Das Schulhaus im rheintalischen Azmoos wurde von den Architekten Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christiana Köchling entworfen.

Das Schulhaus im rheintalischen Azmoos wurde von den Architekten Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christiana Köchling entworfen.

Bild: Philip Heckhausen

Architektur

Ein Schulhaus, zwei Wettbewerbe, doppelte Freude

Der Architekturwettbewerb ist der Motor der Baukunst. Beispielhaft zeigt das der Neubau des Schulhauses im rheintalischen Azmoos. Ausgezeichnet von der Jury des Wettbewerbs Constructive Alps vereint das Haus, was zukunftsträchtiges Bauen ausmacht: Klimavernunft, die Schönheit hervorbringt.

Von Köbi Gantenbein

Fläsch, 16.02.2023

8 min

Es gibt zwei Sorten von Architekturwettbewerben. Der eine sucht einen Vorschlag für ein Projekt – ein auf Pläne gezeichnetes Versprechen. So in Azmoos im St. Galler Rheintal, wo der Gemeinderat einen für Architektinnen und Architekten offenen Wettbewerb für ein neues Schulhaus am Platz des alten ausschrieb.

Statt 80 sollten doppelt so viele Kinder in Lernlandschaften Raum finden, konstruiert nach bestem Wissen der nachhaltigen Architektur. Die Jury wählte 2015 aus 69 Einsendungen den Vorschlag der Architekten Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christiana Köchling. Und so bauten die Azmooser – das heisst die Gemeinde Wartau, zu der sie gehören – mit ihnen ihr neues Schulhaus.

Das grosse Staunen

Der Architekturwettbewerb ist der Motor der Baukunst – es ist schön und verdienstvoll, wenn sich eine Gemeindebehörde auf ein solches Abenteuer einlässt. Sie leistet damit einen wesentlichen Teil zur Baukultur. Auch wenn der Architekturwettbewerb Tradition hat und entlang bewährter Verfahren geht – die Milizpolitikerinnen und Hobbypolitiker in den Baukommissionen und Räten müssen zutraulich sein; vieles ist offen und niemand weiss bis am Schluss, wer hinter den Projekten steckt.

So wird auch unter den Azmoosern das Staunen gross gewesen sein: Ihre drei künftigen Baumeister hatten eben erst nach ein paar Wanderjahren ihr eigenes Büro gegründet – nicht im Nachbardorf, sondern in Berlin, fern im Ausland. Keine Einheimischen? Der Gemeindepräsident reiste nach Berlin und fuhr mit seinen künftigen Schulhaus-Architekten auf dem Velo durch die Stadt und kam mit der Botschaft heim: «Das kommt gut mit denen». Auch sass ja ein Bauleiter aus dem Dorf mit im Boot, und Hubert Bischoff, ein erfahrener Architekt, wurde der Götti des Vorhabens. 

Das Schulhaus im rheintalischen Azmoos wurde von den Architekten Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christiana Köchling entworfen.

Bild: Philip Heckhausen

Und so ist das Schulhaus von Azmoos schön geraten – dunkel mit den markanten fünf Dächern, unter denen nun die Kinder zur Schule oder in den Kindergarten gehen, Bücher in der Bibliothek holen oder Musik üben. Ihre Klassenzimmer sind auf einem Stock verteilt. Die Räume fliessen ineinander. Gang und Zimmer sind aufgehoben – gelernt wird überall. Das Material – Holz aus den umliegenden Wäldern – und die Anordnung der Räume und das Licht schaffen eine warme, bekömmliche und gemütliche Stimmung. Die Form und die Anmutung des Hauses erinnern an einen Stall – geborgen sind die Kinder im Schermen.

Lernen im Tageslicht

Das Projekt haben die Architekten nach Minergie A Eco gebaut – das ist der Goldstandard der Klimavernunft, jede konstruktive Entscheidung ist da zu quantifizieren. Und freilich produziert die ins Haus eingelassene Fotovoltaik Energie. Der Sonnenstrom ist mit rund 30 kWh/m2a doppelt so hoch wie der Heizbedarf von 15 kWh/m2a. Holzschnitzel-Fernwärme deckt ihn, und es hilft die Lüftung mit Wärmerückgewinnung.

Minimiert ist auch Strombedarf für Kunstlicht. Die fünf Sheddächer geben dem dunklen Schulhaus nicht nur eine starke Form und prägen es so in die Erinnerung ein; durch Fensterbänden im Dach fliesst Nordlicht auf alle Flächen in die mit Holz ausgekleideten Zimmer. Es gibt keine dunklen Gänge in diesem Haus, jeder Quadratmeter hat dasselbe Licht, das mit der Tageszeit langsam wechselt – so wird erheblich Strom gespart, denn Kunstlicht ist nur dosiert nötig. 

