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Marina Abramovic während der Medienorientierung zu ihrer Ausstellung im Kunsthaus Zürich.

Bild: Til Bürgy, Keystone.

Kunstkritik

Marina Abramović – Geht es um Kunst oder um Wellness?

Performance ist die Kunstgattung der Stunde. Wie schwer sie es im Museum hat, zeigt Marina Abramovićs Ausstellung in Zürich.

Von Mathias Balzer

Zürich, 30.10.2024

5 min

Superstar der Kunst; Ikone der Performance; Legende; Göttin unserer Zeit: Die Person Marina Abramović wird derzeit mit Superlativen in den Rezessions-Himmel geschrieben. Und ja, an der Medienorientierung im Kunsthaus Zürich war es auch ein wenig so, als ob die Päpstin persönlich auftreten würde. Direktorin Ann Demeester betonte denn auch, dass noch nie so viele Pressevertreter:innen ins Kunsthaus geströmt seien. Alle gespannt versammelt, um IHR zu lauschen.

Abramović schien den Rummel cool zu nehmen. Die beeindruckende Bühnenpräsenz hat sie sich in den letzten Jahrzehnten antrainiert. Die Fragen der Kuratorin Mirjam Varadinis unterlief sie mit nonchalantem Humor. Gleichzeitig verpasste es die 78-Jährige Künstlerin aber nicht zu betonen, dass sie eine der wenigen – gar die einzige? – überlebende der Performance- Avantgarde sei.

Die Künstlerin als Marke

Was ihr sicher attestiert werden kann: Kaum jemand aus dieser Szene konnte sich so gut und konsequent vermarkten. Etwa mit der Oper über ihr eigenes Leben, inszeniert von Bob Wilson; oder der eigenen Kosmetik-Linie und dem Shop Longevity Method, wo der Konsument – da er laut der Künstlerin unter zu viel Konsum leidet – Energie- oder Immun-Tropfen kaufen kann.

Und dann ist da noch die Vermarktung der Abramović-Methode, z.B. mittels dem Workshop «Cleaning the house». Ein fünftägiges Retreat in einem Landhaus in Griechenland zwecks Training von Konzentration und Achtsamkeit. Kosten: 2450 Euro – ohne Anwesenheit der Künstlerin. Derzeit besteht eine Warteliste.

Konsequent ihren Weg gegangen

Um hier nicht ins Jammern über Kunst- und Selbstvermarktung zu verfallen: Es ist selbstverständlich, wenn eine Künstlerin oder ein Künstler seine Arbeiten vor dem Vergessen bewahrt, pflegt, sie weiterentwickelt und sie in immer neue Kontexte führt. Und spätestens seit Andy Warhol kann auch Business durchaus Kunst sein – und also legitim. Zumal ja gerade Performance ein brotloses Metier ist, wie die Künstlerin an der Medienorientierung auch eingestand: Leben konnte sie von ihrer Kunst lange nicht. Sie habe ihren Unterhalt über Jahrzehnte mit Unterrichten bestritten.

Berühmt wurde Abramović vor allem mit den Performances, die sie mit ihrem Partner Ulay von 1976 bis 1988 entwickelt hat. Diese Arbeiten sind auch in der Ausstellung in Zürich das Gravitationszentrum. «Rest Energy», «Relation in time» oder «Rhythm O» sind Ikonen der Performance-Kunst geworden. Trotzdem sollte inmitten des Jubels nicht untergehen, dass es in ihrer Generation viele Performer:innen gab, deren Arbeiten ebenso interessant waren.

Es gab viele andere

Gerade wenn Abramović als die Schmerzensfrau der Kunst verhandelt wird, geht vergessen, dass es noch viele andere Schmerzensmänner und – frauen gab: etwa der Ameriakner Chris Burdon, der sich in die Arme schiessen liess; der sich an Fleischhaken aufhängende Stelarc oder Carolee Schneemann – um nur ein paar zu nennen. Sie sind – ausser in Fachkreisen – heute in Vergessenheit geraten. Und wer sich schlau machen möchte, in welcher Vielfalt sich die Performance-Kunst in der Schweiz entwickelt hat, dem sei ein Ausflug in das fantastische Online-Archiv «Revolving Histories» empfohlen.

