Literatur-Tipp

Buchtipp der BuchBasel

Liebe Menschen – Hallo! Und herzlich willkommen auf Frida und in der «BuchBasel-Buchtipp»-Ecke. Einmal im Monat verrate ich euch hier meine Lese-Highlights und empfehle Bücher und Geschichten, die mich berühren, beschäftigen, manchmal vielleicht auch ein kleines bisschen ärgern – und gerade deshalb faszinieren. Hier gibt es Buchtipps für Menschen, die entdecken, diskutieren, wissen, wachsen, aber auch schwärmen wollen.

Von Marion Regenscheit

Basel, 15.03.2022

5 min

Tanja Maljartschuk: «Überflutet»

Es gibt viele Formen von Unterstützung und Widerstand; Lesen ist keine besonders wirksame. Trotzdem möchte ich euch die Bücher der ukrainischen Schriftstellerin Tanja Maljartschuk ans Herz legen. In ihrem jüngsten Roman «Blauwal der Erinnerungen» führt sie uns durch ein Jahrhundert ukrainischer Geschichte. Sie folgt in sehr poetischer Sprache den Spuren des ukrainischen Nationalhelden Wjatscheslaw Lypynskyj. Gerahmt wird die Recherche von einer Icherzählerin, die wegen Panikattacken an ihre Wohnung gefesselt ist und der eigenen Vergangenheit nachspürt. Auch wenn ich fasziniert bin von Maljartschuks Sprache, dieser Prosapoesie und der Mischung aus Melancholie und Heiterkeit, ist es kein leichter Stoff. Wem gerade die Kraft für noch mehr Leid fehlt, dem empfehle ich «Überflutet».

Ein schmaler, sehr schöner Erzählband, zweisprachig auf Ukrainisch und Deutsch, über die Liebe, über Sehnsucht – auch über Enttäuschungen. Vor allem aber über wahnsinnig viel Regen und Wasser. In der Geschichte verbringt eine junge Frau den Sommer bei ihrer strengen Tante in einem kleinen ukrainischen Dorf. Es treten nicht nur Bäche und Flüsse über die Ufer, sondern auch ihre Gefühle. Sie ist das erste Mal verliebt.

Tanja Maljartschuk: «Überflutet»
Edition Thanhäuser, übersetzt von Harald Fleischmann.

Julia von Lucadou: «Tick Tack»

Sehr, sehr heutig und digital (sofern das in einem analogen Buch möglich ist) ist der neue Roman von Julia von Lucadou mit dem Titel «Tick Tack». Und wer dahinter auf Anhieb eine TikTok-Story wittert, liegt damit absolut richtig. Lasst euch in dem Fall nicht von diesem nach Boomer-Humor klingenden Titel irritieren. Gegen den ganzen Boomerism kämpfen nämlich auch die beiden Hauptfiguren Mette und Jo.

Die Geschichte geht so: Bevor sich die 15-jährige Mette auf die U-Bahn-Gleise legt, kündigt sie in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Sie ist frustriert von allen Verlogenheiten um sie herum. Niemand reagiert – gerettet wird sie trotzdem. Und plötzlich sind alle verwirrt, war sie doch so lange das brave, hochbegabte Kind. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, ziemlich schlau und voller Wut. Ein Verbündeter? Ein Verehrer? Jemand, der sie vielleicht auch ein bisschen mag? Oder doch ein frustrierter Incel? 

Ich musste ganz schön oft lachen bei der Lektüre dieses Buchs, und ich finde es erfrischend und faszinierend, wie sich die deutsche Autorin eine komplett eigene und andere Sprache angeeignet hat. Beim Lesen hatte ich ständig irgendwelche Sound-Schnipsel im Ohr und sah Memes vor meinem inneren Auge. Julia von Lucadou ist es mit «Tick Tack» gelungen, das Jetzt und die Bedürfnisse der Menschen, die sich doch alle irgendwie ähnlich sind, erschreckend perfekt einzufangen.

Buchcover Julia von Lucadou: «Tick Tack» Hanser Berlin

Julia von Lucadou: «Tick Tack»
Hanser Berlin

Natasha Brown: «Zusammenkunft»

Suhrkamp, übersetzt von: Jackie Thomae

Das erste Buch der britischen Autorin, eine Autofiktion, war in England ein riesiger Hype. Im Februar ist nun die deutsche Übersetzung erschienen, aber so richtig wahrgenommen wurde ihr Debüt hierzulande noch nicht. Was mich erstaunt, denn ich finde, es ist ein richtig guter, kurzer Roman über Diversität, Klassismus, Sexismus und die Schwierigkeiten sozialen Aufstiegs. Das Buch ist dicht erzählt, mal tagebuchartig, mal beschreibend, mal mit kurzen Dialogen. Und immer ist er spürbar, dieser Druck und diese Angst, die auch die namenlose Protagonistin im Roman hat.

Die Erzählerin hat viel mit der Autorin Natasha Brown gemeinsam. Sie ist eine schwarze Frau, die sich erfolgreich in der Londoner Finanzbranche nach oben gekämpft hat. Doch im Gegensatz zu der Schriftstellerin, die seit 2019 vom Schreiben leben kann, macht die Hauptfigur dort weiter Karriere. Obwohl sie das gar nicht wirklich glücklich macht. Auch die Beziehung mit einem privilegierten Mann mit altem Geld, der seiner politischen Karriere durch die Beziehung mit ihr «liberale Glaubwürdigkeit» verleihen will, macht sie nicht glücklich. Es wird Zeit für eine Entscheidung. Der Roman ist super kurz und dadurch auch voll mit Leerstellen, die man als Leser:in selber füllen kann. In diesem Buch wird viel mehr erzählt, als Natasha Brown Worte dafür verwendet. Und es wird deutlich, dass das Versprechen auf «soziale Mobilität» ein verlogenes ist.

Cover des Buches

Natasha Brown: «Zusammenkunft»
Suhrkamp, übersetzt von: Jackie Thomae

Marion Regenscheit ist Leiterin des Literaturfestivals BuchBasel und eine chronische Vielleserin. Sie ist ständig von Büchern umgeben, sieht Bücher als ein gesellschaftliches Phänomen, liebt Geschichten und ist fasziniert von Schnittstellen und Interfaces aller Art – selbstverständlich besonders dann, wenn Bücher und ihre Leser:innen involviert sind.