Kind als Belastungsprobe. Intime Aufzeichnungen im FRIDA Magazin.

Zoë und Alexander hatten eine romantische Vorstellung vom Elternsein. Dann traf sie die Realität.

Foto: Roland Schmid

Gesellschaft

Das Kind als Beziehungsprobe

Ein Kind verändert alles. Es stellt das eigene Leben komplett auf den Kopf. Und meist auch die Paarbeziehung. Zwei Elternpaare erzählen intim und persönlich von den Herausforderungen, die das Elternsein für sie bereit hielt. Ein Blick in die Statistiken zeigt: Mit der Geburt des ersten Kindes erhöht sich die Belastung der Partnerschaft sehr. Häufig führt sie zur Trennung.

Von Tamara Funck

Basel, 03.05.2023

20 min

«Wir waren nur noch Teamkollegen»

Zoë* und Alexander* lernten sich im Club kennen. Nach sechs Jahren Beziehung ging’s ruckzuck: Hochzeit, Schwangerschaft, Umzug aufs Land, Geburt ihrer Tochter. Nach einer schwierigen Zeit und einer kurzzeitigen Trennung sind sie wieder ein Paar und ziehen nächstes Jahr zurück in die Stadt.

*Die Namen sind aus Gründen der Privatsphäre geändert 

Zoë, 32 Jahre, Mutter von einer vierjährigen Tochter, erzählt

«Muttersein war für mich immer ein Lebensziel. Ich war 19 und natürlich sehr jung, als Alexander und ich uns kennenlernten, aber schon nach ein paar Jahren konnte ich mir das mit ihm vorstellen. Unser Kennenlernen war intensiv, megaschön, eine lange Verliebtheitsphase. Nach zwei Jahren sind wir zusammengezogen, nach sechs Jahren haben wir geheiratet. Schon vor unserer Hochzeit war ich einmal schwanger und habe es wieder verloren. Zwei Jahre später kam unsere Tochter auf die Welt.

Wir freuten uns fest über den positiven Schwangerschaftstest. Es passte perfekt, weil wir gerade ein Haus gekauft hatten. Mit der Renovation begann gleichzeitig eine stressige Zeit. Alexander war dabei, sich aus der Selbstständigkeit zu lösen, vorher hatte er ein Burn-out und erholte sich noch von dem. Wir haben uns in der Zeit zu wenig damit auseinandergesetzt, was kommt. Ende August sind wir umgezogen. Eigentlich wollten wir direkt ins Haus, aber es war noch nicht ready. Für zwei Monate waren wir vorübergehend in einer Wohnung und nachher, drei Wochen nach der Geburt, konnten wir ins Haus.

Die Bindung hat gefehlt

Die Geburt hat mich komplett verändert. Ich kam selber auf die Welt, für mich war es ein sehr schwieriger Anfang. Ich merkte bald, dass es mich nicht erfüllt und hatte – das lernte ich später in Therapie – Probleme, eine Bindung zu meiner Tochter aufzubauen. Ich habe unterschätzt, wie hart es ist. Ich fand es schwierig, dass sich alles nur noch um die Bedürfnisse des Kindes dreht, und selber muss man auf so viel verzichten. Zumindest am Anfang. Anderen Müttern fällt das viel leichter, aber für mich war das schwierig. Mir hat die Bindung gefehlt und darum dachte ich: Wieso mach ich das?!

Irgendwann, da war sie zweieinhalb, hatte ich mich für kurze Zeit von Alexander getrennt, mir ging es sehr schlecht, ich war erschöpft. Dann machte ich eine Familienaufstellung. Das veränderte alles von einem Tag auf den anderen. Ich kam nach Hause und hatte das Gefühl, meine Tochter ging anders auf mich zu. Ich habe vorher von ihr immer eine Ablehnung verspürt – wo sich etwas verändert hat, keine Ahnung – aber auf jeden Fall war es anders. Erst da merkte ich, wie es eigentlich sein könnte. Wie es ist, wenn man diese Bindung hat. Seither finde ich Muttersein – klar: anstrengend – aber auch sehr schön. Beides.

Natürlich hat die Veränderung durch unsere Tochter bei uns auch die ganze Beziehung auf die Probe gestellt. Wir sind in der Elternschaft zu Teamkollegen geworden und waren zeitweise nur noch das. Wir haben es zu wenig geschafft, uns Auszeiten zu nehmen, Zeit zu zweit. Alleine hat man das noch eher, aber als Paar hatten wir das zu wenig und unterschätzt, was das mit unserer Beziehung macht.

