Ute Haferburg, Co-Präsidentin des Schweizer Theatertreffens, blickt im Interview mit FRIDA-Magazin auf die ersten zehn Jahre des Festivals zurück.

Ute Haferburg, Co-Präsidentin des Schweizer Theatertreffens, blickt im Interview auf die ersten zehn Jahre des Festivals zurück.

Bild: Rita Palanikumar

Interview mit Ute Haferburg

«Es ist ein Spagat»

Das Schweizer Theatertreffen findet 2023 zum zehnten Mal statt – dieses Mal in Fribourg. Co-Präsidentin Ute Haferburg spricht über die bewegte Geschichte und die Herausforderungen, die sich dem Festival für die Zukunft stellen.

Von Valeria Heintges

Zürich, 24.05.2023

9 min

Frau Haferburg, das Schweizer Theatertreffen (STT) begann als Kopie des Berliner Theatertreffens – das zeigt jedes Jahr die zehn bemerkenswerten Stücke aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, ausgewählt von einer unabhängigen Kritiker:innenjury. Wo und wofür steht das STT jetzt, zehn Jahre später?

Ute Haferburg: Zunächst präsentierte das STT das nationale, schweizerische Theaterschaffen als kuratierte Best-of-Auswahl, aber es ist keine Kopie des Berliner Theatertreffens. Es ist das einzige Schweizer Theaterfestival, das ausschliesslich nationale Theaterproduktionen kuratiert. Es hatte zunächst einen Schwerpunkt auf Inszenierungen der produzierenden Häuser aus den vier Sprachregionen. Dann wurde die Freie Szene stärker einbezogen.

Sieben Jahre traf eine Jury aus Theaterkritiker:innen die Auswahl. Das haben wir geändert, weil uns als Verein Schweizer Theatertreffen die Sélection in der Tendenz zu kompromissbereit war und zu wenig eine künstlerische Handschrift trug. Schon vor Corona gab es die Diskussionen im Vorstand, dass sich das Theatertreffen verändern muss. Es wirkte nach aussen zu brav, nicht innovativ genug.

Welche Massnahmen sollten das Festival interessanter machen?

Wir haben eine Vision entwickelt. Ziel ist es, eine Auswahl an aussergewöhnlichen, diversen und politisch bemerkenswerten Produktionen aus allen Sprachregionen zusammenzustellen.

Wir wollen das nomadische Wandern durch die Schweiz reduzieren und weg von einer Jury hin zu einer künstlerischen Leitung mit eigener Handschrift.

Ute Haferburg

war in jungen Jahren Musikdramaturgin in Darmstadt und am Theater Basel. Sie war Co-Gründerin des Gare du Nord in Basel und 2002 bis 2008 Co-Leiterin der Institution. Danach arbeitete sie für zwei Jahre als Chefdramaturgin an der Flämischen Oper in Antwerpen und Gent. 2010 bis 2020 war sie Künstlerische und Geschäftsführende Direktorin des Theater Chur. Darauf arbeitete sie am Aufbau des Kulturplatz Davos bevor sie 2022 Geschäftsführende Intendantin des Theater Casino Zug wurde.

Zuerst zum Nomadentum: Bekommt das Festival endlich einen festen Ort?

Ab 2023 sind wir in dem Modus von fixen Austragungsorten: Fribourg, Zug und Lugano/Bellinzona, denn wir wollen in den drei grossen Sprachregionen präsent sein. Das Tessin sagte leider nur zu für alle sechs Jahre, deshalb wird ein weiterer Austragungsort im Wechsel zum Tessin hinzukommen, der noch nicht feststeht.

Kurz gesagt: Sie wollten einen festen Ort, haben es aber nicht geschafft.

Doch, wir haben vier Orte in drei Sprachregionen. Das ist ein strategischer Entscheid und entspricht der Sprachen- und der ästhetischen Vielfalt der Schweiz. Für den Wechselmodus Tessin braucht es jetzt noch eine Lösung.

Aber da blickt doch kein Mensch durch.

