Christopher Rüping, geboren 1985 in Hannover, hat mit 37 Jahren geschafft, wovon andere ein Leben lang träumen: Bereits fünf seiner Arbeiten wurden zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Im vergangenen Mai war dies «Das neue Leben», eine betörende Adaption der berühmten Erzählung von Dante Alleghieri. Die Inszenierung ist ab Donnerstag, 20. Oktober, am Schauspielhaus Zürich zu sehen.
Das Gespräch mit Rüping findet in der Schiffbau-Halle statt, in der noch der Wald von seiner Inszenierung «Border» steht, mit Bäumen und «Waldpool». Der Regisseur verteidigt höflich, aber bestimmt den reservierten Raum gegen immer mal wieder eintreffende Gäste. «Ich wusste gar nicht, was alles so an einem Theater passiert, wenn eigentlich nichts passiert.»
Rüpings Sache ist nicht die Provokation, sondern das Verbindende. Im Gespräch ist er zugewandt, locker. Auffallend oft beginnt er Sätze mit einem verbindenden «und». Er sagt, dass es ihm nur im Austausch mit dem Team gelinge, immer wieder neue, überraschende Mittel für seine Arbeiten zu finden und so «seine eigene Handschrift zu fliehen», wie er das nennt. Immer wieder wird deutlich, dass er sehr bewusst und reflektiert tut, was er tut. Aber die Eingangsfrage überrascht ihn sichtlich.
Christopher Rüping, Sie haben «Border» inszeniert, Hauptthema: Ist man fremd oder nicht, gehört man dazu? Und als nächstes machen Sie Sarah Kanes «Gier», da geht es um Gier nach Nähe, sagen Sie. Da fragt man sich schon: Fühlen Sie sich wohl in Zürich?
Ich habe den Zusammenhang zwischen den beiden Stücken noch gar nicht so gezogen, aber es ist natürlich schlagend, jetzt wo ich es höre.
Sie drücken es selbst so aus in einem Werbefilm des Schauspielhauses.
Wahrscheinlich spricht da eher mein Unterbewusstsein. Das zeigt wieder, wie sehr man den Blick von aussen braucht. Richtig, bei «Border» ging es darum, gehört man dazu, gehört man nicht dazu. Aber eben auch: Wie schafft man Räume, in denen sich die, die sich nicht zugehörig fühlen, zugehörig fühlen können. Die Figur, die Wiebke Mollenhauer spielt, fühlt sich auf der leeren Bühne nicht gesehen und nicht gemeint. Sie braucht einen Wald, hinter dessen Stämmen sie verschwinden, ins Wasser springen kann, wo sie Boden unter den Füssen hat. Das ist eine sehr theatrale Frage und eine, die mich in Zürich beschäftigt. Grundsätzlich ist es aber tatsächlich so, dass ich schon immer mit dieser Stadt gekämpft habe.
Sie kennen Zürich seit Ihrem Studium?
In einem Erasmus-Austauschprogramm bin ich von der Theaterakademie Hamburg für ein Semester an die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) gekommen. Ich habe in einem Studentenwohnheim in Wollishofen gewohnt, in der Nähe der Roten Fabrik. Draussen fiel der Schnee. In meiner WG waren noch sieben Physik-Studierende.
Ich habe mich so allein gefühlt wie noch nie in meinem Leben.
Und draussen wurden die Schneeflocken immer dicker. So ein Regiestudium ist wie jedes Kunststudium davon geprägt, dass man allein für sich Dinge überlegt – man hat nicht die ganze Zeit an der Hochschule zu tun. Ein paar Jahre später habe ich in der Schiffbau-Box «Frühstück bei Tiffany» inszeniert, mit Nils Kahnwald. Diesmal hatte ich eine Wohnung am Schiffbau, wieder fiel der Schnee. Und wieder stieg die Einsamkeit in Wellen in mir auf.
Jetzt sind Sie Hausregisseur. Da sind Sie hoffentlich nicht mehr so einsam?
Nein. Aber als mich Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg fragten, ob ich mit nach Zürich kommen wollte, fiel vor meinem inneren Auge direkt wieder der Schnee. Ich kann das noch immer fühlen. Ich weiss nicht, was es über die Stadt und was es über mich als Mensch aussagt. Aber ein halbes Jahr nach meiner Rückkehr hierher war ja wegen Corona gleich schon wieder Schluss. Und ich sass wieder zuhause. Dieses Gefühl der Nicht-Angebundenheit war auch ein Teil der Folie für «Border». Denn nicht alle, nicht einmal die meisten, aber doch ein beträchtlicher Teil der Menschen, die mir in Zürich begegnet sind, können es nachempfinden.
Und in «Gier» geht es auch um Zürich?
Nein, da geht es eher um eine pandemische Erfahrung: um die Gier nach Nähe, nach Austausch, nach Rausch – Bedürfnisse, die in den letzten Jahren schwer zu stillen waren und es nach wie vor sind. Wenn man jetzt zum Beispiel wieder ins Theater geht, dann hat man eine Erwartungshaltung, ein Bedürfnis, dass sich etwas bestimmtes ereignet, dass man so vermisst hat. Und häufig wird man da enttäuscht.