Martina Huber und Gianni Jetzer im Interview beim FRIDA Magazin

Kunst kann Veränderung anstossen, davon sind Martina Huber und Gianni Jetzer überzeugt.

Foto: Kulturstiftung Basel H. Geiger

Interview mit Martina Huber und Gianni Jetzer

Wer rettet hier wen und warum eigentlich?

Kommen wir Menschen beim Thema Klimawandel erst ins Handeln, wenn wir mit Fischen spielen? Und wen wollen wir eigentlich vor dem Untergang retten? Martina Huber und Gianni Jetzer haben in Basel eine Ausstellung an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft kuratiert. Wir haben sie zum Gespräch getroffen.

Von Helena Krauser

Basel, 08.09.2023

9 min

Martina Huber und Gianni Jetzer haben das Projekt «Experimental Ecology» als Plattform für Künstler- und Wissenschaftle:innen im Bereich Ökologie ins Leben gerufen. Fünf interdisziplinäre Teams haben über mehrere Monate an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet. Die Ergebnisse sind nun in der interaktiven Ausstellung in den Räumlichkeiten der Stiftung KBHG in Basel zu sehen.

Frau Huber, Herr Jetzer, kann die Kunst dazu beitragen, das Klima zu retten?

Gianni Jetzer: Das Klima muss ja nicht gerettet werden. Unsere Ausstellung macht die gegenwärtige Zentriertheit auf die Menschheit deutlich. Plankton gibt es seit 3,5 Millionen Jahren. Wenn man diese Zahl ins Verhältnis zur Geschichte der Menschheit stellt, bemerkt man, dass wir nur ein winzig kleiner Teil der Geschichte des Planeten sind. Aber wir bilden uns ein, das Klima retten zu müssen.

Die Kunst soll also uns Menschen retten und nicht das Klima?

Martina Huber: Für mich spielt Kunst eine wesentliche Rolle in diesem Diskurs und in der Forschung, weil sie einen emotionalen Zugang zum Thema schafft. Die Kunst kann einen grossen Beitrag leisten, wenn es ihr gelingt, diesen Zugang zu vermitteln. Deshalb ist der Bedarf an Kollaborationen zwischen Kunst und Wissenschaft sehr hoch.

Sie sehen die Aufgabe der Kunst darin, eine Brücke zu bauen und die Wissenschaft so zugänglicher zu machen?

Gianni Jetzer: Bestehende Denksysteme sollen hinterfragt werden und wir müssen einen Schritt zurück machen und die Unterteilung in Mensch und Natur, die seit der Renaissance vorherrscht, überdenken.

In der Ausstellung hängt ein Zitat von Alex Jordan, er ist einer der teilnehmenden Wissenschaftler und forscht am Max-Planck-Institut. Er sagt: «Der Mensch ist ein Tier und das Tier kann nur überleben, wenn es mit den anderen Tieren und der Natur auf dem Planeten zusammenlebt und im Austausch steht.»

Martina Huber: Es gibt verschiedene Arten der Wissenskreation. In der Wissenschaft geht es um den Verstand, dort ist man sehr objektiv. Die Kunst ist subjektiver und emotionaler. Ich denke, je gesamtheitlicher man Wissen kreieren kann, desto grösser ist der Impakt, den man bei den Menschen erreicht.

Martina Huber (1988) ist die Gründerin und Kuratorin der Plattform WE ARE AIA I Awareness in Art, die sie 2021 im Löwenbräu in Zürich ins Leben gerufen hat. Sie kuratiert Ausstellungen, die in transdisziplinärer Kollaboration mit Experten und Künstler:innen entstehen.

