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Theaterkritik

Es braucht nicht unbedingt LSD

Die Regisseurin, Autorin und Performerin Brandy Butler hat in der Gessnerallee Zürich ihre Oper «MITOSIS – an LSD Opera» uraufgeführt. Ein lohnenswerter Trip.

Von Mathias Balzer

Zürich, 03.04.2025

4 min

Brandy Butler sagt im Interview zu ihrem Stück: «Ich erhoffe mir, dass die Leute nach der Vorstellung das Gefühl haben: Ich habe geübt zu sterben.»

Die Regisseurin und ihr Ensemble stellen dem Tod eine grosse, schwierige Frage: Können Substanzen wie LSD, Psilocybin oder MDMA helfen, das nahende Verschwinden erträglicher zu machen? Verschiedene wissenschaftliche Studien, die im Zuge der Enttabuisierung des Stoffs gemacht werden, deuten darauf hin.

Nur: Wie bringt man LSD auf die Bühne? Der Rausch ist kaum darstellbar, noch weniger zu verallgemeinern, da er immer von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur der Reisenden geprägt ist.

Zwar gibt es gute, sehr differenzierte Texte über Trips, wie diejenigen des LSD-Entdeckers Albert Hoffmann, des Islamwissenschaftlers und Drogenforschers Rudolf Gelpke oder etwa Aldous Huxleys «Die Pforten der Wahrnehmung».

Aber solches mit Bühnenmitteln darzustellen ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Da funktioniert das Kopfkino der Lesenden besser.

Reise ins Herz des Diesseits

Brandy Butler baut ihr Libretto aus eigenen Recherchen, und wagt die grosse Geste. Sie macht aus dem Stoff eine Oper – eine kleine zwar, denn sie selbst performt als LSD-Therapeutin mit nur vier weiteren Darsteller:innen. Aber wie das so ist bei Trips: Die Grössenverhältnisse relativieren sich schnell einmal.

Das Krankenzimmer in Brandy Butlers LSD-Oper.

Das Krankenzimmer in Brandy Butlers LSD-Oper.

Bild: Philip Frowein

Butlers Reise beginnt im engen Krankenzimmer mit der Krebs-Diagnose einer noch jungen Patientin, den Untersuchungen, den Ärzten, die nichts Besseres kennen, als eine Chemotherapie zu verschreiben. Und da sind die Ängste, die Wut, die Zweifel und die Verzweiflung der Patientin, die ihr nahes Ende nicht akzeptieren kann.

Die Therapeutin schlägt ihr eine LSD-Therapie vor und wirbt dafür in Form einer Arie, welche die Befreiung des Stoffs aus der restriktiven Drogenpolitik fordert, dem zu Beginn der 1980er-Jahre von Ronald Reagan lancierten «War on Drugs». Eine mit Videoschnipseln untermalte Protesthymne, bei der das Party und  Pillen erprobte Zürcher Premierenpublikum Szenenapplaus spendet.

Nur: Die bewusstseinserweiternde Therapie schlägt bei der Patientin ebensowenig an wie gesund Essen oder Tai-Chi-Kurse. Die Therapeutin insistiert: Es gehe letztendlich um Vertrauen. Vertrauen in sich selbst. Eine Stelle im Stück, bei der Unsicherheit aufkommt, ob diese Auseinandersetzung mit dem Sterben bei wohl gemeinten Kalendersprüchen stehen bleibt.

Doch unversehens kippt der eher diskursive Einstieg ins Thema ins rein Musikalische, Performative, Bildhafte. Und Butler und ihr Ensemble lassen sich dafür Zeit. Die Annäherung ans Sterben ist schliesslich kein Schnellimbiss-Menue.

Und siehe da: Plötzlich weitet sich der Raum. Sinnbildlich dafür klappen auch die Wände des engen Patientenzimmers auf. Sound und Gesang beginnen um eine Sterbechoreografie zu kreisen, die – obwohl nicht leicht entschlüsselbar – Sog entwickelt.

Die Musikerin und Sängerin Annie Goodchild in «MITOSIS – an LSD Opera».

Die Musikerin und Sängerin Annie Goodchild in «MITOSIS – an LSD Opera».

Bild: Philip Frowein

Der Tod kommt letztendlich als wogendes Bildermeer, gespiesen aus den Flüssen der Erinnerung. Und am Ende spendet eine trauernde Gospel-Diva Trost, der unter die Haut geht. Oder besser: Sie beschwört den Frieden und die Liebe, die uns alle mit der Endlichkeit versöhnen.

Für diese sensibel und klug gebaute Annäherung an unser aller baldiges Verschwinden gab es in Zürich Standing-Ovations. Und die Einsicht, dass es zur Bannung der Todesangst nicht unbedingt LSD braucht. Ein guter Theaterabend leistet das auch – wenigstens für einen flüchtigen Moment.


«MITOSIS – an LSD Opera»
Brandy Butler

Gessnerallee Zürich:
Sa, 5.4.2025, 20 Uhr
Di, 8.4.2025, 20 Uhr
Do, 10.4.2025, 20 Uhr

Kaserne Basel
Mi, 23.04.2025 20 Uhr
Do, 24.04.2025 20 Uhr