Die Rolle der aufopfernden Mutter

Wir hätten daran zerbrechen können als Paar, haben aber gerade noch so die Kurve gekriegt. Da bin ich stolz und froh. Ich musste lernen, mir Zeit für mich zu nehmen und dabei kein schlechtes Gewissen zu haben. Für Alexander ist das kein Bedürfnis, er ist am liebsten immer mit der Familie, aber für mich ist das wichtig und ich muss es trotzdem unbedingt einfordern. Ich musste auch lernen, mich abzugrenzen. Ich bekam noch das Ideal der aufopfernden Mutter vermittelt… da kommen schnell Schuldgefühle auf.

Das Kleinfamilienmodell ist Humbug. Wenn man es irgendwie planen kann, mit anderen Leuten zusammenzuwohnen oder falls ein Mehrgenerationenhaus eine Option ist, sehe ich das als Ideal. Aus seinem Umfeld heraus, aufs Land zu ziehen und gleichzeitig ein Kind bekommen? Würde ich nicht mehr so machen, das war zu viel Veränderung aufs Mal. Ich bin dort nie angekommen, ich bin einfach ein Stadtmensch. Jetzt kommen wir wieder zurück.»


Alexander, 43 Jahre, Vater von einer vierjährigen Tochter, erzählt

«Vor 12 oder 13 Jahren lernte ich Zoë im Ausgang kennen. Zuerst war es unverfänglich, wie eine Affäre, aber wir sind dann nie mehr auseinander. Unsere Beziehung entstand ohne Druck, ganz natürlich. Die Kinderfrage war am Anfang kein Thema, alleine schon, weil Zoë elf Jahre jünger ist als ich und damals noch am Studieren war. Ich weiss gar nicht, wann wir konkret anfingen, darüber zu reden, aber ich weiss, dass Zoë einen Kinderwunsch hatte und ich eigentlich auch. Nach sechs Jahren Beziehung haben wir geheiratet und versucht, schwanger zu werden. Der Wunsch nach einem Kind war dann so stark, dass schon ein bisschen Druck und eine Unsicherheit da war, ob es klappt oder nicht. Zoë wurde zum Glück recht schnell schwanger. Es ist wie ein Wunder, etwas Magisches, wenn es passiert.

Es war ein superheisser Sommer, mit über 40 Grad, als Zoë schwanger war, und unsere Tochter kam im Herbst auf die Welt. Die letzten Monate vor der Geburt waren heftig, wir haben noch ein Haus umgebaut. Ich habe in der Zeit sehr viel gearbeitet, ich war selbstständig und bin in ein Burn-out hineingerannt, das war eine stressige Zeit, auch für Zoë. Die Möglichkeit, ein Haus umzubauen, ein Nest zu bauen und das Vaterwerden haben mir aber auch viel Energie gegeben. Das hat mich aus dem Loch wieder rausgeholt. Ich bin ein Familienmensch, sehr gern häuslich und mich erfüllt die Vaterrolle. Für Zoë war es anders.

Die Realität entspricht nicht den Erwartungen

Es sind grosse Herausforderungen für die Beziehung entstanden. Als Eltern kennt man sich nicht, und die Mutter- und Vaterrolle bringt Neues hervor. Nach der Geburt unserer Tochter kam Zoë in eine Krise. Sie merkte, dass die Realität nicht mit ihren Erwartungen übereinstimmt. Sie hatte seit jeher diesen innerlichen Wunsch, Mutter zu sein, aber war nicht erfüllt von der neuen Rolle. Wir sind kurz vor der Geburt noch von der Stadt aufs Land gezogen, das war viel auf einmal. Überforderung im neuen Alltag, wenig Schlaf, keine Zeit für sich, keine Zeit als Paar, kein Sexleben mehr. Die vielen Veränderungen haben alles auf den Kopf gestellt und zu einer Krise geführt.

Zoë hat sich von mir getrennt, für eine Zeit. Das war, als wäre eine Bombe geplatzt. Wir waren immer ein harmonisches Paar und haben eigentlich nie gestritten, und dann ist es voll explodiert, alles nach elf Jahren. Die Elternschaft und das Kind haben ein Erdbeben ausgelöst. Das war schwierig, aber auch nötig, im Nachhinein. Es brauchte das um auszuloten: Was wollen wir? Was will jeder für sich, und passt das überhaupt noch zusammen? Kann ich wachsen mit der Person an meiner Seite? Wir haben alles hinterfragt und glücklicherweise wieder zusammengefunden. Für mich wäre eine endgültige Trennung extrem schlimm gewesen.