Das Schulhaus im rheintalischen Azmoos wurde von den Architekten Christian Felgendreher, Johannes Olfs und Christiana Köchling entworfen.

Bild: Philip Heckhausen

Die zweite Form des Architekturwettbewerbs ist die Schönheitskonkurrenz. Sie gibt ein Thema vor und eine Jury sucht aus dem Bestand den bestgelungenen Bau. Als Lohn gibt es Aufmerksamkeit, den Jurybericht mit Lobesworten, oft eine Preisfeier und ab und zu eine Ausstellung. Das alles als Visitenkarte: «Schaut her, Bauherren, diese Architekten kann man brauchen.»

Von Ljubljana bis Nizza

Ein solcher Wettbewerb ist Constructive Alps. Die Eidgenossenschaft und das Fürstentum Liechtenstein führen ihn alle zwei, drei Jahre durch. Er hebt leuchtende Beispiele für klimavernünftiges Bauen aufs Tablett aus Ländern, die zur Alpenkonvention gehören – also im Bogen von Ljubljana bis Nizza sind.

Seine Absicht ist neben dem Lohn der Architektinnen und Architekten mit einem Preisgeld von 50’000 Euro, die Reklametrommel für die gute Sache zu rühren: «Schaut her, Bauherrschaften und Architekten, so geht es, wenn ihr einen Beitrag leisten wollt, um die Klimalast des Bauens zu vermindern und dennoch Schönheit zu bauen!»

Quer durch die Alpen bewerben sich jedes Mal zwischen 300 und 400 Bauten. In den zwölf Jahren ist so eine opulente Sammlung von Beispielen des klimavernünftigen, schönen Bauens und Sanierens zusammengekommen. Sie kann in meinem Buch «Bauen in den Alpen» besichtigt und studiert werden. Auch eine Website und Podcasts geben gut Auskunft.

Im guten Fall nun hängen beide Wettbewerbsarten miteinander zusammen: So hat Constructive Alps 2022 das neue Schulhaus von Azmoos ausgezeichnet. Andersherum: Der Gewinn 2022 kann die Jury und die Bauherrschaft von 2015 bestärken: «Gut entschieden, Azmooser. Eure Architekten haben das Versprechen eingelöst. Sie haben einen Leuchtturm gebaut.» Und die Architektin und Architekten konnten ihren Stolz zweimal feiern. 

Baukunst für die Klimavernunft

An ihrem Haus können wir auch die Entwicklung von Constructive Alps und damit vom klimavernünftigen Bauen in den Alpen ablesen: Die Baukunst hat der Klimavernunft Formen geschenkt. Galt vor einem Dutzend Jahren, bei der ersten Ausschreibung, vorab der Energiekennzahl hohe Achtung, und die Architektur hatte sich ihr zu fügen, so sehen wir in Azmoos den Gewinn der Schönheit.

Das Haus zeigt den Stand der Dinge, wie technisches Können und gestalterische Entscheide entspannt und elegant aufeinander bezogen werden können. Und wie mit Gestaltung – Platzierung des Hauses, sorgsam mit der Landschaft, Umgang mit Tageslicht, Wahl der Materialien, Konstruktion – viel Klimagüte erreicht werden kann, ohne dass dafür ein umfangreicher Maschinenpark fürs Heizen, Lüften und Beleuchten aufgefahren werden muss.

Der Architekturwettbewerb – ob als Entwurf oder die Schönheit des gewordenen Baus würdigend – ist immer auch ein Teil in der Theorie der Architektur, denn zu Sitte und Brauch gehört jeweils mit angemessenem Pathos der Bericht der Jury. Robert Mair, der Sprecher der achtköpfigen Jury von Constructive Alps, herkommend aus allen Alpenländern, fasste denn auch an der Preisfeier im Alpinen Museum von Bern neulich zusammen:

«Das Schulhaus von Azmoos ist ein würdiges Werk der gegenwärtigen Baukunst! Wie kein anderes Projekt aus den Eingaben 2022 vereint es alle Dimensionen der Nachhaltigkeit – sowohl wissenschaftlich als auch emotional. Es wurde berechnet und geprüft. Das Projekt hat uns in seinen Bann gezogen mit seiner äusseren Zurückhaltung und der inneren Schönheit voll von natürlichem Licht und Schatten, von Geborgenheit und dennoch von räumlicher Vielfalt. Überzeugt hat uns auch die städtebauliche Setzung, die trotz Vergrösserung des neuen Bauvolumens die Freiflächen für Sport und Zusammenkunft mit dem schönen Baumbestand erhält.» 

 

Schulhaus Azmoos, im Feld, 
Bauherrschaft: Gemeinde Wartau
Architektur: Felgendreher Olfs Köchling Architekten, Berlin/Wartau
Bauleitung: Matthias Gauer, Azmoos
Baukosten: 17, 4 Mio