Die Fenster im «Rheinhafen» sind mit Vorhängen abgedunkelt. Keller öffnet trotzdem die Türe. «Hallo?» Es brennt Licht. Ein vollkommen leeres Restaurant. Klinkerboden. Gelb gedeckte Tische. Blaue Stühle träumen vom Meer. Die Wirtin meint mit slawischem Akzent: «Natürlich ist die Küche offen. Bis zehn Uhr.» Wir bestellen Fleischkäse mit Spiegelei und Pommes Frites, Keller noch einen Salat, französisch. Dazu trinken wir Bier und reden über Schlaf, ein grosses, wiederkehrendes Thema in Kellers Werk.
Ihn hätte immer das Bild der Häuser interessiert, in welchen Menschen in scheinbar geschützten Rahmen schlafen, ein Bett haben, sich immer zur selben Zeit hinlegen. Ihn interessiere Schlaf als quasi rituelle Leerstelle, als Geheimnis in einem von Konventionen geprägten Alltag. Und wir sprechen über ihn als Dienstleister in der Kunstwelt.
«Ich misstraue der Figur des einsam Schaffenden, dem Künstler als Einzelgänger, als Genie.»
Keller versucht, Erfahrungen der eigenen Freiheit und sein Ringen um diese dem Publikum zugänglich zu machen. Als «effizientes» Werk sieht er beispielsweise die Performance «San Keller trägt sie hoch zur Kunst», in der er Menschen ins Museum trägt, letztmals 2018 im Museum Tinguely in Basel. Das Konzept sei klar und überschaubar: Der Künstler erscheint als Dienstleister einer Kunstinstitution. «Im Moment der Performance aber geschieht nochmals etwas ganz anderes: Zwischen ihm und der getragenen Person kommt es zu einem emotionalen Austausch, zu völlig unvorhersehbaren Reaktionen.»
Keller erzählt auch noch von einem seiner jüngsten Projekte «Was liest …», bei welchem er wieder einmal als Hausierer aufgetreten sei. Im bernischen Niederbipp, in der Grossüberbauung Lochergut in Zürich und im Urserental im Kanton Uri zog er von Haus zu Haus, von Wohnung zu Wohnung, klingelte und fragte, ob hier gelesen werde. Falls ja, bat er um Erlaubnis, die Doppelseite, wo das Lesezeichen im Buch drinsteckt, zu fotografieren. Diese Textstellen sammelte er in einer Publikation, die ausschliesslich am Ort des Geschehens besichtigt werden kann. Soziale Interaktion, Dorf- oder Hochhausporträt, Publikation, Performance und Installation überkreuzen sich in typisch kellerscher Manier.
Die Teller sind leer, Bier und Espresso getrunken, wir müssen bald los. Aber wir reden auch noch über ihn als Tänzer und Leiter der San Dance Company, die nur bei Regen tanzt. Keller selbst tritt in verschiedenen Performances als Tänzer, in einigen auch als Sänger auf. Er selbst sei in Sachen Musik nicht wählerisch, sicher auch von House und Techno tanzsozialisiert, aber zu wenig Drogenkonsument, um Raver zu sein.
Trams fahren wegen der Fasnacht keine durch die Innenstadt, dafür der Strecke entlang, die wir zuvor gelaufen sind. Bevor er einsteigt, sagt Keller: «Ich werde gut schlafen im Zug.»
San Keller empfiehlt diese Performance zum Selbermachen