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Der nächtliche Blick auf das Rheintal zeigt: Dörfer und Agglomeration sind längst zu einer Bandstadt zusammengewachsen.

Bild: Ralph Feiner

Architektur

Die Stadt am Alpenrhein

Im Dorf spiegelt sich das Globale. Exemplarisch zeigt das Köbi Gantenbein in seinem neusten Buch. Er schreibt über das Bündner Dorf Malans – in Form von 16 Postkarten, die er seinem nach Florida ausgewanderten Jugendfreund Beat widmet. In prägnanten Texten verhandelt der Autor Orts- und Raumplanung, Architektur und Lebensformen, aber auch die Zumutungen der Klimakrise und Verstädterung – und er entwirft dabei klimavernünftige Raum-, Dorf- und Lebensplanung. Hier der dritte Brief.

Von Köbi Gantenbein

Malans, 13.09.2023

5 min

Lieber Beat,

dieses Bild ist nicht San Francisco by Night, sondern die Stadt am Alpenrhein. Im Lichtermeer liegt auch Malans. Was in unserer Bubenzeit Dorf war, ist Teil einer Stadt geworden, denn das Alpenrheintal ist in den letzten zwanzig Jahren zu einer solchen geworden.

Es ist keine mittelalterliche Stadt mit Mauer, Kathedrale und Marktplatz, sondern eine neumodische Bandstadt, die sich über 52 Gemeinden in zwei Kantone und drei Länder erstreckt. Sie beginnt in Tamins und wächst dem Rhein nach über 90 Kilometer durch das Bündner und St. Galler Rheintal, das Fürstentum Liechtenstein und das Vorarlberger Rheintal zum Bodensee.

Entstanden ist ein eng verknüpftes, urbanes Netz aus Verkehrswegen, Infrastrukturen, Landschaften und Siedlungen für 470 000 Menschen. Rückgrat ist der Rhein, ihm angeschmiegt sind stückweise zwei Autobahnen, etliche Kantons- und noch mehr Dorfstrassen. Dann Eisenbahnen, Stromleitungen, eine Gas- und eine nicht mehr gebrauchte Ölpipeline.

Die Planerinnen dieser nachtleuchtenden Stadt heissen Zufall, Kapitalstrom, Standortgunst und Automobil.

Mich fasziniert, wie aus der Zersiedelung langsam neue Formen wachsen: Residenz-, Freizeit-, Konsum-, Spital-, Schul-, Arbeits- und auch Gartenorte. Und wie eng die Bandstadt mit ihren Nachbarn, vor allem mit Grosszürich, verknüpft ist.

Als wir studiert haben, fuhren zwischen sechs und neun Uhr am Morgen vier Schnellzüge von Chur nach Zürich, heute sind es elf – und am Abend gegengleich. Ich kann um 23.12 in Zürich abfahren und der Rufbus bringt mich noch von Landquart nach Fläsch vor meine Haustüre.

Wirtschaftlich ist die Stadt am Alpenrhein eine der starken Regionen Europas geworden. Infrastrukturen, Wohnhäuser, Fabriken, Einkaufszentren – der Wohlstand brummt. Mich bedrückt, wie klimafeindlich diese Bandstadt ist. Trotz der fleissig fahrenden Züge ist hier das Leben aufs Automobil ausgerichtet.

Über weite Strecken stehen wie bei Euch in den Suburbs Floridas die Einfamilienhäuser – eine Monsteraufgabe für die Kinder und Kindeskinder, diese Stadt klimavernünftig zu machen.

Sisyphos am Rhein

Bemerkenswert ist die Neuerfindung des Rheins als Landschaftsband – es werden viele Millionen Franken aufgewendet, den Fluss aus dem Kanal zu holen und in eine neue Landschaft zu verwandeln. Teile davon werden für eine Wildnis gerüstet, wo die Hasen, Rehe, Vögel, Schmetterlinge und Pflanzen regieren.

Die neue Rheinlandschaft erinnert auch an Sisyphos, der vergeblich den Stein den Hang hinauf getrölt hat, denn mit noch viel mehr Krampf haben unsere Vorfahren den über die Talebene mäandrierenden Rhein von Graubünden bis an den Bodensee im 19. Jahrhundert in sein Bett gelegt und damit all die Böden gewonnen, auf denen heute die Bandstadt wächst.

Malans ist zusammen mit Jenins, Maienfeld und Fläsch das Gartenquartier der Stadt am Alpenrhein. Bestens verknüpft mit Autostrassen für eine hohe Verkehrsgunst der Leute, die sich fürs Landleben in der Stadt entscheiden.

Und dieser Garten ist als Wohnort beliebt, weil es wohl keine Wohnung in den vier Dörfern gibt, wo man nicht in fünf Minuten zu Fuss in der Natur ist. Und deren ästhetischer Genuss gewinnt ja an Gewicht, je weiter wir uns vom Bauerndasein verabschiedet haben.

Solche Vielfaltgunst hat die Einwohnerzahl von Malans verdoppelt seit wir Buben waren. Nicht vergessen aber als Motörli für Malans’ Wachstum will ich die Steuerpolitik. Wer viel verdient, der muss hier weniger hinlegen für den Staat und die Gemeinschaft als vielerorts in Graubünden.

Ich bin freilich gegen diesen Egoismus der Habenden und wäre froh, die Französische Revolution hätte nicht nur die altehrwürdigen Haudegen der Planta bis Salis entmachtet, sondern auch das in Frankreich bewährte Steuersystem eingeführt – derselbe Steuersatz für alle zwischen Cerbère im Süden und Dunkerque im Norden.

Es kann ja niemand etwas dafür, wenn er in St. Antönien wohnt und fast das Doppelte der Malanser oder auch der Fläscherinnen an Steuern hinlegen muss.

Mit besten Grüssen …

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«… mit besten Grüssen aus Malans»

– Planen, Bauen, Leben auf dem Dorf
Ein Buch von Köbi Gantenbein mit Fotografien von Ralph Feiner und einem Nachwort von Benedikt Loderer

Köbi Gantenbein, der langjährige Chefredaktor der Architekturzeitschrift «Hochparterre», schreibt über das Bündner Dorf Malans – in Form von 16 Postkarten, die er seinem nach Florida ausgewanderten Jugendfreund Beat widmet. In prägnanten Texten verhandelt der Autor Orts- und Raumplanung, Architektur und Lebensformen, aber auch die Zumutungen der Klimakrise und Verstädterung – und er entwirft dabei klimavernünftige Raum-, Dorf- und Lebensplanung. Durch den präzisen und kenntnisreichen Blick auf das Lokale werden die Herausforderungen für das Dorf zum Spiegel globaler Zukunftsplanung – denn Malans ist mittlerweile überall. Die 16 Postkarten an den Jugendfreund hat der Malanser Fotograf Ralph Feiner fotografiert. Das Nachwort hat Benedikt Loderer geschrieben.

Lesungen mit Köbi Gantenbein

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