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«Ich bin nicht an die Seele des Kosovos herangekommen und das wollte ich ändern.» Foto: Arzije Asani

Ilir Hasanaj im Porträt

Zurück zu den Wurzeln - Ein Regisseur sucht im Kosovo nach seiner Identität

Ilir Hasanaj fühlte sich weder im Kosovo noch in der Schweiz wirklich zuhause. Dann beschloss er, das Land, aus dem seine Familie geflohen war, neu zu entdecken. Heute hilft er jungen kosovarischen Filmschaffenden, die Welt ausserhalb ihres Heimatlandes zu entdecken.

Von Arzije Asani

Zürich, 08.09.2022

10 min

«Spinnst du?», fragen ihn Freund:innen und Bekannte, wenn Ilir Hasanaj im Kosovo erzählt, dass er freiwillig in das Land zurückgekehrt ist. «Sie sind schockiert. Ich habe einen Schweizer Pass, mit dem ich überall hin reisen kann. Ich habe das, was sich viele Kosovaren wünschen – Freiheit», erzählt der 35-jährige Filmregisseur. Geboren ist er in der kosovo-albanischen Region Dukagjin, dort wohnte er bis zu seinem siebten Lebensjahr. Aus politischen Gründen musste er 1993 zusammen mit seiner Familie fliehen und landete in Winterthur. 

Bereits als Kind im Kosovo bekam er das Gefühl von Ablehnung aufgrund seiner Nationalität zu spüren, erzählt Hasanaj. Ende der 80er Jahre kam Slobodan Milosevic an die Macht und Kosovo verlor seine Autonomie. Die Kosovoalbaner:innen wurden in ihrem eigenen Land von der serbischen Minderheit, welche mehrheitlich zu den institutionellen Machthabern stand, diskriminiert. Viele albanische Schulen wurden geschlossen, Hass und Gewalt nahmen zu.

Hasanajs Vater setzte sich in den 80er Jahren als Student für mehr Rechte für die Kosovoalbaner:innen ein und verteilte politische Flyer. Kurz darauf wurde er festgenommen und kam für ein Jahr ins Gefängnis. Aufgrund dieser Vorgeschichte wurde er von der serbischen Regierung als gefährlich eingestuft und 1993 in die Armee berufen. «Er wusste, wenn er dorthin geht, ist es vorbei, also floh er in die Schweiz und wir kamen wenige Monate später nach.», erzählt Hasanaj.

Von «Hasanaj» zu «Häse» und wieder zurück

In der Schweiz angekommen, verspürte Hasanaj wieder Ablehnung, wieder aufgrund seiner Herkunft. «Natürlich war es nie so schlimm wie im Kosovo, aber es erinnerte mich daran. Ich fühlte mich unerwünscht.» Er versuchte sich so gut es geht zu integrieren und verschweizerte sogar seinen Namen zu «Häse». «Ich war etwas genervt davon, dass die Leute meinen Namen nicht  aussprechen konnten oder ich immer auf den Kosovo angesprochen wurde und eine Geschichtsstunde halten musste.» Hasanaj brauchte viel Zeit, um zu verstehen und zu reflektieren, dass der Auslöser für sein Unwohlsein auch mit den Vorurteilen der Schweizer Gesellschaft zu tun hat und der Stereotypisierungen des negativ konnotierten Albaners.

«Irgendwann habe ich gemerkt, dass die Schweiz von mir verlangt, mich auf eine Identität zu beschränken. Man will, dass ich mich entscheide und das ist falsch. Ich kann einen großen Teil von mir nicht einfach ablegen und löschen. Es hat sich angefühlt, als müsste ich mir einen Arm abschneiden.» 

 

 

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Ilir Hasanaj feierte erst kürzlich in Prizren die Premiere seines Dokumentarfilmes über die LGBTQ-Community in Kosovo: «As I Was Looking Above, I Could See Myself Underneath» Er erzählt fünf intime Geschichten über verschiedene Menschen, die unermüdlich nach einem sicheren Ort suchen, an dem sie sein können.

Später begann Hasanaj wieder, sich mit seinem richtigen Namen vorzustellen. 2015 schloss er sein Filmstudium an der Zürcher Hoschule der Künste ab und stürzte sich direkt in ein Filmprojekt. In Pristina, Belgrad und Zürich realisierte er «Baushtellë: Balkan Temple», eine Co-Produktion von Rina Kika, Tobias Bienz und Arber Salihu. Das künstlerische Grossprojekt thematisierte die Frage: «Woran glaubst du?». Durch diese Arbeit bekam Hasanaj die Möglichkeit, die alternative Szene des Kosovos kennenzulernen. Mit seinen Kolleg:innen, insbesondere Rina Kika, sprach er viel über Traditionen und Kriegserfahrungen und kam so seiner albanischen Identität ein bisschen näher. «Es tat mir so gut, mich selbst zu hinterfragen und mir meinen Privilegien in der Schweiz bewusst zu werden.» 

Nach dem Projekt entschied sich Hasanaj seinen Wohnort zu wechseln und zog nach Pristina.

«Ich habe bis dahin den Kosovo nur im Sommer erlebt. Ich kannte also nur den Diaspora-Kosovo und habe ihn immer für schöner gehalten, als er ist und das Land nie wirklich kennengelernt. Ich bin nicht an die Seele des Kosovos herangekommen und das wollte ich ändern.» 

