Siedlung Hardturm 1. Andreas Hofer über neues Wohnen im FRIDA Magazin.

Die Siedlung Hardturm. Mit ihren vielfältigen Wohnungstypen, ihrer ökologischen Bauweise und der Mitsprache der Bewohner:innen in der Planung setzte diese erste Kraftwerk1-Siedlung Standards, die den heutigen Siedlungsbau in der Schweiz stark beeinflussen. Foto: Kraftwerk1

Architektur

Passen die Wohnungen von heute noch zu uns?

Die Bevölkerung altert, die Scheidungsrate ist hoch, manche junge Menschen hinterfragen Beziehungs- und Familienformen. Passt die heutige Gesellschaft überhaupt noch in die einst für sie zugeschnittenen vier Wände? Der Zürcher Architekt Andreas Hofer erzählt von den Defiziten im Wohnungsangebot und den Trends, die sich abzeichnen.

Von Tamara Funck

Zürich, 29.09.2023

7 min

Herr Hofer, wie sieht unsere heutige Gesellschaft aus und was für Wohnungen braucht sie?

Andreas Hofer: Die Demographie ist der zentrale Treiber der Wohnungsdiskussion. Wir werden heute grundsätzlich älter, was ja schön ist. Die letzten Jahrzehnte haben wir fast ausschliesslich über Familien diskutiert, wenn wir über Wohnungsbau nachgedacht haben. Mittlerweile ist das aber ein Minderheitsprogramm auf dem Wohnungsmarkt.

Die klassische Kernfamilie – Mami, Papi und mindestens ein Kind – ist eine immer kürzere Phase im Leben, auch wegen der hohen Scheidungsrate.

Viele erleben sie noch, aber es gibt vor- und nachher noch ganz anderes. Ganz konkret führt das dazu, dass wir 50 Prozent Einpersonenhaushalte haben – zumindest in den Städten. In zwei Drittel aller Haushalte leben ein bis zwei Personen. Für diese grosse Bevölkerungsgruppe fehlt es an passenden Wohnungen.

Wohnungsmangel und hohe Neubaumieten machen es nicht einfacher…

Ja! Viele Personen sind «eingefroren» in ihrer jetzigen Wohnungssituation. Das Einfamilienhaus ist das beste Beispiel: Die Kinder ziehen aus, eine Person oder zwei Personen leben auf 150 Quadratmeter Wohnfläche. Das ist ökologisch und ökonomisch ein Problem. Hier braucht es kleinere, barrierefreie Wohnungen für ältere Menschen im ihnen bekannten Quartier.

Und verstehen Sie mich richtig: Die Leute werden aktiv älter. Blöd gesagt war man früher praktisch im Altersheim, wenn das letzte Kind aus dem Haus auszog. Das ist heute nicht mehr so. Heute hat man eine sehr aktive, gesunde Phase nach der Familienphase und für die gibt es zu wenig gute Wohnangebote.

Was für Angebote braucht es genau?

In Europa wird die Diskussion um Clusterwohnungen sehr intensiv geführt. Alle reden davon. Das ist eine neue Form von Wohngemeinschaft, wo man ein grosses individuelles Zimmer hat – vielleicht auch ein eigenes Bad – aber den Wohnraum mit anderen Leuten teilt, die nicht unbedingt Familienmitglieder sind.

Durch das Teilen von Küche und Wohnzimmer lebt man flächeneffizienter.

Sie beschäftigen sich schon lange mit Clusterwohnungen. Sie waren vor zehn Jahren bei der Projektentwicklung der Zürcher Genossenschaft KraftWerk1 involviert und setzten sich für den Bau von Clusterwohnungen ein. Wird tatsächlich mehr so gebaut oder reden die Leute nur davon?

Das ist schwierig zu sagen. Es reden alle davon. Es bauen einige so. Der Wohnungsmarkt ist natürlich riesig. Sich in einem quantitativen Sinn den neuen Entwicklungen anzupassen, schafft man fast nicht. Das geht auch in der Schweiz nicht, wo es verhältnismässig viele Genossenschaften gibt. Der Bestand ist unglaublich träge, er wurde über Jahrhunderte aufgebaut. Das heisst, neue Wohnformen wie Clusterwohnungen bleiben Nischenphänomene.

Dazu kommt, dass manche Leute nicht davon wissen. Das Angebot ist sehr klein. Und das kleine Angebot hat sich noch nicht als mögliche Option in den Köpfen der Menschen etabliert.

Trotzdem: Clusterwohnungen sind ein Megatrend!

Gibt es noch weitere Trends?

Es gibt noch etwas Äquivalentes auf der anderen Seite des Spektrums. Gerade in hochproduktiven Regionen – sei das Stuttgart oder Zürich – gibt es ähnliche Defizite im Angebot: Angebote für Leute in Ausbildung, für Leute am Anfang des Berufslebens oder für hochmobile Menschen. Hochmobil nenne ich jene, die sechs Monate hier arbeiten, sechs Monate dort arbeiten. Ihre Karriereleiter wird in der Welt herum geschoben.

Für die Bedürfnisse dieser Menschen wird über Micro-Apartments, temporäres Wohnen und Cohousing diskutiert. Das ist natürlich auch ökonomisch getrieben. Ein Milliardenbusiness. Abgesehen von diesen spezifischen Bedürfnissen, haben viele ganz einfach Lust auf ein reicheres und diverseres Wohnumfeld in lebendigen Quartieren, auf das Zusammenleben mit unterschiedlichen Menschen in unterschiedlichen Lebenssituationen.

