Fotografien der österreichischen Performance-Pionierin Valie Export werden im Fotomuseum Winterthur gezeigt.

Fotografien der österreichischen Performance-Pionierin Valie Export werden im Fotomuseum Winterthur gezeigt.

Bild: zvg

Kunst und Performance

Valie Export und der gespaltene Frauenkörper

Die feministische Medienkünstlerin Valie Export untersucht seit den 60er Jahren radikal, konfrontativ und mit hoch konzeptuellen künstlerischen Methoden die Rolle der Frau innerhalb der patriarchalen Strukturen. Das Fotomuseum in Winterthur stellt nun einen Teil ihres Werkes mit Fokus auf die Fotografie aus. Vieles davon ist auch nach Jahrzehnten inhaltlich hoch aktuell und hat erstaunliche Parallelen zu den Mechanismen in den Sozialen Medien.

Von Helena Krauser

Winterthur, 24.02.2023

9 min

«Der weibliche Körper ist eben nicht nur Natur, sondern geformt und bestimmt durch das gesellschaftliche Umfeld, das ihn umgibt.» Das sagt Walter Moser, Kurator der Ausstellung «Valie Export – Die Fotografien». Er steht vor dem Werk mit dem Titel «Aus dem humanoiden Skizzenbuch der Natur» im Fotomuseum Winterthur. Drei Fotografien, die in Bilderrahmen übereinander gehängt wurden.

Das unterste Foto zeigt zwei nackte Füsse im Sand, es ist ein Schwarz-Weiss-Bild.

Das Mittlere zeigt das  Schwarz-Weiss-Bild, das auf den Sandstrand gelegt wurde und wiederum zwei nackte Füsse, mit rot lackierten Füssnägeln, die auf dem Schwarz-Weiss-Foto neben dem fotografierten Fusspaar stehen.

Das oberste Bild zeigt das mittlere Foto, das auf einem Teppich liegt und wiederum zwei Füsse, die diesmal die Abbildung der Füsse auf dem Schwarz-Weiss-Foto verdecken.

Ein im wahrsten Sinne des Wortes, vielschichtiges und hochkonstruiertes Werk, das die Elemente Körper, Fotografie und Raum miteinander in Verbindung setzt und somit exemplarisch für das Schaffen von Valie Export steht.

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Die Medienkünstlerin wurde als Waltraud Stockinger 1940 in Linz geboren. Heute ist sie 82 Jahre alt und immer noch künstlerisch tätig.

Vielen ihrer Werke liegt der Gedanke zugrunde, dass der weibliche Körper ursächlich gespalten ist, da er mehreren Repräsentationssystemen unterworfen ist, die ihn konstruieren und festschreiben.

Diese Festschreibungen von Aussen verbindet Export in ihren Arbeiten mit dem voyeuristischen Blick auf den Frauenkörper. Viele ihrer Werke drehen diese Perspektive um und holen den Betrachter aus seiner Komfortzone heraus in eine Öffentlichkeit, in der er selbst zum beobachteten Objekt wird. So zum Beispiel beim «Tapp und Tastkino».

Zwölf Sekunden in der Blackbox

Für diese Expanded-Cinema-Aktion zog sich Valie Export eine Blackbox über den nackten Oberkörper. Die Zuschauer wurden von ihrem Partner, Peter Weibel, per Megaphon aufgefordert, durch die Box hindurch Exports Brüste zu berühren. Dabei gab es eine klare zeitliche Begrenzung von zwölf Sekunden und die Regel, Augenkontakt mit Export zu halten.

So kehrte sie den für das Kino typischen Voyeurismus des männlichen Zuschauers um. Die Aktion führte sie unter anderem 1968 in München durch. Begleitet wurde sie dabei immer von mehreren eigens engagierten Kameramännern und Fotografen.

Fotografien der österreichischen Performance-Pionierin Valie Export werden im Fotomuseum Winterthur gezeigt.

Export im Zentrum, umgeben von Männern mit Kameras. Das ist ein Konzept, das einem in der Ausstellung häufiger begegnet. Die Dokumentation ihrer Kunstaktionen hat Export immer mitgedacht. Filme und Fotografien wurden weiterverarbeitet und erhielten so neben dem dokumentarischen einen eigenen künstlerischen Wert. Auf diese Weise entstand beispielsweise das Werk «Aktionshose: Genitalpanik».

