REPLICA, Treibstoff im FRIDA Magazin

Die verschiedenen mystischen Geräusche des Kopierers werden im Theaterstück REPLICA zu Musik verwandelt.

Foto: zVg

Theater

Alles nur geklaut?

Was ist Inspiration und was Diebstahl? Das Theaterstück REPLICA geht an den Treibstoff Theatertagen dem Phänomen des Kopierens auf den Grund.

Von Helena Krauser

Birsfelden, 31.08.2023

7 min

Es sind nur noch wenige Tage bis zur Premiere von «Replica». Früh morgens, bevor die Proben beginnen, treffe ich Anna-Katharina Bano in der Garderobe des Roxy Theaters in Birsfelden, um mit ihr über das Stück zu sprechen.

Mit der Kaffeetasse in der Hand erzählt sie mir sehr anschaulich von der Doppeldeutigkeit, um die sich die Produktion dreht: «Stell dir vor, wir beide würden uns kennenlernen und plötzlich würde ich anfangen, in die gleichen Cafés zu gehen wie du, deine Freund:innen würden zu meinen Freund:innen werden, ich würde also versuchen, dir immer näherzukommen. Nicht physisch, aber über die Nachahmung. Das wäre wahrscheinlich ziemlich unangenehm für dich, weil du dich nicht mehr einzigartig fühlen würdest. Aber eigentlich wäre es auch legitim, schliesslich ist diese Individualität auch nur ein Konstrukt.»

Anna-Katharina Bano kommt aus Wien und lebt derzeit in Zürich. An der ZHdK studiert sie Schauspiel. Zuvor hat sie Ausbildungen in Möbelrestaurierung, Raumgestaltung, Kunstgeschichte und Kreativkonzeption absolviert.

Mit ihrem Stück möchte sie keine moralische Wertung vornehmen, sondern Assoziationsräume öffnen.

Der schmale Grat

Die Suche nach dem schmalen Grat zwischen Individualität und Nachahmung kennen viele von der Pubertät. Alle wollen dazugehören und doch ganz einzigartig sein.

Genau diese Ambivalenz ist es, die Anna-Katharina Bano am Phänomen des Kopierens so interessiert und sie dazu veranlasst hat, sich mit einem Theaterstück beim Treibstoff-Festival zu bewerben. Es ist ihr erstes eigenes Stück, bei dem sie mit tatkräftiger Unterstützung – das ist ihr wichtig zu erwähnen – auch die Regie führt und sie hätte eigentlich nicht damit gerechnet, dass sie eingeladen wird.

Anna-Katharina Bano im FRIDA Magazin

Anna-Katharina Bano

Aktuell studiert sie Schauspiel an der ZHdK. Vorangehende Ausbildungen waren Möbelrestaurierung und Raumgestaltung sowie Kunstgeschichte und Kreativkonzeption. Sie war lange Zeit bei der Pfadi aktiv und leitete u.a. Theaterstücke mit Kindern. Als Darstellerin arbeitet sie auf der Bühne, in Videos, Kurzfilmen und Audiofeatures. Als Performerin und Leitungsteammitglied arbeitete sie 2022 und 2023 am TiaR-Festival. Am Theater Neumarkt war sie Kollaborateurin bei The Lobster und ist Mitbegründerin des feministischen Rapkollektivs die Hausverwalta.

Originalität beruhe auf Vertrauen, erklärt sie mir. Und sobald Kopien auftreten, wird dieses Wertesystem gestört. Kopien sind also grundsätzlich negativ konnotiert, dabei gäbe es auch positive Beispiele: «Generika, also Nachahmerpräparate eines Arzneimittels, sind ja zum Beispiel etwas Gutes», sagt Anna-Katharina Bano. «Aber auch die gibt es nur, weil wir in einem kapitalistischen System leben.»

Was ist erlaubt?

Sie erzählt von der Absurdität, dass manche Themen in der Kunst von einzelnen Künstler:innen so vereinnahmt werden, dass man sich als Kulturschaffende die Frage stellt, ob man dieses Themengebiet im eigenen Werk überhaupt behandeln darf.

«Ist es ein Plagiat, wenn ich eine Idee umsetze, die jemand anderes auch schon mal hatte?», fragt sie.

Andererseits gibt es gerade in der Musikwelt teilweise heftige Diskussionen über Fälle von Raub am geistigen Eigentum, so beispielsweise im vergangenen Jahr zwischen Beyoncé und Kelis. Die Prinzen haben dem Phänomen ein ganzes Lied gewidmet.

Für das Stück Replica haben Anna-Katharina Bano und ihre Kolleg:innen ein Klangexperiment durchgeführt: Eine Audioaufnahme wird auf der Bühne abgespielt, währenddessen läuft ein Aufnahmegerät und diese Aufnahme wird wieder abgespielt und wieder aufgenommen und immer so weiter. Jedes Geräusch, das sich während des Abspielens in die neue Aufnahme mischt, verändert den Klangraum, die Grenzen zwischen Original und Kopie verschwimmen sofort. Eine wunderschöne Idee, die gemeinsam mit dem Publikum einen neuen akustischen Raum entstehen lassen kann.

Der einzige Haken: Die Idee hatte schon mal jemand.