Gianni Jetzer (1969) hat sich zunächst als Kurator am Migros Museum in Zürich einen Namen gemacht und wurde dann 2001 zum jüngsten Direktor der Kunsthalle St. Gallen ernannt. Im Jahr 2006 verliess er die Schweiz, um die Leitung des Swiss Institute in New York zu übernehmen. Seit 2013 arbeitet er als unabhängiger Kurator für verschiedene Institutionen und seit 2014 als Curator-at-Large am Hirshhorn Museum and Sculpture Garden in Washington, DC. Am 1. November 2022 übernahm Jetzer die Leitung des Kunstmuseums St. Gallen.

In welchem Verhältnis stehen die Tätigkeitsbereiche in der Ausstellung? Gibt es einen Schwerpunkt?

Martina Huber: Uns war es sehr wichtig, dass die Künstler:innen und Wissenschafler:innen in den Teams auf Augenhöhe miteinander interagieren. Der Prozess und der Dialog sollen im Vordergrund stehen. Die Künstler:innen sind nicht da, um die wissenschaftlichen Resultate zu illustrieren. Es ist wichtig, dass sie von Anfang an in die Forschung einbezogen werden. 

Die emotionale Kunst soll die trockene Wissenschaft also nicht illustrieren, aber dennoch vermitteln und erlebbar machen. Wie kann das gelingen?

Martina Huber: Nehmen wir als Beispiel das Plankton-Projekt. Mike Vogt (Klimawissenschaftlerin und Meeresökologin an der ETH, Anmerkung der Redaktion) sammelt vor allem Daten und trägt diese dann in Tabellen ein. Das ist ein objektiver Vorgang. In der Ausstellung bekommen wir eine sehr subjektive Darbietung zu sehen. Diese ist in Zusammenarbeit mit der finnischen Künstlerin Riikka Tauriainen entstanden. Die Stimme auf der Tonspur zum Video erklärt uns die Fakten aus der Perspektive des Planktons. Der Austausch findet also auf der emotionalen Ebene statt und nicht nur über Daten und Tabellen. Es geht darum, die verschiedene Sinne anzusprechen. 

Riikka Tauriainen & Meike Vogt, Plankton Imaginary, 2023

Riikka Tauriainen & Meike Vogt, Plankton Imaginary, 2023

Foto: : Kulturstiftung Basel H. Geiger |

Die Ausstellung versucht die Zuschauer betroffen zu machen, weil der Mensch so funktioniert, dass er erst dann ins Handeln kommt, wenn er selbst betroffen ist?

Martina Huber: Ich denke, das ist so. Man hat ja einen Informationsüberfluss und deshalb versuchen wir erst mal einen persönlichen Zugang zu schaffen. Etwas, das man auf sich selbst anwenden kann. Die Arbeit der deutschen Schriftsteller, Journalisten und Künstler Ingo Niermann und Alex Jordan zeigt das ganz gut. Sie haben ein interaktives Spiel entwickelt, indem sie einen Algorithmus einer Künstlichen Intelligenz mit Forschungsdaten zum Verhalten von Fischen gefüttert haben. Die Besucher:innen der Ausstellung können nun versuchen, mit dem Fisch in Interaktion zu treten.

Gianni Jetzer: Wir nehmen ja vor allem das wahr, was wir sehen können und mögen, was uns ähnlich ist. Ein Fisch ist uns eher nicht so vertraut, seine Emotionen sind für uns nicht lesbar, weil seine Pupillen starr sind. Seine Augen sind auf der Seite des Kopfes. Bei Haustieren, wie Hunden und Katzen, ist das ganz anders, deshalb sind sie uns emotional näher. Fische machen aber 50 Prozent der Lebewesen auf der Welt aus, sind also sehr wichtig. Ich finde es interessant, wenn wir über das Sichtbare hinausgehen können und so Missverständnisse aufklären.

 

Ingo Niermann & Alex Jordan, Welcome to My World, 2023

Ingo Niermann & Alex Jordan, Welcome to My World, 2023

Foto: Kulturstiftung Basel H. Geiger

Birgt eine solche Kollaboration zwischen Kunst und Wissenschaft nicht auch Konfliktpotenzial? Die Arbeitsweisen sind ja sehr unterschiedlich.