Hasanaj erzählt, dass er sehr dankkbar ist für die Möglichkeiten, die er in der Schweiz erhalten hat und immer noch erhält. Trotzdem wolle er auch seine kosovarische Seite erforschen und als Kulturschaffender nach neuen filmischen Herausforderungen suchen: «Kosovo ist ein sehr junges Land. Ich wollte helfen und etwas zurückgeben. Es ist nicht Schuld, die ich gegenüber dem Land empfinde. Ich denke einfach, dass meine Fähigkeiten und Talente im Kosovo mehr gebraucht werden. Die Dringlichkeit ist grösser. Meine Identitätssuche und der Drang nach Entfaltung haben mich schlussendlich dazu getrieben, in den Kosovo zurückzugehen.» 

Hasanaj begann so ein Gebiet kennenzulernen, das er sonst nur von seinen Eltern kannte: «Ich finde es sehr spannend bei der Entstehung dieses neuen Staates dabei sein zu dürfen und ein kleines Zahnrad in diesem grossen Getriebe zu sein.» In Pristina schloss sich Hasanaj mit Alush Gashi und Vigan Nimani zusammen und baute das erste alternative Kino der Stadt auf. Seit 2018 ist das «Kino Armata» nun Zentrum für alternative Kultur und sozialen Dialog. Es ist öffentlich zugänglich und bietet nicht nur Screenings alternativer Filme, sondern auch Workshops für junge Filmschaffende und Events mit internationalen Regisseur:innen. 

«Kino Kosova» bietet neue Möglichkeiten

«Die Kunstszene im Kosovo explodiert regelrecht. Es gibt so viele Kunstschaffende, aber viel zu wenig Möglichkeiten. Hinzu kommt, dass die Bevölkerung wegen des strengen Visaregimes isoliert ist und nicht wirklich an der Welt teilhaben kann», erzählt Hasanaj. Durch seine Arbeit bei der Kinoreihe «Kino Kosova» hat er nun die Chance, diesem Umstand entgegenzuwirken und wenigstens ein paar jungen Filmschaffenden die Reise ins Ausland zu ermöglichen.

«2020 hat mich Sabahet Meta, der künstlerische Leiter von «Kino Kosova», kontaktiert, als mein Film «to want, to need, to love» in der Schweiz gezeigt wurde. Wir verstanden uns auf Anhieb und da ich mich sehr gut in der kosovo-albanischen Filmlandschaft auskenne, fragte er mich, ob ich mitmachen möchte.»

Kino Kosova

Das Programm der Kinoreihe «Kino Kosova» findet ihr hier. 

Vorurteile abbauen und Kritik äussern

Die Kinoreihe «Kino Kosova» findet Mitte September in Bern statt und soll Räume für aktuelle Filme aus dem Kosovo und der Diaspora schaffen, diverse Perspektiven aus dem noch sehr jungen Land zeigen und die Beziehung zwischen der Schweiz und dem Kosovo reflektieren. Die Regisseur:innen reisen aus dem Kosovo an und stehen nach den Filmscreenings für Gespräche mit den Zuschauer:innen zur Verfügung.

«Das Publikum ist sehr unterschiedlich. In Zürich besteht es zu einem grossen Teil aus Menschen aus der Diaspora und in Bern sind es mehr Schweizer:innen, die kommen.»

Hasanaj betont, dass die Filme einen neuen Horizont eröffnen und direkte Gespräche ermöglichen. Doch gelingt dadurch die Annäherung tatsächlich? Hasanaj zumindest ist sehr überzeugt davon:

«Auf jeden Fall. Ich finde, das Medium Film erreicht sehr viele Leute, da es verschiedene Kunstdisziplinen zusammenbringt: Ton, Musik und Bewegtbild. Die Filmregisseur:innen erzählen durch ihre Filme Geschichten und bieten so dem Publikum eine Reise in eine andere Welt.» Bei den Zuschauerzahlen würde er sich noch ein bisschen Zuwachs wünschen, auch wenn er davon ausgeht, dass die Filmreihe auch mit der jetzigen Grösse einiges bewirken kann. Es brauche noch ein bisschen Zeit, bis es sich herumspricht und mehr Leute erreicht werden können.

Hasanaj ist optimistisch: «Die kosovarische Filmlandschaft hat viel zu bieten. Ich bin überzeugt davon und sehe, dass «Kino Kosovo» jedes Jahr wächst und diese kulturelle Brücke zwischen den beiden Ländern immer stärker wird. Das Interesse steigt, denn die Filme überzeugen.» 

Die Filmemacherinnen lassen die Männer alt aussehen

Auf die Frage, ob «Kino Kosova» hilft Vorurteile gegenüber den Kosovar:innen abzubauen, antwortet Hasanaj: «Absolut. Die Filme zeigen uns unverfälschte Wahrheiten und bringen uns dazu, zu hinterfragen. Natürlich zeigen wir aber auch gesellschaftskritische Filme, in denen es zum Beispiel um Gewalt geht. Wir sind schliesslich keine Tourismusagentur. Aber ich denke, dass die Vorurteile vor allem auf Angst basieren. Durch direkte Gespräche und diese kulturelle Brücke kann diese Angst aufgelöst werden.» 

Das nächste «Kino Kosova»-Event findet vom 14. bis 18. September in Bern im Kino Rex, der Reitschule und einigen weiteren Orten statt. Der Fokus liegt auf Filmen, bei denen Frauen Regie geführt haben. «Um ein Gleichgewicht herstellen zu können, müssen wir Frauen bevorzugen und unterstützen», sagt Hasanaj. «Nie hatte ein kosovarischer Film so Erfolg wie «Hive» von Blerta Basholli. Die kosovarischen Filmemacherinnen lassen uns Männer momentan gar nicht gut aussehen, weil sie so stark sind. Und genau jetzt ist es wichtig, dass wir nicht einfach Bravo sagen, sondern sie unterstützen und diese schädlichen Stereotype aufbrechen.»