Durchs Nadelöhr

Ohne Paartherapie hätte es nicht funktioniert, glaube ich. Wir haben im Kern aneinander geglaubt und die Gefühle waren noch da. Ich bin extrem dankbar für die Bereitschaft von Zoë, das braucht Grösse – es ist ja auch ein Risiko – sich verletzlich zu zeigen. Jemand sagte mal, es sei wie durch ein Nadelöhr zu gehen, und das stimmt irgendwie. Wir sind durchs Nadelöhr. Es ist schmerzhaft und schwierig, und beide müssen dafür bereit sein.

Man kann nicht wissen, was kommt, wenn man Eltern wird, aber man muss flexibel sein, in allen Belangen. Beziehung ist immer ein Kompromiss. Wenn man das nicht auf die Reihe bekommt, hat man verloren. Wir haben uns selber entdeckt und unsere Bedürfnisse ernst genommen. Wir konnten für uns eine tiefere Ebene erschliessen. Das widerspiegelt sich jetzt auch im Umgang miteinander.»


 

Kind als Belastungsprobe. zweites Bild. Intime Aufzeichnungen im FRIDA Magazin.

Hannah und Ronny stellten plötzlich fest, dass sie eine Beziehung ohne Emotionen und Anziehung führen.

«Sind wir denn überhaupt glücklich?» 

Hannah* wurde schwanger, während sie mit ihrem Freund Ronny* durch Osteuropa reiste. Zurück in der Schweiz zogen sie zusammen und starteten bald ins Abenteuer Elternsein. Inzwischen leben sie getrennt und sorgen gemeinsam für ihren Sohn. 

*Die Namen sind aus Gründen der Privatsphäre geändert 

Hannah, 34 Jahre, Mutter von einem fünfjährigen Sohn, erzählt 

«Ronny und ich lernten uns an einer WG-Party einer gemeinsamen Freundin kennen. Es begann als Affäre und sehr lang war für mich unklar, was er genau will. Für mich war es am Anfang auch nicht klar, aber dann verliebte ich mich. Etwa ein halbes Jahr später waren wir ein Paar. Bald reisten wir für ein paar Monate nach Südostasien und Indien. Ich wollte die Welt entdecken und genau das hat mich an ihm angezogen: Er war ein Weltenbummler.

Irgendwann haben wir darüber geredet, was wäre, wenn ich schwanger werden würde. Ich wollte die Pille absetzen und lieber mit der Temperaturmethode verhüten. Ich sagte ihm, dass ich das Kind auch bei einer unvorhergesehenen Schwangerschaft auf jeden Fall behalten möchte. Er stimmte dem zu, war aber völlig ahnungslos – wie ich auch – und machte sich keine Gedanken.

Nach drei Jahren Beziehung waren wir mit dem Auto durch Osteuropa unterwegs. In Griechenland erfuhren wir von der Schwangerschaft. Wir hatten ungeschützten Sex und danach spürte ich meinen Eisprung drei Tage früher als berechnet. Ich dachte noch, upps. Der Schwangerschaftstest bestätigte, was ich eigentlich schon wusste. Ronny freute sich schon, aber sein Gefühl, seine Reaktion, war auch: Hilfe!

Ich freute mich sehr. Ich merkte, dass ich mir das wahrscheinlich schon wünschte, aber nicht so ganz eingestand. Wir kriegen das hin, sagten wir. Abgesehen von der stressigen Wohnungssuche war die Schwangerschaft auch eine schöne Zeit. Ich erinnere mich, wie Ronny die Bewegungen des Babys spürte. Die Vorfreude war da.

Das Trennungstrauma

Im März zogen wir zusammen, im April kam unser Sohn auf die Welt. Ronny hat sich im Wochenbett um uns gekümmert. Alles war sehr schön, eine schöne Babybubble, abgesehen von dem Trennungstrauma, das ich erlebte. Direkt nach der Geburt hatten mein Sohn und ich diesen Bonding-Moment nicht. Er kam auf die Intensivstation und nachher, als wir endlich zusammen waren, haben weder er noch ich einander loslassen wollen. Ewig lang.

