Kommentar

Wir brauchen Emanzipation ohne Dauerstress

Gleichberechtigung bedeutet nicht, dass sich Mütter kaputt arbeiten sollen.

Von Helena Krauser

Basel, 05.04.2023

3 min

Ende März hat die Annabelle-Chefredaktorin Jacqueline Krause-Blouin angekündigt, ihren Posten abzugeben. Sie tat das mit den Worten: «Ich wollte nicht auf der Strecke bleiben, nur weil das System familienfeindlich ist.» Diese Aussage zeigt hervorragend auf, wie schnell wir bei der Gleichstellungsarbeit in einer Sackgasse landen können. 

Die Frage ist nicht, ob es möglich ist oder nicht, kleine Kinder und irgendeine Form der Karriere zu vereinbaren. Die Frage, die sich junge Mütter aktuell stellen müssen, ist viel mehr: Wie sehr bin ich bereit, mich selbst zu vernachlässigen und die Überforderung hinzunehmen?

Was läuft schief?

Als schlechtes Beispiel schreitet die Medienbranche voran. Reihenweise verlassen junge Journalistinnen die Redaktionen, weil sie merken, dass ihr Beruf nicht mit ihrer Mutterschaft vereinbar ist, oder sie sich erst gar nicht vorstellen können, unter diesen Arbeitsbedingungen eine Familie zu gründen. Der Tenor auf den Redaktionen ist: Bitte nicht zu viel über die Wehwehchen der Kinder sprechen, aber ganz viel über die Streitereien der Parlamentarier:innen. Erwartet werden Flexibilität, Engagement und Ehrfurcht. Natürlich auch Überstunden. Aber wer schreibt die schon auf? 

Die Annahme, dass Familie und Beruf schon ganz gut vereinbar sind, wenn es die Mütter nur genug wollen, beruht auf der etablierten Vorstellung, dass Frauen, vor allem dann gut performen, wenn sie handeln und fühlen wie Männer. Die zusätzliche körperliche und emotionale Belastung von jungen Müttern, die Care-Arbeit und der Mentalload, die zumindest in den ersten Monaten unweigerlich von der Mutter getragen werden – all das wird dabei völlig marginalisiert. 

Verurteilt wegen mangelnder Emanzipation

Wollen wir der Mutterschaft, der Elternschaft endlich den Wert zugestehen, den sie haben, müssen wir die Vorstellung überdenken, dass eine gleichmässige Aufteilung der Erwerbsarbeit in Familien mit kleinen Kindern das Ideal einer gleichberechtigten Elternschaft ist. 

Eine junge Mutter ist nach der Schwangerschaft, der Geburt, eventuell der Stillzeit, all den schlaflosen Nächten und mit dieser neuen permanenten Verantwortung meistens ohnehin schon komplett ausgelastet. Die Erwerbsarbeit kommt dann obendrauf. Aktuelle Studien zeigen, dass selbst, wenn die Mutter die Hauptverdienerin der Familie ist, der grösste Teil der Care- und Haushaltsarbeit auf sie zurückfällt. 

Ausserdem bedeutet Gleichberechtigung nicht, dass beide Elternteile die gleichen Aufgaben übernehmen, sondern, dass sie gleichermassen berechtigt sind, ihr Leben nach ihren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten, auch wenn die Paarbeziehung einmal beendet werden sollte. 

Elternschaft sollte kein Kampf um die Trophäe «Emanzipiertestes Paar des Jahres» sein.

Und auf gar keinen Fall, sollten Mütter dafür verurteilt, werden, wenn ihre Partnerschaft diese Trophäe nicht gewinnt.

«Es ist wichtig für sich zu überlegen, was für einen selbst und für seine Familie stimmt – und zwar in der Situation, in der man nun mal steckt», schreibt Jacqueline Krause-Blouin. 

Was wir dringend benötigen, ist Anerkennung für die enorme Relevanz, die eine fürsorgliche Begleitung von Kinder für jedes Individuum und für die gesamte Gesellschaft hat. 

Dafür braucht es mehr Elternzeit, vielleicht einen Lohn für alle Care-Arbeiter:innen, eine Arbeitswelt, die Elternschaft mit einkalkuliert und Modelle, die es Müttern erlauben, sanft wieder im Berufsalltag einzusteigen.

Wie absurd ist eigentlich die Tatsache, dass die Weltgesundheitsorganisation dringend empfiehlt, sechs Monate lang ausschliesslich zu stillen, Mütter in der Schweiz aber nur 14 Wochen bezahlten Mutterschutz erhalten?

Kinder kriegen und Kinder begleiten ist nichts, das nebenbei erledigt werden kann.

Helena Krauser ist Ko-Redaktionsleiterin bei FRIDA und Mutter zweier Kinder.