«I Am Sitting in a Room» ist eine der bekanntesten Arbeiten des US-amerikanischen Komponisten und Klangkünstlers Alvin Lucier. Kann die Theatergruppe dieses Experiment trotzdem auf der Bühne zeigen? Ist eine Angabe zur Referenz notwendig? Ab wann ist eine Szene, eine Geschichte, eine Melodie, kollektives Kulturgut? Muss ich die Autorenschaft angeben, wenn ich von einem Mädchen mit einer roten Mütze erzähle, das in den Wald geht und Bekanntschaft mit einem Wolf macht?

Inhalt oder Stil

Früher sei Literatur mehr nach ihrem Stil beurteilt worden, die Geschichten waren immer wieder dieselben. Schliesslich wiederholen sich die Themen, die uns Menschen bewegen, sagt Anna-Katharina Bano und gibt zu bedenken: «Können wir mit unserem begrenzten Vokabular überhaupt noch etwas komplett Neues schaffen?»

Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Team von Replica in diesen letzten Probentagen. Gelegenheit dazu haben sie fast permanent. Zurzeit wohnt nämlich beinahe das komplette Team im Roxy. Die Arbeitswelt vermischt sich also mit Freizeit, mit Freundschaft, mit Auszeit.

Ihr wäre es lieber, es gäbe im Theater mehr klare Grenzen, erzählt mir Anna-Katharina Bano. Ihre Rollen als Verantwortliche für die künstlerische Leitung, Performance und Kommunikation nehmen sie so rund um die Uhr ein. Deshalb gehe sie normalerweise gerne mal in Bars, um ein bisschen Abstand zu bekommen. Dafür wird sie sich nach dem Projekt wieder mehr Zeit nehmen.


VORSTELLUNGEN

5.9.2023 – 21:00 Uhr (Premiere)
7.9.2023 – 19:00 Uhr
9.9.2023 – 21:00 Uhr (+ Publikumsgespräch)

ROXY Birsfelden, Bühne
Dauer: 60 min

REPLICA ist Teil des Nachwuchsfestivals Treibstoff, das vom 5. bis zum 9. September in Basel stattfindet.


DAS PROGRAMM VON TREIBSTOFF:

Living Smile Vidya: INTRODUCING LIVING SMILE VIDYA

Die indische Schauspielerin und trans Aktivistin Living Smile Vidya floh vor dem immer radikaler werdenden Hindu-Faschismus alleine in die Schweiz. Was sie erlebt und was unsere Schutzpatronin Helvetia damit zu tun hat, rollt sie persönlich, direkt und mit frechem Humor in ihrem Solo auf.

In englischer Sprache.

VORSTELLUNGEN
5.9.2023 – 19:00 Uhr (Premiere)
8.9.2023 – 17:00 Uhr
9.9.2023 – 19:00 Uhr

ROXY Birsfelden, Studio

Project together: A LONG STORY ABOUT OUR BABY

Eevi Kinnunen und Olivia Ronzani brechen auf zu einer Reise, um ihre queeren Familienfantasien zu erträumen, erforschen und zu verstehen. Ein autofiktionales Tanzstück, das queere Liebe und Familienzukunft erkundet und manifestiert.

In englischer Sprache.

VORSTELLUNGEN
6.9.2023 – 21:00 Uhr (Premiere)
7.9.2023 – 19:00 Uhr
8.9.2023 – 19:00 Uhr (+ Publikumsgespräch)

junges theater basel
Dauer: 70min

raucous babies: ADHS 2.0

Ständig wird über AD(H)S gesprochen und geschrieben. Aber nur wenige wissen tatsächlich, wie sich diese Neurodivergenz anfühlt. «Raucous babies» recherchiert zu den feinen Unterschieden der Aufmerksamkeitsformen von AD(H)S und stellt sich mit den Zuschauer:innen die Frage: Wie könnte sich das eigentlich anfühlen?

VORSTELLUNGEN
6.9.2023 – 19:00 Uhr (Premiere)
8.9.2023 – 21:00 Uhr

Kaserne Basel, Rossstall 1
Dauer: 50min

Annatina Huwiler: Z’BERG

«z’BERG» ist eine audiovisuelle Installation, welche die Besucher:innen auf eine Wanderung im Bühnenraum mitnimmt. Es ist ein Raum mit einer anderen Zeitlichkeit, welcher einlädt, zu sein, mit sich, mit den anderen und einer grossen aufblasbaren Skulptur.

VORSTELLUNGEN
6.9.2023 – 17:00 Uhr Tickets
6.9.2023 – 17:45 Uhr Tickets
6.9.2023 – 18:30 Uhr Tickets
6.9.2023 – 19:15 Uhr Tickets

Kaserne Basel, Reithalle
Dauer: je 45 min

 

Die soziale Fiktion: NAH AM WASSER GEBAUT ON TOUR

«Nah am Wasser» gebaut on tour ist eine Mischung aus Werbeveranstaltung, Agit-Pop und Theater mit offenem Ende. Das Performance-Kollektiv setzt darin ihre Beschäftigung mit der gesellschaftlichen Dimension von Gefühlen fort.

VORSTELLUNG
9.9.2023 – 17:00 Uhr Tickets

Kaserne Basel, Reithalle
Dauer: 60-80 min

 

Dieser Artikel ist im Rahmen einer Medienpartnerschaft mit den Treibstoff Theatertagen entstanden.