Das sehen wir anders: 2023 Fribourg, 2024 Tessin, 2025 Zug. 2026 wieder Fribourg, 2027 der neue Ort und 2028 wieder Zug – das ist eine Verbesserung.

Warum Zug, da war das Festival noch nie. Weil Sie jetzt Geschäftsführende Intendantin am Theater Casino Zug geworden sind?

Ja. Das hat auch mit meiner Intendanz zu tun. Das Theater Casino Zug liegt als regionales Theater zwischen Luzern und Zürich, und weitere Zuger Kulturinstitutionen sind dabei. Das Haus soll neu auch ein überregionales Profil bekommen und hat Ressourcen. Damit war der Vorstand des STT einverstanden.

Ein Festival in den grossen Städten stand nicht zur Debatte?

Die Erfahrungen aus Zürich und Genf haben gezeigt, dass das Interesse in den Häusern dort nicht gross genug ist für das STT. Zudem haben sie mehrere, sich teilweise kannibalisierende Festivalformate. Wenn die Zusammenarbeit mit den gastgebenden Häusern nicht funktioniert, funktioniert das STT nicht. Dann steht der Verein auf verlorenem Posten.

Das Schweizer Theatertreffen

wurde 2014 durch eine Initiative des Schweizerischen Bühnenverbandes (SBV) mit Unterstützung des Bundesamts für Kultur, des Internationalen Theaterinstituts ITI Suisse und dem Verband freischaffender Bühnenkünstler (ACT) gegründet.

Seither wurde es in Winterthur, Genf, Lugano/Bellinzona, in Zürich, und im Wallis ausgetragen. Die Ausgabe 2020 war in Chur und Liechtenstein geplant, fiel jedoch wegen Corona aus. 2021 gab es in Fribourg eine rein digitale Ausgabe, Chur/Liechtenstein kamen 2022 wieder zum Zug. Die zehnte Ausgabe findet nun in Fribourg statt.

Der Verein Schweizer Theatertreffen ist für das STT verantwortlich und führt es gemeinsam mit der Künstlerischen Leitung, dem Team und den Gastgeber-Theatern durch. Finanziell getragen wird das Festival vom Bundesamt für Kultur, den austragenden Städten und Kantonen, Stiftungen und Förderern.

Geleitet wird das Festival von einem Co-Präsidium. Für die Romandie ist beinahe seit Beginn Sandrine Kuster zuständig. Für die Deutschschweiz folgten auf Adrian Marthaler (2014 bis 2019) Plinio Bachmann und seit 2020 Ute Haferburg.

Kommen wir zum zweiten Punkt, den Sie ändern wollten. Sie haben im Laufe der Jahre sukzessive die unabhängige Jury aus Theaterkritiker:innen, die wie beim Berliner Theatertreffen für die Auswahl zuständig war, mit Julie Paucker als Künstlerische Leiterin ersetzt, die jetzt allein die Auswahl trifft. Warum?

Die Jury hat bis 2020 ihre Entscheidungen getroffen und diese an die Geschäftsleitung übergeben, die die ersten sieben Ausgaben organisiert hat. Die neue Künstlerische Leitung trifft nicht nur eine Auswahl der Produktionen, sondern organisiert auch ein Rahmen- und Gesamtprogramm und entwickelt in enger Abstimmung mit der Geschäftsleitung und dem Vorstand ein Profil für das STT.

Sie sagen, die Auswahl der Jury sei zu «kompromissbereit» gewesen. Warum sollte sich das mit einer Künstlerischen Leitung ändern?

Eine Künstlerische Leitung kann stärker positionieren und vermitteln als eine Jury.

Wie vermeiden Sie, dass das STT ein Julie-Paucker-Festival wird?

In gewisser Hinsicht trägt das Festival natürlich ihre Handschrift. Wir als Vorstand stehen dazu, und die Künstlerische Leitung wird wechseln, ähnlich anderen Festivals oder Theaterdirektionen. Das kann man kritisieren, aber wir versuchen so, ein stärkeres Profil zu setzen. Es ist ein Spagat.

