Petrit Halilaj mit seiner Ausstellung «Very volcanic over this green feather» im Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum

Petrit Halilaj in seiner Ausstellung «Very volcanic over this green feather» im Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf.

Foto: Guy Martin

Treffen mit dem Künstler Petrit Halilaj

Pastellfarben und Panzer

Kann Kunst bei der Bewältigung von Traumata helfen? Kann Kreativität Resilienz fördern? Für den kosovarischen Künstler Petrit Halilaj hatte das Zeichnen eine enorme therapeutische Kraft, sowohl als Kind im Flüchtlingscamp als auch später bei der Verarbeitung seiner persönlichen Geschichte. Aus der intensiven Auseinandersetzung mit seinen Kinderzeichnungen ist eine ergreifende Ausstellung entstanden, die derzeit in Genf zu sehen ist.

Von Helena Krauser

Genf, 25.05.2023

7 min

Das internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum befindet sich auf dem imposanten Campus beim Hauptsitz der Organisation in Genf. Am Haupteingang ist das Areal mit Schranken abgesperrt, ein Pförtner winkt die Fahrzeuge mit Diplomantenkennzeichen durch.

Über ein paar Treppen gelangt man zum Museum. Vor dem Eingang schrauben Studierende der Technischen Hochschule aus Lausanne Holzlatten zusammen und graben in der Erde. Sie arbeiten in Kooperation mit dem Museum an der Umgestaltung des Museumsgartens. Es sollt ein Aufenthaltsort für Museumsbesucher:innen und Mitarbeitende entstehen.

Vom Trauma zur Resilienz

Bevor wir den Lift zum Ausstellungsraum betreten, huscht Petrit Halalilaj schon an uns vorbei. Er ist ein kosovarischer Künstler und der Grund für den Besuch in Genf. Er brauche nach dem letzten Gespräch ein wenig Zeit für sich, erklärt die Kuratorin Elisa Rusca. «Die Interviews zur Ausstellung setzen nicht nur eine Auseinandersetzung mit seiner Arbeit sondern auch mit sich selbst und seiner Vergangenheit voraus.»

Das Internationale Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum widmet sich innerhalb des aktuellen Themenjahrs der psychischen Gesundheit. Es gibt entsprechende Veranstaltungsreihen, einen Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit, Emergency Yoga und eben die Ausstellung von Petrit Halilaj. Sie trägt den langen und klangvollen Titel «Unfinished Histories – Very volcanic over this green feather».
Die Ausstellung ist eher eine grosse, raumgreifende Installation.

Ihr zentrales Thema ist die Resilienz und Petrit Halilaj hat einen maximal intimen und für ihn persönlich sehr schmerzhaften Zugang zu dem Thema gewählt.

Elisa Rusco führt durch die Ausstellung und erzählt von der Geschichte des Künstlers und der Entstehung der Ausstellung.

Flucht ins albanische Flüchtlingscamp

Mit 13 Jahren musste Petrit Halilaj als Kosovare sein damaliges Heimatdorf Kostërrc in Serbien verlassen, weil die serbische Armee begann es niederzubrennen. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinen jüngeren Geschwistern floh er zunächst ins Haus seines Großvaters und gelangte dann 1999 über die albanische Grenze in das Flüchtlingscamp «Kukës II». Sein Vater wurde, wie alle wehrfähigen Männer, für den Krieg eingezogen.
In dem Camp verbrachte die Familie mehrere Monate.

Eines Tages kam eine Gruppe von Psychologen ins Camp, um mit den Kindern zu arbeiten. Petrit Halilaj wurde durch Zufall auf das Projekt aufmerksam. Einer von den Psychologen war Giacomo Poli, Petrit Halilaj nannte ihn «Angelo». Er gab den Kindern Papier und Filzstifte und bat sie, ihre Wünsche und Träume zu zeichnen. Auch ihre Erinnerungen an den Krieg und die Flucht durften sie zu Papier bringen. Der kleine Petrit malte innerhalb von zwei Wochen 38 Bilder. Diese bildeten später die Grundlage der Ausstellung in Genf.

Ein Bild für den UN-Sekretär

Er war überdurchschnittlich begabt, bald sprach sich herum, dass da ein Junge mit besonderem Talent im Camp wohnte. Als das schwedische Fernsehen kam, um eine Dokumentation über das Camp zu drehen, führten die Reporter ein Interview mit ihm und beim Besuch des damaligen UN-Sekretär Kofi Annan war klar, dass Petrit Halilaj ein Bild für ihn malen sollte. Kofi Annan wollte es dann in der folgenden Woche dem UN-Sicherheitsrat in New York als Beweis für die Kriegsverbrechen vorlegen.

