frida10

Früher war der Hof Christof Bühlers Zuhause, dann zog er aus, nach Luzern, in die Stadt, zum Theater. Jetzt kommt er wieder zurück.

Foto: Flavio Lötscher

Kultur und Natur

Ein Künstler wird Bauer

Der Bühnenbildner Christof Bühler übernimmt im Luzernischen den Bauernhof seiner Eltern. Weshalb die Arbeit in der Kulturszene ziemlich viele Parallelen zu dem Leben als Landwirt hat, erzählt er im Gespräch mit FRIDA.

Von Tamara Funck

Luzern, 11.01.2023

9 min

«Bald ist es meins!», sagt Christof Bühler, streckt die Arme weit aus und grinst. Wir stehen vor dem Bauernhaus Tannhüsern, zwei Kilometer abseits der Landstrasse, zwanzig Autominuten von Luzern entfernt. Seine Vorfreude und Aufregung sprudelt aus ihm, während er mir den Hof zeigt. Dabei wollte Bühler gar nie Landwirt sein. Er ist Theatermacher und Bühnenbildner. 

Wir steigen die Treppe hoch zum Silo und bestaunen die Aussicht. In der Ferne sehen wir mächtige Schneeberge, darunter Pilatus und Rigi. Vor uns liegen weite Wiesen, besprenkelt mit Obstbäumen und einem Haus, dort besuchten Bühler und seine zwei älteren Schwestern einst die Primarschule. Lange war das seine Welt: der Hof, der Wald und die Tiere. Dann, mit dem Wechsel an die Kantonsschule Reussbühl in Luzern, entdeckte Bühler das Theater und kehrte dem Landleben Stück für Stück den Rücken. Bis anhin. Jetzt wird Tannhüsern seine Bühne.

frida6

Foto: Flavio Lötscher

Zehn Hektare landwirtschaftliche Nutzfläche. Zwei Hektare Wald. Sechzehn Milchkühe, sieben Pferde, zwölf Enten, zwei Gänse, ein Hund. 144 Obstbäume. Ein Bauernhaus. Viel Platz. Viel Arbeit. Viel Verantwortung.

Wieso wird er es doch, Landwirt? Bühler lacht. 

«Meine Einstiegsdroge in die Landwirtschaft war lustigerweise das Landschaftstheater Ballenberg, wo ich 2017 als Bühnenbildner und Requisiteur tätig war. Als Teenie wollte ich nie etwas mit Landwirtschaft zu tun haben. Ich fand es saumässig blöd. Da arbeitet man megaviel, hat saudumme Arbeitszeiten und ist auf das Geld des Staates angewiesen. Nachher fing ich an, Theater zu machen und merkte irgendwann, das ist ja saumässig blöd. Da arbeitet man wie ein Tubel, hat saudumme Arbeitszeiten, verdient fast nichts und ist auf das Geld des Staates angewiesen… Da kann ich grad so gut bauern.»

Wir laufen vom Kuhstall und der Sattelkammer zum Heustock, weiter zum Pferdeauslauf und stoppen auf dem Rückweg bei der Werkstatt. Hier baute Bühler vor genau zehn Jahren sein erstes professionelles Bühnenbild: eine Drehbühne, die ihm weitere Aufträge bescherte und ihn in der Folge in Bern und Luzern wohnen und arbeiten liess. 

«Im Ballenberg hat es mich gepackt. Bei der Arbeit als Bühnenbildner bin ich meiner Herkunft begegnet und sie hat mich interessiert. Ich stellte fest, dass ich als Landei eben gar nicht so kulturell beeinträchtigt bin, wie ich davor immer dachte», erinnert sich Christof. Im gleichen Jahr kam bei der Familie Bühler wegen des Umbaus des Schweinestalls die Frage auf, wie es mit dem Betrieb weitergehen soll, und Christof erklärte, er könne sich vorstellen, Tannhüsern irgendwann mal zu übernehmen. Es folgten gefühlt etwa tausend Momente, in denen er zweifelte und sich fragte: Ist das wirklich schlau?

Tourismus ist wichtig für Finanzierung

Als wir uns für das Interview trafen, waren es nur noch vier Tage bis zum 2023. Vier Tage bis Tannhüsern Bühler gehört – zumindest offiziell, auf dem Papier. Viel verändern wird sich vorerst nicht. Bühler beendet im April seine Ausbildung als Nebenerwerbslandwirt, arbeitet weiterhin auf dem Hof und für das B-Sides Festival, wo er für die Infrastruktur verantwortlich ist. «Wir probieren, das, was wir seit zwei Jahren machen, diese stetige Hofübergabe weiterzuführen. Faktisch bin ich also in einer Kommune mit meinen Eltern», lacht der 34-Jährige. Das nächste grosse Projekt wird der Umbau des Kuhstalls sein. Die Bühlers stellen von Milchproduktion im Anbindestall um, auf Mutterkuhhaltung im Laufstall, welche weniger arbeitsintensiv ist. 

frida1

Christof Bühler (*1988) studierte Theaterwissenschaft und Geschichte in Bern und München und arbeitete als selbstständiger Bühnenbildner und -bauer für verschiedene Theaterhäuser.

Als Theatermacher war er tätig für das Berner Kollektiv Faust Gottes, die Trachtengruppe Hettiswil und die Küssnachter Theaterleute. Bühler tritt immer wieder in die Rolle des Moderators für Musikvereine, Wrestingtruppen und Jodelchöre. Nebenbei arbeitet er als Freelancer in der Veranstaltungstechnik und ist seit letztem Jahr verantwortlich für die Infrastruktur beim B-Sides Festival auf dem Sonnenberg, Kriens.