Ein wichtiger Teil des Festivals waren die Schweizer Theaterpreise. Die werden nun zusammen mit den Tanzpreisen als Preise für Darstellende Künste im Herbst verliehen. Vermissen Sie die Feiern? Auch finanziell?

Für das Theatertreffen erzeugte die Kombination mit den Preisverleihungen des BAK eine grosse Aufmerksamkeit – für die Gründung des STT war das eine ideell und finanziell perfekte Kombination. Die Verleihung am ersten Tag war meist die Eröffnung des Treffens. Als Alternative würdigen wir jetzt den Träger oder die Trägerin des Reinhart-Ringes. Diese Würdigung wird weiterhin vom BAK finanziert.

Die Träger:in hat ihren Ring zum Zeitpunkt des Theatertreffens bereits ein halbes Jahr am Finger.

Ja, das ist nun so. Aber die Zusammenarbeit bleibt eng, auch mit der Präsentation von «MIMOS – Schweizer Jahrbuch Darstellende Künste». Zudem nimmt das BAK die Shortliste als Grundlage der Auswahl für die Preisverleihung.

Das war auch ein finanzieller Einschnitt?

In überschaubarem Masse.

Was heisst das konkret?

Das BAK finanziert die effektiven Kosten der eingeladenen Theaterproduktion oder der Präsentation mit Rahmenprogramm des Grand Prix Darstellende Künste. Zuvor war es ein fixer Betrag, nun ist es eine variable, aber weiterhin relevante Summe.

Sie haben sehr günstige Tickets, regulär 30 Franken pro Vorstellung, im 7er-Abo sogar nur 11,40 Franken. Kommen die Leute sonst nicht?

Uns geht es darum, ein breites Publikum abzuholen. Und ein Festivalpass muss günstig sein.

Wie steht das Festival finanziell da?

Die nächsten drei Jahre sind durch die Städte und Kantone abgesichert. Eine Erhöhung unseres Budgets von derzeit 760’000 Franken ist kaum möglich. Deshalb kürzen wir das Festival ab 2024 auf vier Tage und sechs bis sieben Produktionen plus Rahmenprogramme und Vermittlung.

In Ihren Vereinsstatuten steht, es könnten sieben bis zehn Stücke eingeladen werden.

Diese werden an der nächsten Generalversammlung in 2023 angepasst, mehr als sieben können wir nicht finanzieren. Die grossen eingeladenen Produktionen fressen einen hohen Teil des Budgets.

Jedes Auswahlgremium, egal ob Jury oder Künstlerische Leiterin, muss also nicht nur auf Sprachen und Regionen achten, sondern auch noch auf das Geld. Sie wären alle Vorwürfe los, wenn sich das STT umbenennen und nicht mehr behaupten würde, dass es eine unabhängige Besten-Auswahl zeigen würde wie sein viel grösserer Namensgeber.

Der Fokus des Theatertreffens hat sich mit dem Einsatz einer alleinigen Künstlerischen Leitung verschoben, von Best-Of hin zur Diversität des Schweizer Theaterschaffens in einer prononcierten Auswahl.

Auf Französisch und Italienisch ist das Wort «Theatertreffen» schon verschwunden. Statt «Rencontre» oder «Incontro» heisst es jetzt «Journées du Théâtre Suisse» beziehungsweise «Giornate del Teatro Svizzero». Schweizer Theatertage.

Ja, in den romanischen Sprachen ist das Theatertreffen kein Begriff. Die Mehrheit der Deutschschweizer Vorstandsmitglieder hat sich für die Beibehaltung des ursprünglichen Labels entschieden.

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10. Schweizer Theatertreffen in Fribourg

Vom Mittwoch, 31. Mai, bis zum Sonntag, 4. Juni, sind in Fribourg insgesamt 36 Veranstaltungen zu erleben. In deren Zentrum stehen die Aufführungen der sieben ausgewählten Theaterproduktionen.

Am Donnerstag, 1. Juni, sind Mathias Balzer, Co-Leiter des FRIDA-Magazins, und Valeria Heintges, Autorin bei FRIDA, zu Gast bei einer Podiumsdiskussion über die Zukunft des Kulturjournalismus.