Halilaj malte das Bild, er wählte extra ein großes Format und legte das Papier im Zelt auf einen großen Karton, damit es nicht schmutzig wird. Allerdings zögerte er bei der Übergabe des Bildes und behielt es dann doch lieber für sich. Wie Elisa Rusca erzählt, hatte Halilajs Großvater, der auch im Camp wohnte, ihm am Abend zuvor erzählt, dass er nicht glauben solle, dass er mit seinen Bildern den Krieg stoppen könne.

Petrit Halilaj mit seiner Ausstellung «Very volcanic over this green feather» im Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum

Petrit Halilaj *1986 studierte an der Kunstakademie Mailand. In seinen Arbeiten thematisiert er häufig die politische Vergangenheit seiner Heimat und seine Erfahrungen im Jugoslawienkrieg. Kollektive Erinnerung, die eigene Identdität und die Freiheit sind ausserdem Themen, die sich häufig in seinen Werken widerspiegeln. Halilaj lebt und arbeitet in Deutschland, im Kosovo und in Italien.

Die Ausstellung Unfinished Histories   Very volcanic over this green feather wurde in einer abgewandelten Form bereits 2021 in der Tate St Ives in Cornwall gezeigt.  

Mit 18 Jahren konnte Halilaj nach Italien zu Angelo ziehen und dort Kunst studieren. Seine Zeichnungen aus dem Camp gerieten in Vergessenheit. «Er hätte es emotional auch gar nicht ausgehalten, sie anzuschauen», erzählt Rusca. 20 Jahre später, als er bereits ein etablierter Künstler war, mitten in der Pandemie, meldete sich Halilaj bei Angelo und fragte nach den Bildern. Angelo hat sie die ganze Zeit aufbewahrt.

«Ein Jahr lang haben wir mit den Bildern meine Vergangenheit aufgearbeitet», erzählt nun Halilaj, der inzwischen zu uns gestoßen ist. Er hat einzelne Motive aus den Kinderzeichnungen ausgeschnitten und stark vergrößert auf Filzplatten gedruckt, die nun in verschiedenen Formen und Grössen an Wollfäden von der Decke hängen. Vom Eingang her betrachtet, bilden sie eine sanfte Installation aus dezenten Farben. Auf den ersten Blick sind nur Vögel, Bäume, Gräser und andere Tiere zu sehen.

Sanft und schrecklich

Einige Filzplatten sind mit einem zarten Verlauf in Pastellfarben bedruckt. Diese Sanftheit der Farben und die Natürlichkeit der Materialien stehen in starkem Kontrast zu den harten Motiven, die erst sichtbar werden, wenn man sich das erste Mal umdreht und die Installation von der anderen Seite sieht. Zeichnungen von Panzern, Soldaten, Waffen und brennenden Häusern tauchen hintereinander auf. Mittendrin das lebensgrosse Bild eines Kindes. «Dieses Element ist das einzige, das von beiden Seiten bedruckt ist», erklärt Rusca. «Es steht für die Gleichzeitigkeit des Schönen und Schrecklichen und auch für all die Kinder, die im Krieg zurückblieben».

 

Petrit Halilaj mit seiner Ausstellung «Very volcanic over this green feather» im Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum

Ansicht der Ausstellung

Foto: Matt Greenwood

 

Wir sprechen über Resilienz. 

Damals als Kind habe er viel gemalt, das er gar nicht verstehen konnte, erzählt Halilaj. Er habe immer versucht, pro Blatt eine Geschichte präzise von vorne bis hinten zu erzählen. Die Ereignisse seien auf ihn als Kind nur so eingeprasselt. Er hatte keinen Handlungsraum. 

Pluralität führt zu Resilienz

Nun als Erwachsener und durch die Arbeit mit den Kinderzeichnungen hat er die Kontrolle über die Erzählung seiner Biografie wieder zurückgewonnen. Er konnte wählen, welche Motive er ausschneidet, wie gross er sie darstellt und wie er sie anordnet. «Durch die Hängung im Raum überlappen sich verschiedene Ebenen der Erzählung, die persönliche Geschichte und die globale Erinnerung vermischen sich», sagt er. Die Aufarbeitung sei ein sehr bestärkender Prozess gewesen und die Pluralität der Perspektiven habe ihm geholfen resilienter zu werden. «Das funktioniert auch global», sagt Halilaj. «Füge der Geschichte Pluralität hinzu und du erhältst Resilienz.»

Die Gleichzeitigkeit des Glücks und Unglücks in sich selbst und in der Welt könne er nun als Erwachsener besser akzeptieren. Dafür sei die Arbeit mit Angelo und den Kinderzeichnungen wichtig gewesen, auch wenn die posttraumatische Belastungsstörung ihn immer noch begleite. «Angelo hat mir geholfen zu akzeptieren, dass meine Ängste immer noch da sind.»

 


«Unfinished Histories»

«Very volcanic over this green feather»

Petrit Halilaj

25. Mai bis 17. September 2023 im Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf