«Message! Italia 83» des amerikanischen Künstlers Keith Haring in der Kolumne von Naomi Gregoris im FRIDA Magazin

«Message! Italia 83» des amerikanischen Künstlers Keith Haring aus der Sammlung des Kunstmuseum Basel.

Bild: zvg Kunstmuseum Basel

Kunst-Kolumne

Ganz schön flach – über die Biederkeit politischer Plakate

Die Schweizer Politiker:innen sind auf Wählerfang und wollen sich als aufgeschlossene Zeitgenossen präsentieren. Ihre Plakatkampagnen überbieten sich jedoch an Biederkeit. Da könnte der Politbetrieb einiges von der Kunst lernen, schreibt Naomi Gregoris in ihrer neusten Kolumne.

Von Naomi Gregoris

Basel, 05.10.2023

3 min

Derzeit gibt es in der Schweiz kaum einen Ort, der nicht mit Plakaten zugepflastert ist. Sie sehen im Grunde alle gleich aus: Fade inszenierte Menschen, die gut frisiert und zahnreich lächelnd zum Wählen animieren sollen.

Wählen ist zweifellos gut und wichtig, ich bin mir aber unsicher, ob diese Plakate wirklich ihren Zweck erfüllen. «Das isch so whack», hörte ich kürzlich einen erheblich jüngeren Menschen sagen, als er an einem Plakat einer eher bürgerlich eingestellten Politikerin vorbeilief.

«Whack», für diejenigen, die den Begriff nicht kennen (und diese Politikerin womöglich trotz oder wegen ihrer «Whackness» wählen werden), bezeichnet etwas nicht Cooles. Wie einen Steingarten oder T-Shirts mit Sinnsprüchen. Wie «Boomer», aber als Adjektiv.

Leider sind die meisten Wahlplakate 2023 (und auch alle Wahljahre zuvor, soweit ich mich erinnern kann) eher auf der «whacken» Seite. Was wohl damit zusammenhängt, dass man so wenig Menschen wie möglich abschrecken will.

Verflachung war schon immer ein Mittel zur Mehrheitsfähigkeit, die Gleichung macht auch vor den armen Plakaten nicht Halt.

In einer idealen Welt wäre ein Wahlplakat wie das Poster «Message! Italia 83» von Keith Haring aus der Sammlung des Kunstmuseum Basel. Diese Farben, diese Brisanz, diese Message! Dich würd ich sofort wählen, wärst du eine Politikerin und nicht das Ausstellungsland. Schaut her, sagt dieser Offsetdruck, dafür stehe ich: Kraft, Herz, Verstand. Dazu sattes Rot, gutes Grün. Was will man mehr?

Ein geglücktes Plakat, so der Kunsthistoriker Kai Artinger, zeichne sich durch einen «optischen Schrei» aus. Es muss Aufmerksamkeit erregen, Meinungen bilden. Eine umstrittene Kunst, welche die SVP als einzige Partei in der Schweiz mit ihren Abstimmungsplakaten richtig gut beherrscht. In erster Linie, weil sich ihre Inhalte auf ein paar Kampfbegriffe reduzieren lassen.

Doch wenn Meinungsbildung die grösste Währung ist, wieso kommen Wahlplakate nicht entsprechend daher? Schliesslich wählen wir den Menschen, der uns wie Harings Muskelprotz im Herzen trägt und nach aussen hin verteidigt. Lässt sich der Kampf um politische Macht wirklich nicht grafisch aufregender umsetzen?

Gewinnt am Ende doch die Biederkeit?

Anna Rosenwasser, die für den Nationalrat kandidiert, hat in ihrem Instagram-Account eine inoffizielle Kampagne mit falschen Plakaten gestartet («Die Plakate sind fake, meine Kandidatur ist echt.»), was ein wunderbarer Anfang ist, auch wenn sie nur die Slogans verfremdet hat, etwa: «Rosenwasser statt Fremdenhasser».

In vier Jahren ist‘s hoffentlich nicht mehr nur ein Instagram-Account und in acht Jahren dürfen dann endlich auch aufregendere Grafiker:innen her. Ausser die «Whackness» tut, was sie oft tut, wie etwa bei der Causa Sportsocken in Sandalen: Trends setzen. Etwas, was gerade noch als grauenhaft bieder galt – Sportsocken! in! Sandalen! – ist plötzlich der letzte Schrei.

Für eine Weile vereint die neue Fuss-Ikone in seltsam berührender Vermengung Alt und Jung, wenn auch nur äusserlich und auch nicht wirklich, gestylt wird schliesslich anders, aber immerhin, ein Konsens scheint da zu sein. Und was ist Politik anderes als Konsens?

Allerdings auch nur im besten aller Fälle und drum einigen wir uns doch auf kunstvolle Wahlplakate, die haben wenigstens ein eigenes Fahrwasser und sind schön anzuschauen. Und das wäre im ständigen Gerede auf all den tausend anderen Kanälen auch einfach mal ganz angenehm.