Seit 2015 ist er angestellt auf dem Hof der Eltern, nebst der Landwirtschaft auch für den Gästebetrieb. Nun steht er kurz vor dem Abschluss seiner Ausbildung als Nebenerwerbslandwirt.

 

Inzwischen sitzen wir bei Kaffee und Weihnachtsguetzli im «Raum», so heisst der Ort, der die Bühlers für Anlässe vermieten. Hier befand sich noch vor fünf Jahren der Schweinestall. Tannhüsern hat sich verändert und angepasst. Das angrenzende Wohnhaus, inzwischen rund 230 Jahre alt, verwandelte sich durch verschiedene Renovationen vom Handwerkerhaus in ein traditionelles und modernes Bauernhaus. Im Erdgeschoss wohnen Christof Bühlers Eltern Lucia und René Bühler. Der erste Stock bietet Platz für vier Gästezimmer und die Kinesiologie-Praxis von Lucia Bühler. Im zweiten und dritten Stock ist eine Mietwohnung untergebracht. Der Agrotourismus wurde mit dem «Raum» ausgebaut und zu einem wichtigen Standbein der Bühlers. 

«Ich übernehme den Hof auch, um eine mögliche landwirtschaftliche Realität zu zeigen», erklärt Christof und führt aus: «Wenn ich bei einem Bier mit den Leuten rede und von meiner Herkunft erzähle, begegne ich den absurdesten Vorstellungen von Landwirtschaft und der Produktion von Lebensmitteln, die gar nichts mit der Realität zu tun haben. Gleichzeitig ist das, was wir hier machen, eigentlich eine Farce. Ich baue die Landwirtschaft als Bühnenbild auf, weil ich nebenbei noch Zeit haben will für anderes. Nein, im Ernst. Die Form von Landwirtschaft, die ich vorhabe zu betreiben, wird nur funktionieren, wenn ich mein Beef nicht nur zum Essen, sondern auch zum Anschauen verkaufen kann. Wenn sich der Betrieb nicht ausschliesslich über die Lebensmittelproduktion, sondern über eine weitere Ebene wie den Agrotourismus finanziert, und ich nebenbei noch auswärts arbeite.»

Kultur unter dem Kirschbaum

Die Tür geht auf. Vater René holt sich einen Kaffee und setzt sich zu uns, bevor wieder die Arbeit im Stall ruft. Für ihn sei die Übergabe an seinen Sohn etwas sehr Positives: «Ich bin 50 Jahre in dem Job und es ist Zeit, Verantwortung abzugeben, Entscheide nicht mehr tragen zu müssen, vielleicht ab und zu noch gefragt zu werden – das ist super.» 

In den letzten Jahren konnten René Bühler und seine Frau Lucia nicht nur zusehen, wie Christof auf dem Hof mitarbeitete, sondern auch, wie er ihn bespielte. Christof rief mit seiner Schwester Mariann und ein paar Freund:innen die Konzertreihe «Kunstsuppe» ins Leben. Fünf Konzerte unter Kirschbäumen, neben Hecken, im Sonnenuntergang und in der Scheune. Jedes Mal mit Suppe und Bar. Ausserdem gibt es seit 2020 ein jährliches Sommerfest mit Musik und Literatur.

frida5

Christoph Bühler im Gespräch mit seinem Vater René Bühler.

Foto: Flavio Lötscher

 

Wie geht René Bühler mit solchen Veränderungen um? «Klar, ist es schön, wenn es nach den etwa gleichen Ideen weitergeht, aber das kann man eigentlich nicht per se erwarten. Ich habe Christof gesagt, er kann machen, was er will. Bis jetzt musste ich mich nicht aufregen, im Gegenteil, ich freue mich darauf, dass etwas Neues entsteht. Es motiviert mich, weiterhin zu helfen.»

Notwendigkeit statt arrogantes Ego

Christof Bühler nickt, er geniesse es, in der Kultur und in der Landwirtschaft unterwegs zu sein. «In der Kulturblase bin ich für immer der Bauer, unter den Landwirten bin ich ein jenseitiger Kunstfurzer. Doch die zwei beissen sich eigentlich nicht.» Im Gegenteil. Christof sieht viele Gemeinsamkeiten und Vorteile. Die Tätigkeit des Landwirts sei wie die des Bühnenbildners raumgestalterisch.

Wir laufen nochmals ums Bauernhaus und besuchen die Kühe im Stall. Bevor wir uns verabschieden, fügt Christof an: «Es schadet nicht in der Kulturwelt einen landwirtschaftlichen Hintergrund zu haben. Da gibt’s auch gelegentlich so Momente, wo es räblet. Das ist wie heuen vor einem Gewitter. Wenn das Heu rein muss und droht nass zu werden, musst du Gas geben. Grind abe und secklä!» 

Keine Frage, das kann Bühler: chrampfe, und mit wenig Budget auskommen. Doch genau diese Hauruckmentalität, diese Selbstverausgabung und -ausbeutung in der Theaterwelt mag er nicht mehr so. Die Pandemie habe ihn zur Besinnung kommen lassen. Den Ausgleich fand er immer mehr in der Landwirtschaft.

«Dort entstehen Notwendigkeiten nicht aus dem Gefühl eines arroganten Egos heraus, sondern aus einer eigenen direkten und unmittelbaren Logik. Wenn du das Heu nicht reinbringst, hast du im Winter zu wenig Futter. Dann haust du vielleicht einer der Kühe den Grind ab, damit die anderen nicht hungern. Und schliesslich ist im Arbeiten mit der Natur einfach sehr vieles nicht in den Händen eines Menschen. Da arbeitet man mit Tieren, mit dem Wetter, hört dem Gras beim Wachsen zu, wartet auf die Sonne oder den Regen, und ändern kannst du nichts…»