Obliecht bei FRIDA Hört Hin mit Shannon Hughes

Donat Kaufmann, Elias Menzi und Anuk Schmelcher von der Band «Obliecht».

Foto: Daniela Weinmann

Musik

Mit Obliecht zwischen Hackbrett und Männlichkeit

Die EP Obliecht des gleichnamigen Trios bringt seit dem Frühling neues Licht in die Schweizer Musikwelt. Im Gespräch mit «FRIDA Hört Hin» spricht Initiant und Sänger Donat Kaufmann über das Zusammenspiel von Volks- und Popmusik und erzählt, warum sich Mundarttexte am besten eignen, um von Männlichkeit zu singen.

Von Shannon Hughes

Zürich, 10.08.2023

7 min

 

Im violetten Sternenmeer treffen ein lila Fluss, eine rosa Bergfront und der schwarze Horizont aufeinander. Das Cover erzählt von den vielschichtigen Welten, die auf der EP zu entdecken sind. Die Kompositionen bewegen sich zwischen Volksmusik und Indie-Pop. Die Debüt-EP des Trios aus dem Appenzell, Baden und Biel ist im April 2023 erschienen. 

Obliecht bringt drei spannende Talente zusammen, die allen Schweizer Musikliebhaber:innen bereits ein Begriff sein sollten. Elias Menzi (er/ihn) setzt sich seit seiner Kindheit mit der Kunst des Hackbretts auseinander und spielt sowohl solo als auch in diversen Projekten. Die Multiinstrumentalistin Anuk Schmelcher (sie/ihr) hat 2022 ihre Solo EP mit grossen Erfolg veröffentlicht und beim m4music Festival in Zürich dieses Jahr den begehrten «Demo of the Year» Preis gewonnen.

Schliesslich ist Donat Kaufmann mit seiner Shoegaze Band One Sentence. Supervisor seit einigen Jahren in verschiedenen Formationen unterwegs und vermag es, mit jedem Release aufs Neue die Herzen der Schweizer Alternativszene zu erobern.

FRIDA Hört Hin Audiobeiträge mit Shannon Hughes

FRIDA Hört Hin

«FRIDA Hört Hin ist dein Ohr für aktuelle Schweizer Musik. Die Szene ist dynamisch, divers und darf ruhig etwas lauter gehört werden. Im Podcast porträtiert Shannon Hughes Musikschaffende und ihre Songs aus allen Genres. Von altbekannten Grössen bis hin zu aufstrebenden Neuentdeckungen, bei FRIDA sind alle zu hören.

Alle Episoden von «FRIDA Hört Hin» findest Du auch auf SpotifyDeezerApple Podcast und Podimo.

Bild: John Patrick Walder/ Luis Balzer

Der Bandname Obliecht wirkt beim ersten Hören wie ein fiktiver Begriff. Hört man genauer hin, kann er aber als Vorankündigung für den Perspektivenwechsel verstanden werden, den die Musiker:innen mit ihrem künstlerischen Schaffen anstreben. Der ungebräuchliche schweizerdeutsche Begriff ‘Obliecht’, zu Deutsch ‹Oberlicht›, bezeichnet Tageslicht, das durch die Decke scheint.

Analog dazu wirft die Band neues Licht auf vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Musik und Männlichkeit.

Die Geschichte der Band begann mit einem Wunsch von Donat Kaufmann. Er wollte die Schweizer Volksmusik besser kenenlernen und seine eigenen Vorurteile über das Genre hinterfragen. In der musikalischen Recherche hat er sich in das Hackbrett vernarrt. Als Donat Gleichgesinnte suchte, um sich über sein neues Lieblingsinsturment auszutauschen, wurde er auf Elias Menzi aufmerksam. Zeitgleich lernte er auch Anuk Schmelcher kennen – und prompt gab es eine erste Probe, aus der sich dann das Projekt Obliecht entwickelte.  

 

Aufwühlend und antreibend bewegt sich die Musik von Obliecht fort. Besonders zu hören ist das auf den beiden Tracks Bis es… und …Nacht wird, die nahtlos ineinander hineinfliessen und den Anfang der EP bilden. Gemeinsam entfalten sie ihre volle Wirkung. Fortlaufende Elemente werden immer wieder frisch begleitet, Gänsehaut bleibt beim Hören die einzige Konstante. So ist «Bis es…» ein Instrumentalstück, bei dem das Hackbrett die Hauptrolle spielt. Drums und Synthesizer bilden die kontinuierliche Grundlage dazu.

Dann bleibt nur der Synthesizer bestehen und der zweite Track beginnt. Am Anfang von «… Nacht wird» steht der Gesang. Gegen Ende des Stücks übernehmen alle Instrumente wieder und geben dem Doppelstück einen gebührenden Abschluss.

Zu verdanken ist diese beinahe magische Spielform den sehr ausgeprägten Auseinandersetzungen der Musiker:innen mit ihren Instrumenten und dem Spannungsbogen der EP. Fortlaufende Elemente werden immer wieder frisch begleitet.

Die Musik wird zu einem gemusterten Flickenteppich, der sich ständig verwandelt.

Mit jeder Kombination von Hackbrett, Drums, Synthesizer oder Stimme entsteht eine neue Klangwelt, die die Dramaturgie der EP erweitert: «Das ist etwas, das uns alle interessiert hat», sagt Donat Kaufmann. 

Thematisch greift Obliecht Schweizer Vorstellungen von Männlichkeit auf. Dreh- und Angelpunkt der Texte, die Donat Kaufmann in der Pandemie-Zeit verfasst hat, ist seine männliche Sozialisierung – wie sie ihn früher geprägt hat und worüber er auch heute noch stolpert.

Der Track Power Ranger bringt die Kindheit und die damit verbundenen Rollenbilder auf den Punkt. Zwischen Erinnerungen an eine Klassenfahrt, Festhalten an einer Power Ranger Spielfigur und Anspielungen auf die Kultserie Friends aus den 90ern wird die Suche nach dem gesellschaftlich akzeptierten emotionalen Ausdruck thematisiert. Wie darf sich ein heranwachsender Mann emotional ausdrücken, ohne in eine toxische oder gewaltsame Vorgabe zu fallen?  

 

Säg stimmts wenni nid cha schreie / Channi gar ned rede? / Wenni nid mag schlägle / Channi mi gar nid bewege?

 

Um diese Intimität der Themenwahl auch sprachlich zu spiegeln, entschied sich Donat Kaufmann, erstmals Mundarttexte zu verfassen. Zuvor hatte er ausschliesslich auf Englisch geschrieben, was ihm einen schützenden Abstand beim lyrischen Ausdruck ermöglicht hatte. Auf Mundart zu schreiben, war für ihn «wie eine neue Sprache zu lernen».

Da die Songtexte so eng mit der eigenen Biografie verknüpft waren, liess der Künstler die Sprache nah an sich ran.

Etwa, wenn Sätze des Grossvaters plötzlich wieder ins Gedächtnis springen: «Die kann man gar nicht übersetzen»

Mit Obliecht auf eine musikalische Reise zwischen Volks- und Popmusik zu gehen, ist sehr zu empfehlen:

15. August – Winterthurer Musikfestwochen, Winterthur 

17. August – Alpentöne, Altdorf 

8. September – Salzhaus, Brugg

27. Oktober – Echolot Festival, Luzern

11. November – Werkstatt, Chur