Nun touren die Werke Abramovićs also einmal mehr durch die Museen Europas. Die aktuelle Schau war vor Zürich auch in London und Amsterdam zu sehen und geht danach nach Wien. Der Superstar-Rummel wird dem Verständnis und der Verbreitung von Performance wahrscheinlich helfen. Die Begegnung mit diesem Werk wird für viele, die es noch nicht kennen, ein Erlebnis und ein Augenöffner sein. Die Ausstellung offenbart aber auch exemplarisch die Schwierigkeiten der musealen Präsentation dieser Live-Kunst.

Die Schule der Asketen

Abramovićs Kunst und Suche speist sich zu einem beträchtlichen Teil aus der alten, weltweiten Schule der Asketen. Sie selbst beschreibt in ihrer Biografie «Durch Mauern gehen», wie sie sich in einem nordindischen Kloster einem dreimonatigen Schweige-Retreat in einer verschlossenen Hütte unterzieht. Oder sie berichtet von der beschwerlichen, alle Kräfte überfordernden Bergwanderung zu einem buddhistischen Lama – an deren Ende sie in Tränen der Erkenntnis und Gnade ausbricht.

Asketen-Übungen sind immer Langzeit-Performances. Sei es das Leben des Säulenheiligen Symeon, die indischen Saddhus, die Jahre auf einem Bein verbringen, oder die Zen-Mönche in Japan, die während zehn Jahren jeden Tag einen heiligen Berg umrunden.

Abramović tut es ihnen gleich und überschreitet in ihren Arbeiten Grenzen des Körperlichen, um durch Schmerz, Anstrengung und Entsagung einen höheren Level von Konzentration, eine andere Dimension der Welterfahrung zu öffnen.

Das Problem dieser durch asketische Techniken aufgeladenen Kunst ist, dass wir der Performerin oder Mystikerin nur dabei zuschauen können. Wir können an ihrer transzendenten Erfahrung nicht wirklich teilnehmen, wir können sie höchstens erahnen.

Willkommen im Wellness-Tempel

Abramović hat dies schon früh erkannt und bereits seit den späten Achtzigerjahren Tools oder Objekte entwickelt, die dem Publikum ähnlich gelagerte Erfahrungen ermöglichen sollen (dazu gehören auch die oben erwähnten Workshops). Die partizipativen Installationen «White Dragon» (Kopf an einen Stein halten), «Inner Sky» (Kopf unter eine Kristallhaube halten), «Counting the Rice» (Reis und Linsen zählen) oder «Decompression Chamber» (Ruheraum) sind in Zürich zu erleben. Sie laden das Publikum ein, selbst zum Performer oder zur Performerin und somit Teil der Kunst zu werden.

Anstatt beim Publikum einen transzendenten Zustand zu ermöglichen, verschärfen diese Installationen das Problem der Erfahrungsgübertragung jedoch eher. Für eine dem Museumsbesuch entsprechende kurze Zeit mit einem Noise-Reduction-Kopfhörer in einer Liege Platz zu nehmen, sich auf steinerne Bänke legen oder die Stirn an verschiedene Steine (mit unterschiedlicher Strahlung) pressen; Linsen und Reiskörner sortieren und zählen:

Die von Abramović gemachten Angebote sind – im Vergleich zu ihren Langzeit- und Schmerzperformances  – mehr Wellness-Angebot als Tor zur transzendenten Erfahrung. Liegen im Ruheraum oder auf Stein ist auch in jedem besseren Thermalbad zu haben.

Der schale Nachgeschmack

Es fragt sich, wieso diese einst so radikale Künstlerin solche Light-Performance-Angebote kreiert. Sie stehen zu ihrer eigentlichen Kunst im selben Verhältnis wie der Gang ins echte Kloster zum leistungssteigernden Yoga-Kurs über Mittag. Verbunden mit den oben erwähnten Kosmetik-Angeboten hinterlässt das doch den schalen Nachgeschmack, dass der Kosmos Abramović Teil der globalen Achtsamkeits- und Wellness-Industrie geworden ist.

Vielleicht wäre es für echte Asket:innen eben doch besser, im Verborgenen zu leben anstatt im Scheinwerferlicht zu stehen. Dort werden sie schnell zu Ikonen – aber das hatten wir bereits…


Marina Abramović
Retrospektive
Bis 16.02.2025
Kunsthaus Zürich