Irgendwann hat sich eingeschlichen – weil ich mehr Zeit hatte und Ronny arbeiten ging –, dass ich alles gemacht habe, was das Kind anbelangt. Ich war Mutter, er ging arbeiten. Am Abend haben wir zusammen gegessen und waren daheim. Es war schon gut, aber das Elternsein war mehrheitlich mein Job. Von Anfang an. Unser Sohn liess sich nie von ihm beruhigen. Auch in der Nacht nicht, auch wenn ich da war. Ich konnte ihn nicht länger als zwei Stunden bei Ronny lassen. Das war zwei Jahre lang so. Die Anfangsphase, in der ich alles gemacht habe, und die Zeit im Spital haben dazu geführt, dass wir uns nicht trennen konnten. Mein Sohn und ich. Ich stillte ihn intensiv, bis er drei war. So lange war meine Unabhängigkeit nicht da. Das hat auch dazu beigetragen, dass die Vater-Sohn-Beziehung nicht so recht entstehen konnte.

‹Ich mache hier alles alleine›

Zunehmend hat es mich gestört, dass ich so viel übernehme. Am Anfang wollte oder konnte ich nicht abgeben, aber als es möglich gewesen wäre, fing es an, mich zu nerven. Ich vermute, dadurch, dass ich die Bezugsperson für unser Kind war, hat Ronny die Verantwortung an mich abgegeben und dann irgendwann aufgegeben. Ich merkte, hey hallo, ich mache hier alles alleine. Ronny ist eine Person – das wusste ich vorher nicht –, die keine Verantwortung übernehmen kann für einen Menschen, organisationsmässig. Verpflichtungen und Zeiten einhalten, fällt ihm manchmal schwer. Als ich ihn darauf ansprach, versuchte er mehr zu machen, aber den Mental-Load mit mir teilen, konnte er nicht, auch wenn er es wollte. Es ging einfach nicht. Vom Gefühl her war es für mich so, als würde jemand unseren Sohn hüten, wenn er bei Ronny war.

Rückblickend haben wir auch zu wenig geredet. Ronny hat fast nicht über seine Gefühle reden können, und irgendwann haben wir das gar nicht mehr gemacht. Unsere Beziehung war eigentlich sehr liebevoll, aber wir hätten mehr Zeit zu zweit gebraucht. Als es dann mal so weit war, dass unser Sohn länger von mir getrennt sein konnte, hatten Ronny und ich uns schon so entfremdet. Ich hatte dann gar kein Verlangen und keine Lust mehr, mit ihm Zeit zu verbringen, so eins zu eins. Wir waren einfach nur noch Eltern und kein Paar mehr.

Seit Februar leben wir getrennt. Wir sind Freunde. Wir haben es gut, wir können über das Gleiche lachen, wir haben einander gern. Für uns beide ist das Wichtigste, dass wir uns für unseren Sohn nicht komplett auseinanderleben oder zerstreiten. Für das gibt es auch gar keinen Grund. Ronny ist ein guter Vater. Auch wenn er nicht an Dinge denkt, an die er denken müsste. Er macht es gut, einfach so wie er ist, mit unserem Sohn. Da bin ich extrem froh.»


Ronny, 37 Jahre, Vater von einem fünfjährigen Sohn, erzählt

«Hannah lernte ich auf einer privaten Geburtstagsparty kennen. Ich war danach öfters mal bei ihr zu Besuch und dadurch hat sich eine Beziehung entwickelt. Es war eine wunderschöne Zeit. Nach ein paar Jahren haben wir wegen Verhütung über das Thema Kind gesprochen. Sie hatte angefangen, die Pille abzusetzen und die Temperatur aufzuschreiben. Da haben wir darüber gesprochen, dass wir zwar miteinander schlafen, aber nicht wirklich verhüten. Sie sagte, wenn sie schwanger werde, behalte sie das Kind. Für uns war das klar.

Grosse Gedanken hat man sich nicht gemacht, zumindest ich nicht. Es war nicht unser Plan, ein Kind zu machen. Meine Reaktion auf Hannahs Schwangerschaft war deshalb eine gewisse Schockstarre.

Jetzt wird es seriöser

Ich habe nicht danach gesucht, so schnell Vater zu werden, aber eine Freude war schon da. Wenn es so ist, dann ist es so. Ich bin zwar nicht parat, aber dann haben wir jetzt ein Kind. Es wird sich alles ergeben. So gehe ich durchs Leben, für mich ergibt sich alles mit einer gewissen Leichtigkeit. Gleichzeitig habe ich realisiert: Das ist jetzt next level, jetzt wird’s ein bisschen seriöser.