Der Zürcher Architekt Andreas Hofer im Gespräch mit dem FRIDA Magazin

Zur Person

Andreas Hofer, dipl. Architekt ETH, wurde 2018 zum Intendanten der Internationalen Bauaustellung in Stuttgart 2027 benannt und lebt seither in Stuttgart und Zürich. Er beschäftigt sich besonders mit Fragen der Urbanität und Stadtkultur sowie partizipativen Prozessen im Wohnungs- und Siedlungsbau. Der 1962 geborene Schweizer ist einer der Väter der Wohnbaugenossenschaften «Kraftwerk1» und «Mehr als Wohnen».

 

Foto: Sven Weber

Was sind die Herausforderungen mit Clusterwohnungen?

Ich bin viel im Gespräch mit Vertretern der traditionellen Wohnungsindustrie und sie fragen oft: Wie bewirtschaftet man so etwas? Wie vermietet man? Wie findet man die Wohngemeinschaft? Welche Mietvertragsmodelle gibt es? Da sind viele ein wenig hilflos. Das ist sicher ein Grund, warum Clusterwohnungen vor allem bei Genossenschaften praktiziert werden. Sie sind näher an ihrem Publikum und vielleicht auch offener für neue Vertrags- und Vermietungsformen.

Im schweizerischen Kontext haben wir in den meisten Fällen ein Vereinsmodell gewählt. Die ganze Wohnung wird von einem Verein gemietet und organisiert sich weitgehend intern selber. Das hat sich bewährt.

Weniger individuelle Fläche, mehr Fläche zum Teilen: Ist das die Wohnform der Zukunft?

Es gibt tatsächlich eine grössere Nachfrage nach «Allmendräumen», so nennen wir sie. Durch die Pandemie wurden Coworking-Spaces im Wohnumfeld ein riesiges Thema. Es hat nicht jeder neben dem schreienden Kleinkind die Ruhe und den Platz, um zuhause zu arbeiten.

Almendräume können aber vieles sein: Gästezimmer, Musikzimmer, Werkstätte, Foodsharing-Ecken, Orte, wo man das Velo flickt oder Kinder betreut oder eben arbeitet. Das Spektrum ist relativ gross. Die individuelle Wohnfläche wird reduziert und mit wohnungsübergreifenden Zusatzangeboten kompensiert.

Der Grundgedanke des Teilens ist zentral.

Führt das nicht zu Konflikten?

Klar, das Teilen ist herausfordernd. Es stellen sich viele Fragen, zum Beispiel: Wie organisiert man das Essen, das Putzen, das Einkaufen? Vieles muss ausgehandelt werden. Gleichzeitig kann man sich einen grösseren Luxus leisten, wenn man nicht alles selber anschaffen muss.

Ausserdem muss man vorsichtig sein, wenn man über das Zusammenleben von älteren Menschen redet. Oft besteht die Vorstellung, dass man sich gegenseitig unterstützt und dass man länger selbstständig wohnen kann, weil es jemanden gibt, der einkaufen geht. Das funktioniert, solange keine schwereren Beeinträchtigungen auftreten, solange niemand Pflege braucht.

Man sollte seinen Mitbewohnenden nicht zu viel zumuten.

Gibt es in der Schweiz solche Angebote auch auf dem Land?

Das Thema ist auf dem Land mindestens so virulent wie in der Stadt. Es gibt auch im eher ländlichen Raum ganz viele kleinere Genossenschaften, die in den letzten Jahren gegründet wurden. Die gleichen demographischen Fragen beschäftigen und teilweise ist es fast noch dramatischer auf dem Land. In der Stadt ist die Infrastruktur sehr gut ausgebaut und es lässt sich gut alleine wohnen.

Die Stadt hat auch den Vorteil, dass hier viel mehr Menschen leben und es hier ganz unterschiedliche Formen des Zusammenlebens schon immer gab. Mitbewohnerinnen und Mitbewohner zu finden wird auf dem Land vielleicht schwieriger sein.

Clusterwohnungen für Familien? Gibt es das auch?

Ja, es gibt auch Familien, die in Clusterwohnungen leben. Wir mussten jedoch die Erfahrung machen, dass es teilweise ein ökonomisches Problem ist. Da fast jedes Zimmer ein eigenes Bad hat, wird die Miete für eine Familie zu teuer. Ausserdem braucht man wieder zu viel Fläche gegenüber der klassischen Familienwohnung. Das ist paradox.

Ich kann es in Zahlen sagen:

Der Einpersonenhaushalt beansprucht in der Schweiz durchschnittlich 70 Quadratmeter Wohnfläche.

Mit Clusterwohnformen von Kleinhaushalten landet man bei 40 bis 45 Quadratmeter pro Person. Das ist deutlich mehr als in einer klassischen Familienwohnung, in der sich vielleicht vier Personen 100 Quadratmeter teilen.

Und wie lebt es sich in einer Clusterwohnung? Wohnen die Menschen zufrieden?

Die Erfahrungen, die gemacht wurden, sind gut. Für viele ist der Entscheid für so eine Wohnform eine Herausforderung, viele haben ein bisschen Angst davor, weil sie es nicht kennen. Es gibt also einen relativ grossen Widerstand, diese Wohnform auszuprobieren.

Die Forschungsauswertung von bestehenden Clusterwohnungen, die teilweise schon mehr als zehn Jahre in Betrieb sind, zeigt aber, dass die Erfahrungen positiv sind.

Ich kenne kein Projekt, das gescheitert ist und das man umbauen musste.

Ich sage auch nicht, dass alle so wohnen sollen. Wir haben einen sehr homogenen Markt und da stossen neue Angebote wie Clusterwohnungen jedenfalls auf eine Nachfrage. Ausserdem kommt jetzt eine Generation ins Pensionsalter, die häufig schon mal in einer Studenten-WG oder einer Hausgemeinschaft gewohnt hat. Da verändert sich viel in unserer Gesellschaft.