Export ging mit einer im Intimbereich ausgeschnittenen Hose durch die Reihen des hellbeleuchteten Saals im Stadtkino München und konfrontierte die Zuschauer so mit ihrer Schaulust.

Einige Monate später entstanden bei einem Shooting mit dem Fotografen Peter Hassmann Bilder von Export, auf denen sie die ausgeschnittene Hose trägt und mit gespreizten Beinen auf einer Bank sitzt, in der Hand ein Maschinengewehr. Die Fotografie wurde dann wiederum vervielfältigt, bearbeitet und im Stadtraum als Poster aufgehängt.

Export verwertete eine Idee also auf verschiedenen medialen Ebenen weiter und fungierte dabei als konzeptuell arbeitende Künstlerin, als Model, als Fotografin, als Vermarkterin ihres Aktivismus.

Ein Vorgehen, das an ein mediales Phänomen erionnert, das heute zwischen Kunst, Konsum und Aktivismus oszilliert: die Arbeit von Content-Creator:innen.

Fotografien der österreichischen Performance-Pionierin Valie Export werden im Fotomuseum Winterthur gezeigt.

Besonders greifbar wird die Paralele anhand des Werkes «VALIE EXPORT – SMART EXPORT Selbstportrait» von 1970.

Eine junge Frau hält eine Zigarettenpackung in die Kamera. Auf der Packung ist ihr Konterfei zu sehen, ihr Künstler:innenname ist der Markenname. Hinter dem Produkt ist die junge Frau selbst zu sehen, lässig mit einer Zigarette im Mund und geschlossenen Augen.

Wären es nicht gerade Zigaretten, die Valie Export im Jahr 1970 fiktiv bewirbt, könnte dieses Bild genau so auf dem Instagramkanal einer Influencerin zu sehen sein.

2015 lanciert Bianca Heinicke ihre Kosmetikmarke «Bilou», abgeleitet von ihrem Künstler:innenname «Bibis Beautypalace». Am Tag der Produktpräsentation postet sie ein Foto, auf dem sie die Duschschaumflaschen in die Kamera hält.

So faszinierend die Parallelen sind, so bemerkenswert sind allerdings auch die Unterschiede. Valie Export hat mit ihrem Foto 1970 provoziert, es war unerhört, dass sich eine Frau selbst so sehr in den Mittelpunkt stellt und aus ihrem Namen eine Marke macht.

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Bianca Heinicke im Jahr 2015 bei der Präsentation ihrer Kosmetikmarke «Bilou».

Biance Heinicke, die mittlerweile Biance Claßen heisst, war als Youtuberin und Jungunternehmerin auch ein neues Phänomen. Sie sorgte länderübergreifend für Gesprächsstoff, wurde viel belächelt, aber eben auch gefeiert und zum Idol für tausende junge Mädchen. Mit ihrer Marke machte sie Millionenumsätze. Die Influencerin war eine der ersten in einer Branche, die sich rasant entwickelt hat, vielschichtiger und politischer wurde.

Der bewertende Blick ist geblieben

Und, wenn wir nun fragen, was hat sich also geändert seit den 70er Jahren, so können wir festhalten: Viel mehr Frauen sind mittlerweile berufstätig, viel mehr Frauen haben Führungspositionen inne, viel mehr Frauen haben ihr eigenes Unternehmen, sind selbständig, sind laut. Was den Effekt hat, dass sie noch mehr Repräsentationsystemen unterworfen sind, noch mehr Rollenbildern gerecht werden müssen.

Die Frau, die sich für die Karriere und gegen Kinder entscheidet, gilt als egoistisch und verbissen, die Mutter, die sich entscheidet, keiner Erwerbsarbeit nachzugehen, wird als unemanzipiert abgestempelt, und viele von denen, die den Mittelweg gehen, sind konstant erschöpft, weil sie permanent hin und her wechseln zwischen den sandigen Füssen am Strand und dem sauberen Teppichboden.

Es hat sich also vieles gewandelt, aber der bewertende Blick auf den Körper und das Verhalten der Frauen, der ist geblieben.


VALIE EXPORT – DIE FOTOGRAFIEN

Fotomuseum Winterthur

Samstag, 25.02. – Montag, 29.05.2023