Während Hannahs Schwangerschaft arbeitete ich temporär im Wallis und war gar nicht so oft hier. Hannah hat sich um die Wohnungssuche gekümmert und ging an Besichtigungen. Das war zeitlich eng, weil wir wollten wenigstens ein bisschen zusammengewohnt haben, bevor das Kind kommt. Und da war auch finanzieller Druck. Da ich temporär arbeitete, konnte ich nie einen Mietvertrag unterschreiben, wegen der B-Bewilligung, und sie war noch Studentin. Schlussendlich hat ihr Vater gebürgt, damit wir eine Wohnung bekamen.

Klarer Rhythmus statt grosse Freiheit

Nach dem Umzug blieb uns noch ein bisschen Zeit bis zum Geburtstermin. Es war schön, das Zusammenwohnen. Und plötzlich waren wir zu dritt. Plötzlich war da etwas nie Dagewesenes. Es war eine komplett neue Erfahrung. Mit der Geburt realisierte ich, wie viel sich verändert. Nicht mehr rausgehen, abends da sein, ein klarer Rhythmus, Zeiten abmachen. Dieses Verbindliche, Pünktliche, Abgemachte, Getaktete – es war schon schwierig. Ich bin ein freiheitsliebender Mensch und musste mich recht umstellen. Ich habe mich gefreut, es war schön, da ist jetzt was Kleines da, aber es war auch nicht easy für mich.

Wir hatten kein Kinderzimmer fertig gestrichen, wir hatten beide keinen festen Job. Es war alles nicht da. Ich habe mich recht verkrampft und verspannt, der Rücken tat mir weh. Schon zu wissen, dass ich jetzt da sein musste, und dass das Kind so neben einem schläft. Es war komplett was Neues. Das hat eine lange Zeit gebraucht, bis sich das löste.

‹Das Kribbeln verliert sich megaschnell›

Ich bin reingewachsen. Klar, es sind ein paar Jahre vergangen, man ist drin. Man weiss auch, wofür man es macht. Man macht vieles für das Kind und für seine Zukunft. Dadurch, dass ich nicht von hier komme, fühle ich mich angekommen. Schon vorher, aber jetzt noch mehr. Ich spiele auch gar nicht mit dem Gedanken, irgendwann wegzugehen. Jetzt bin ich hier, jetzt bin ich Vater.

Die Beziehung mit Hannah hat sich über die Jahre verändert. Das Kribbeln verliert sich megaschnell. So hart es klingt, aber Elternsein ist wie ein Job. Hannah macht echt viel. Sie hat schon sehr viel mehr gemacht als ich. Wir waren beide am Funktionieren. Eine gewisse Zweisamkeit ging verloren, weil das Kind immer da ist. Es war auch nicht so, dass wir das Kind einfach abgeben konnten. Es war schon sehr kontaktbezogen zu ihr. Daher war eine gewisse Zärtlichkeit und Nähe zwischen uns beiden nicht mehr da. Wir mussten sehr viel tun, dass es dem Kleinen gut geht. Man vergisst, was aussen rum läuft. Ich hätte vielleicht mehr mit Freunden machen sollen, aber es war so: Wenn Hannah nicht kann, dann gehe ich lieber auch nicht raus, dann bleibe ich zu Hause. Eine gewisse Solidarität zum Partner.

Nur noch Routine

Irgendwann hat eine gewisse Anziehungskraft gefehlt. Wir haben nicht darüber gesprochen. Es gab so die übliche Routine: Abendessen, der Kleine ins Bett, Sofa, Netflix. Das anziehende Beisammensein war verflogen. Wir hatten nur noch die Routine. Erst nach einer gewissen Zeit sassen wir auf dem Balkon und stellten uns Fragen: Sind wir denn überhaupt glücklich? Wir schlafen nicht miteinander, was sind wir überhaupt? Macht es Sinn, so weiter zu leben? Sind wir überhaupt noch zusammen? Sind wir einfach Freunde? Sind wir einfach Eltern? Nach ein paar Monaten haben wir erneut darüber gesprochen. Da waren wir uns einig: Es fehlt an Emotionen und Anziehung, um es Beziehung nennen zu können. Wir entschieden uns, dass es besser wäre, wenn einer von uns auszieht.

Inzwischen wohne ich ein kurzes Stück von Hannah entfernt, die Zeit mit unserem Sohn teilen wir uns auf. Es liegt mir sehr am Herzen, dass wir es gut haben. Und uns ist es wichtig, dass wir dem Kind gute Eltern sind. Das ist eine Basis, um immer noch eine gute, stabile Beziehung zu haben. Ich will das so beibehalten.»


