Die Ausstellung «When We See Us», besprochen im FRIDA Magazin.

Eines von vielen Augenpaaren: Ausschnitt aus der Ausstellung «When We See Us» im Kunstmuseum Basel.

Bild: Mathias Balzer

Kunst

Die Augen der Schwarzen Kultur

Das Kunstmuseum Basel zeigt ein Jahrhundert panafrikanischer Malerei. Die Ausstellung «When We See Us» ist nun verlängert worden. Aus gutem Grund.

Von Mathias Balzer

Basel, 29.08.2024

7 min

Wieso schaut man sich eine Ausstellung gleich dreimal an? Mir ist das mit «When We See Us» im Museum Gegenwart in Basel passiert. Jedes Mal sind mindestens zwei Stunden Bildbetrachtung und – es sei hier schon gesagt – Bilderschwärmerei daraus geworden. Und dies, obwohl der erste Besuch mit gröberen Zweifeln verbunden war.

«Hundert Jahre panafrikanische Malerei» lautet der Untertitel der Schau, die sich über alle drei Stockwerke des Museums am Rheinufer ausbreitet. Was würde mich erwarten? Hundert Jahre Auseinandersetzung mit Blackness, Rassismus, Apartheid, Kolonialismus? Nochmals eintauchen in die Fragen der Schuld, unserer unrühmlichen Verstrickung in die Geschichte dieses Kontinents.

Die Themen Postkolonialismus, Rassismus und Blackness haben in den letzten Jahren viele europäische Kulturprogramme geprägt. Kaum ein Theater, ein Festival oder Museum, das nicht zur Reflexion darüber einlud und immer noch einlädt. Das kann bei aller Dringlichkeit und bei allem Interesse zu Ermüdung und Übersättigung führen, auch wenn klar ist: Nur der gemeinsame Blick auf die gemeinsame Geschichte macht uns fähig, eine gemeinsame Zukunft zu entwerfen und zu leben. Und für die Schärfung dieses Blicks sind die Künste wegweisend.

Einen Raum frei von diesen Themen

Besänftigt wurden meine Zweifel von Kudzanai-Violet Hwami, in London lebende Künstlerin aus Simbabwe. Während der Art Basel sass sie auf einem Podium mit der Kuratorin der nun in Basel zu sehenden Ausstellung: Koyo Kouoh, Executive Director am Zeitz MOCAA im südafrikanischen Cape Town, dem grössten und bedeutendsten Museum für afrikanische Gegenwartskunst. Dort wurde «When We See Us» 2022/23 erstmals präsentiert.

Auf die Frage, was der Ausgangspunkt für ihre Kunst gewesen sei, antwortete die Künstlerin: «Ich wollte mir einen Raum, einen physischen Raum, bauen, wo ich mich nicht mehr mit den Themen Rassismus, Kolonialismus oder Apartheid auseinandersetzen muss.»

Ihre Antwort spiegelt eine Frage, die einer der Ausgangspunkte dieser Ausstellung ist:

Muss Schwarze Kultur sich vor allem mit Widerstand beschäftigen, als Antwort auf rassistische Unterdrückung und herrschende Ideologie?

Oder ist die ständige Zurschaustellung Schwarzen Leids nicht viel mehr ein arg verkürztes Narrativ?

Kudzanai-Violet Hwami ist eine von 120 Künstler:innen, welche die Schau in über 150 Gemälden vereinigt. Eine generationenübergreifende Zusammenkunft Schwarzer Malereitradition aus der ganzen Welt, einen Bogen über die letzten hundert Jahre spannend.

«When we see us», besprochen im FRIDA Magazin

Ian Mwesigas «Man standing by the Pool».

