus Appenzell Ausserhoden, mittlerweile Schriftstellerin und Performerin, die unter anderem einen Erotikroman mit Alain Berset in der Hauptrolle verfasst hat – hochgelobt von Constantin Seibt, defintiv missverstanden von «Blick» und Konsorte. Zu ihr gehören bissige, fatalistische Gesellschaftskritik in Internet-Jugendsprech und eine meist weisse Sturmmaske.

Nun, hat man einen Einblick in das Schaffen der Protagonist:innen dieses Projekts gewonnen, glaubt man zu wissen, was einen beim Treffen erwartet. Ein «wilder Haufen», pure Provokation und Grenzüberschreitungen. Doch dann bekommt man einen Kaffee serviert und das Gespräch beginnt zurückhaltend, fast schüchtern. Es steigert sich nach kleinem Warmwerden zu einer Diskussion über die Grenzen von Kunst und der Provinz als perfekten Ort des kreativen Schaffens. JJ, wie Jurassica von ihren Kollegen genannt wird, fehlt in der Runde, sie ist für einen Aufritt nach Basel gefahren.

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Wer ist hier pubertär?

Zusammengekommen ist «Dieter Meiers Rinderfarm» im Jahr 2019 in Buenos Aires. Nägeli war für ein halbes Jahr in einem Atelierstipendium, wo ihn Jessica Jurassica besuchte und spontan auch Jeremias Heppeler, den er zu dem Zeitpunkt jedoch nur flüchtig kannte. «Es klickte sofort», sagt Heppeler. Die Ablehnung der Hochkultur, der gemeinsame Spass an Kitsch und Trash, am Absurden, am Eskapismus, an Brüchen und Zwischenräumen seien es.

«Es geht darum, mit Grenzen zu spielen, mit ästhetischen, mit jenen des Werkbegriffs und auch mit den Gewohnheiten des Publikums», so Heppeler. Sie hätten gerade auch hier in Kreuzlingen versucht, die üblichen Abläufe einer Ausstellung aufzulösen und den Prozess dann als öffentlichen Raum mit einem Publikum zu teilen. Dabei positive, irritierte, überforderte oder angeregte Reaktionen zu erhalten, sei das Ziel. «Wir wollen Reflexe enttarnen und wir wollen Reibung. Wir reiben uns an allem», fügt Heppeler an.

Einen eignen «Stil» zu finden, das reize sie hingegen nicht, so Nägeli. Ihre Arbeiten sollen auf den Punkt perfekt sein, um im nächsten Moment zu zerfallen und zu irritieren. «Sobald gewisse Stilmittel sauber abrufbar sind, verfallen wir in Abwehrhaltung gegen sie.» Dann müsse man hart reincrashen.

Dass ihnen aufgrund ihrer Ästhetik, der Provokation oder der Sprache auch mal der Vorwurf des Pubertären oder des Geblödels begegne, sei nicht neu, so Heppeler. Doch im Gespräch mit den beiden ist längst klar, wie ernst sie Themen angehen und sich an ihnen abarbeiten. Wie sehr sie auf Details achten und über Kleinigkeiten diskutieren.

«Alles, was vom intellektuellen Ernst der sogenannten Hochkultur abweicht, als pubertär oder ähnliches abzuwerten, finde ich eine ziemliche Scheisshaltung», meldet sich Jurassica von Basel aus dazu zu Wort. Mit Humor zu arbeiten und Spass an etwas zu haben, bedeute nicht, flache Inhalte ohne Tiefe zu produzieren. «Gerade wenn sich die Welt mal wieder erdrückend und aussichtslos anfühlt, hat Humor das Potenzial, sich kritisch mit ihr auseinanderzusetzen, ohne an ihr kaputtzugehen.»

Voll.