Gianni Jetzer: Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Auch ein Wissenschaftler braucht Kreativität. Er muss neue Fragestellungen, neue Forschungsziele formulieren. Für Künstler ist es andersrum interessant, an der Forschung zu partizipieren und zu sehen, wie das vonstattengeht. Es war interessant, zu beobachten, wie unterschiedlich die Teams gearbeitet haben. Aber ich glaube, alle haben sich relativ weit in einen neuen Bereich reingelehnt.

Martina Huber: Da sind aber schon auch Limite. In der Wissenschaft ist es wichtig, die Objektivität zu wahren, also keine persönliche Meinung kundzutun. Bei den Künstler:innen hingegen geht es um eine persönliche und emotionale Auseinandersetzung und Interpretation. Das auszutarieren war sehr spannend. So stellte eine Wissenschaftlerin zum Beispiel fest, dass sie auch eine persönliche Meinung zum Thema haben darf, weil sie als Mensch Teil des Systems ist. Im Gespräch miteinander haben wir festgestellt, jeder von ihnen betreibt Forschung, aber mit unterschiedlichen Methoden.

Am Anfang des Medienrundgangs wurde erwähnt, dass wir uns hier nicht in einer «klassischen» Ausstellung befinden. Haben solche herkömmlichen Ausstellungen mit bunten Gemälden an den Wänden denn überhaupt noch eine Berechtigung bei all den dringlichen Themen, die uns als Gesellschaft derzeit beschäftigen?

Martina Huber: Es gibt für alles einen Markt und das ist auch okay. Aber wenn man von der Kunst redet, meint man oft den Kunstmarkt. Der ist aber nur ein kleiner Teil der Kunstwelt. Viele Kunstschaffende sind nicht Teil dieses Kunstmarkts. Sie betreiben aber dennoch ihre Forschung und gehen Kollaborationen ein. Ich denke, es ist wichtig, auch das zu sehen.

Die klassischen Gemälde haben also auch in diesen Zeiten eine Berechtigung?

Gianni Jetzer: Ich denke schon. In einer Welt, in der wir immer mehr über den Bildschirm wahrnehmen, hat das Handwerkliche der Malerei und der Detailreichtum eindeutig auch eine Berechtigung und ein Potenzial. Die Frage ist einfach, wie und was man heutzutage malt.

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Zheng Bo & Matthias Rillig, The Political Life of Plants 2, 2023

Foto: Kulturstiftung Basel H. Geiger

Wie reagiert das kunstinteressierte Publikum auf solche wissenschaftlichen Ausstellungen? Martina Huber, Sie haben da mit Ihrer Initiative «We are AIA – Awareness in Art» bereits Erfahrung gesammelt.

Martina Huber: Es funktioniert tatsächlich ziemlich gut. Viele Besucher:innen freuen sich, dass etwas gezeigt wird, das sie verstehen können. Wir können so Menschen ansprechen, die mit klassischer zeitgenössischer Kunst erst mal wenig anfangen können, aber vom Thema betroffen sind. Die Mediation ist allerdings sehr wichtig.

Die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst ist der Fokus Ihrer Arbeit. Wie kam es dazu?

Martina Huber: Ich habe Journalismus und Kommunikation studiert und bald bemerkt, dass für mich die Wissenschaften und vor allem die Humanwissenschaften sehr wichtig sind. Menschenrechte, Gender und Ökologie. Die zeitgenössische Kunst war für mich immer eine grosse Inspiration, weil sie mich emotional abholen konnte. Sie hat eine enorme Kraft. Deshalb habe ich nach einem Format gesucht, das beides verbinden kann. Als ich gemerkt habe, dass das für mich stimmig ist, dachte ich, vielleicht passt es für andere ja auch.

 


«Experimental Ecology» – Kunst x Wissenschaft im Dialog

25. August–29. Oktober 2023 in der Kulturstiftung Basel H. Geiger.