Bild: Mathias Balzer

Der Name der Ausstellung ist eine Abwandlung des Filmtitels «When They See Us». Die Netflix-Serie erzählt die Geschichte schwarzer Jugendlicher, die pauschal einer Vergewaltigung im Central Park in New York beschuldigt wurden – fälschlicherweise. In Umkehrung der Perspektive zeigt die Ausstellung nun nicht unseren, von Vorurteilen geprägten Blick auf Blackness, sondern rückt die Sichtweise der Künstler:innen in den Fokus.

Und diese Perspektive ist ein veritabler Augenöffner. Hier schreiben schwarze Künstler:innen ihre eigene Kunstgeschichte – jenseits von Sklaverei, Kolonialismus und Apartheid. In dieser Ausstellung geht es um Spiel, Müssiggang, Vergnügen, Genuss, Überschwang, Spiritualität, um ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl, um Stolz auf die eigene Existenz.

Olusegus Adejumos Gemälde «Ovie's Repose» im FRIDA Magazin

Oluseguns Adejumos Gemälde «Ovie's Repose».

Bild: Mathias Balzer

Wie das konkret ausschaut, zeigt die Ausstellung entlang von sechs Themenkreisen, die den Blick auf den Alltag richten. Im Kabinett der «Ruhe» sehen wir entspannte Menschen, sitzend, liegend, spazierend, sich unterhaltend. Im Raum der «Freude und Ausgelassenheit» wird getanzt, gezecht bis zum Umfallen, geheiratet und gelacht. In den Räumen des «Alltags» sehen wir Strassenszenen, spielende Kinder, Werbung für Coiffeur-Salons, Schulalltag, Menschen, die Wasser tragen oder Haare flechten.

Die Geister, Priester, Zeremonien und Gespenster des Kontinents begegnen uns beim Thema «Spiritualität»; Erotik, Sex und Körperlichkeit im Kabinett der «Sinnlichkeit». Und im Parterre des Museums dann doch noch Politik, Kulturkampf und Krieg unter dem Thema «Triumph und Emanzipation».

Roméo Mivekannins «Le modèle noir, d'après Félix Vallotton» bei FRIDA Magazin.

Roméo Mivekannins «Le modèle noir, d'après Félix Vallotton».

Bild: Laurent Belet

Und was hat mich nun bewogen, gleich dreimal durch diesen Parcours zu schlendern?

Die Schau zeigt vor allem eine berauschende Palette malerischer Ausdrucksmöglichkeiten – jenseits der Abstraktion, in die sich die westliche Avantgarde im selben Zeitraum gestürzt hat. Die Schwarze Malerei der letzten hundert Jahre ist eine Feier des Figurativen.

 

Thomas Mickalene «Never Change Lovers in the Middle of the Night».

Thomas Mickalene «Never Change Lovers in the Middle of the Night».

Da gibt es atemberaubende Werke zu sehen, die sich mit leisem Triumph ihren Platz im globalen Kanon erobern: Wie etwa Roméo Mivekannins «Le modèle noir, d’après Félix Vallotton», Ian Mwesigas «Man standing by the Pool» oder Olusegun Adejumos «Ovie’s Repose».

Drei Beispiele, die stellvertretend für viele sehenswerte Porträts und Gruppenbilder stehen, für die Vielfalt der Techniken und Stile: Art Brut, Wimmelbild oder Comic, Street-Art, naive Malerei, Collage oder Grafik.


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In der Erinnerung haften bleiben vor allem die unzähligen Augenpaare, die uns betrachten, uns nachschauen und herausfordern.

«When We See Us» ist im doppelten Sinn eine Feier des Blicks. Des Eigenen, der sich angesichts der präsentierten Lebenswelten erfrischend erweitert. Und des Blicks der zahllosen porträtierten Menschen, die zu fragen scheinen: Do you really see us?

«When We See Us» im FRIDA Magazin

Augenpaar aus der Ausstellung «When We See Us».

Bild: Mathias Balzer

«When We See Us», Kunstmuseum Basel/Museum Gegenwart, Basel. Bis 24. November.