«Es war schon immer die Idee von Theater, sich Genres einzuverleiben», sagt Benjamin von Blomberg. Der Co-Intendant des Zürcher Schauspielhauses hat als Dramaturg das Reflektieren gleichsam zum Beruf gemacht. Er hat daher keine Probleme zu erklären, warum mit Trajal Harrell ein Choreograf, und mit Wu Tsang eine Bildende Künstlerin und Filmemacherin zu den vormals acht, nach Leonie Böhms Weggang noch sieben Hausregisseur:innen gehören. Weil der 43-Jährige auch sehr begeisterungsfähig ist, beurteilt er die Arbeiten von Hausregisseurin Wu Tsang nicht nur als «toll», sondern als «unfassbar toll». Und in die Arbeiten von Tsangs Kollegen Trajal Harrell habe er sich gleich «auf ewig verliebt».
Aber machen Wu Tsang und Trajal Harrell überhaupt Theater? Darauf gibt es keine klare Antwort, schliesslich ist es längst Courant normal, dass auch im Schauspiel Musiker:innen auf der Bühne spielen, Filmleute mit Live-Videokameras arbeiten und Bühnenbilder als Leinwand dienen, auf der vorproduzierte Filme gezeigt werden. Genresprengungen, die nur noch bemängelt werden, wenn sich ihr künstlerischer Mehrwert nicht erschliesst. Auch die Definition von Theater als Aufführung mit dramatischem Text funktioniert nicht mehr, denn es gibt haufenweise Inszenierungen, die nicht von einem dramatischen Text ausgehen. Ein Extrembeispiel: Schon unter Barbara Freys Intendanz zeigten Rimini Protokoll im Zürcher Schiffbau ihr Werk «Heuschrecken», in dem hunderte Heuschrecken und eine Pseudo-Astronautin die Hauptrollen spielten, als «Spezialisten des Alltags».
Stummfilm anstelle von Theater
«Im Theater steht im Zentrum, dass sich Menschen begegnen in einer gemeinsam geteilten Gegenwart», sagt Benjamin von Blomberg. «Meist heisst das: Es gibt Menschen auf der Bühne, und es gibt Menschen im Zuschauerraum.» Eine schlüssige Definition? Eine «gemeinsam geteilte Gegenwart» gibt es in der aktuellen Inszenierung von Wu Tsangs «Moby Dick». Aber gibt es auch Menschen auf der Bühne? Das ist Ansichtssache. Denn «die Bühne» ist eine Leinwand, auf der ein Stummfilm gezeigt wird. Davor sitzen Musiker:innen des Zürcher Kammerorchesters und begleiten das Geschehen hoch über ihren Köpfen. Der Film allerdings ist sicherlich eine Produktion des Schauspielhauses Zürich, war doch die gesamte Technik beteiligt; zudem sind in ihm 25 Performer:innen zu sehen, von denen elf zum Ensemble gehören.