Ende Mai schrieb eine Irin namens Shelby Lynn auf Twitter und Instagram, sie sei nach einem Rammstein-Konzert in Vilnius backstage unter Drogen gesetzt und vom Sänger Till Lindemann zum Sex aufgefordert worden, der wütend reagierte, als sie ablehnte. Dazu postete Lynn Fotos von Verletzungen, mit der Angabe, sie könne sich nicht daran erinnern, wie diese zustande gekommen seien.
Die Band dementierte den Vorfall per Twitter und bat darum, Vorverurteilungen zu unterlassen – sowohl der Band wie auch des mutmasslichen Opfers gegenüber. Eigentlich sollte hier ein Plural stehen, denn Lynns Post folgten etliche Wortmeldungen von Frauen, die ebenfalls von Gewalterfahrungen mit Rammstein berichten.
Sexualisierte Gewalt ist ein grauenhafter Strafbestand – allerdings einer, der sich sehr selten beweisen lässt. In der Schweiz hat eine von fünf Frauen über 16 ungewollte sexuelle Handlungen erlebt, aber nur acht Prozent der Betroffenen erstatten Anzeige. Grund dafür ist ein veraltetes Sexualstrafrecht (das sich momentan in Reform befindet), das für die Anerkennung von Vergewaltigungen ein Ausüben von Gewalt voraussetzt, welches vom Opfer «bewiesen» werden muss.
Aber das ist nicht die einzige Hürde. Mindestens ebenso schwer wiegt die Tatsache, dass sexualisierte Gewalt während Jahrhunderten banalisiert wurde – und die Kunstgeschichte liefert als Spiegel der Gesellschaft wie immer eindringliche Beispiele dazu.
Die Gerettete
Zur Veranschaulichung wähle ich eine berühmte biblische Geschichte, in der es um sexuelle Nötigung geht: Susanna im Bade. Kurz erzählt: Eine reiche, verheiratete Frau will sich baden. Zwei Männer spüren sie auf und wollen sie zum Beischlaf zwingen. Sie sagen ihr, dass sie ansonsten die Anklage erheben, Susanna habe Ehebruch mit einem jungen Mann begangen.
Susanna bleibt standhaft, schreit, die Männer ebenso, die Diener:innen eilen herbei, am nächsten Tag wird Anklage erhoben und Susanna zum Tode verurteilt. Woraufhin Gott einen Jüngling dazu «erweckt», die Wahrheit zu verkünden. Das Unterfangen endet erfolgreich, Susanna bleibt am Leben, Daniel wird gefeiert, die Täter getötet.
Das Bild dazu befindet sich in der Sammlung des Kunsthaus Zürich und ist ziemlich klassisch für einen Alten Meister mit diesem Motiv (von denen es etliche gibt): Susanna mit der unschuldigen porzellanweissen Haut steht am geschwungenen Waschstein und schaut angsterfüllt nach oben. Ihre linke Hand widerspricht dem Gesichtsausdruck: Unmissverständlich weist sie ein STOPP aus, die fünf kräftigen Finger ausgespreizt.
Die Geste betrifft mehr uns als die beiden Männer, die links im Halbschatten lauern und Susanna nötigen. Halt, scheint sie zu sagen, seht hier nicht, was ihr zu sehen denkt. Sie macht uns zu Täter:innen, und sie ist nicht die Einzige: Auch der eine Mann macht eine Geste mit seiner Hand: Kommt her, vermitteln die gebeugten Finger, macht mit.