 

Ein Blick in die Statistik

Der Übergang zur Elternschaft ist eine Beziehungsprobe für junge Paare. Das ist nicht nur ein individuelles Empfinden, sondern statistisch belegt. 

Laut Wassilios Fthenakis, dem renommierten Experten für Entwicklungspsychologie, erleben etwa 80 Prozent der Paare Belastungen in ihrer Partnerschaft, sobald sie Eltern werden. Fthenakis hat viele Langzeitstudien mit Familien durchgeführt.

Die Ergebnisse zeigen: 

In den ersten drei Jahren nach der Geburt sind Partnerschaften sogar besonders anfällig. Zwei Drittel der Paare, die in dieser Zeit mit Problemen zu kämpfen haben, erholen sich wieder, während das andere Drittel in längere Unzufriedenheit oder Trennung abrutscht.

Zahlen aus Deutschland legen dar, dass dort die Hälfte der geschiedenen Paare minderjährige Kinder hat, und etwa 40 Prozent dieser Trennungen erfolgen bereits im ersten Lebensjahr des Kindes.

Keine Zeit für Kommunikation

«Am Anfang macht Paaren vor allem fehlende Energie und erhöhte Reizbarkeit zu schaffen», sagt die Paartherapeutin Felizitas Ambauen im Magazin «Wir Eltern». Vor der Familiengründung seien solche Stimmungen leichter abzufedern. Eltern jedoch haben zwischen Stillen, Wickeln und Schlafmangel kaum Zeit für Kommunikation. «Dafür braucht es Ruhe und genug Ressourcen», sagt Ambauen. «Beides ist mit der Geburt des Kindes nicht mehr ausreichend vorhanden.» Vielmehr würden die Kinder in Konflikten wie Brandbeschleuniger wirken.

Fthenakis Studien zeigen deutlich, dass das Streitverhalten sowie die Unzufriedenheit in der Partnerschaft nach der Geburt des ersten Kindes zunimmt, während die Zärtlichkeiten immer weniger werden und die Kommunikation abnimmt. 

Dabei handelt es sich nicht um ein temporäres Phänomen, das nach dem Wochenbett oder mit der ersten durchgeschlafenen Nacht wieder verschwindet. Die Tendenz bleibt bis 34 Monate nach der Geburt bestehen. 

Zeit zu zweit

Zwei wesentliche Faktoren für Konflikte, die in verschiedenen Berichten und Studien von Expert:innen immer wieder genannt werden, sind die mangelnde Kommunikation beziehungsweise die Pflege der Paarbeziehung und das unfreiwillige Verfallen in traditionelle Rollenaufteilungen.

Es sei wichtig, dass Paare sich nicht nur über organisatorische Dinge austauschen, sondern sich auch auf sich selbst und ihre Partnerschaft konzentrieren. Denn das Fehlen des Austauschs von Gefühlen führt zum Verlust des Zusammenhalts und zur Entfremdung. 

Anerkennung ist wesentlich

Mit der Elternschaft beginnt für viele Paare auch heute noch das Leben in den traditionellen Geschlechterrollen, selbst wenn vor der Geburt des ersten Kindes beide Elternteile erwerbstätig waren. 2019 arbeiteten 80,4 Prozent der Mütter von Kindern unter 25 Jahren, die in einer Partnerschaft leben, Teilzeit. In 18 Prozent der Paarhaushalte mit Kindern sind die Mütter nicht erwerbstätig. 

Das Empfinden von Gerechtigkeit spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle für die Partnerschaftszufriedenheit. Es wurde festgestellt, dass die Umverteilung familiärer Aufgaben nicht zu einem Rückgang der Zufriedenheit bei Frauen führt, wenn der Partner die Beiträge und Leistungen der Frau anerkennt und wertschätzt. 

Mütter arbeiten 75 Stunden pro Woche

Insgesamt sind junge Eltern durch die Arbeit in der Familie im Haushalt und die Erwerbsarbeit einer sehr hohen zeitlichen Belastung ausgesetzt. Der statistische Bericht von 2021 über Familien in der Schweiz zeigt, dass Mütter mit Kindern unter vier Jahren im Durchschnitt 75 Stunden und Väter 74 Stunden arbeiten. Bei Paarhaushalten ohne Kinder sind es rund 50 Stunden.

Trotz all der Belastung zeigt die Statistik, dass zusammenlebende Eltern sehr zufrieden mit ihrer Lebenssituation und mit ihrem Gesundheitszustand sind. 

Text: Helena Krauser