Generation Z
Mehr als woke
In der Gemütlichkeit der eigenen Social-Media-Bubble begegnen junge Menschen meistens ausschliesslich Gleichgesinnten. Dass nicht jede:r aus der Generation Z vegan und queer ist, geht dabei schnell vergessen. Der Bachelorstudent Elay Leuthold hat deshalb eine Webserie entworfen, in der ganz gegensätzliche Menschen aufeinandertreffen.
Zürich, 22.12.2022
Elay Leuthold ist 26 Jahre alt. Im Sommer 2021 fuhr er gemeinsam mit seinem Freund vom Christopher Street Day nach Hause. Die beiden hatten eine Regenbogenfahne dabei. Ihnen gegenüber sass ein älterer Mann. Er fragte, was das für eine Fahne sei. Leuthold und sein Freund erklärten ihm, dass es sich dabei um die Pride-Flagge handelt, die für die LGTB Community steht und wiesen ihn auf den Zusammenhang mit der bevorstehenden Abstimmung über die «Ehe für alle» hin. Der Mann sagte ihnen, dass er dort «Nein» stimmen werde.
Das Paar fragte ihn nach den Gründen und erklärte ihm, dass sie es schon schön fänden, wenn sie auch heiraten dürften und erzählten ihm, dass sie bereits seit sechs Jahren ein Paar sind. «Wir versuchten ihm einfach zu zeigen, dass uns das wichtig ist und wir keine seltsamen Aliens sind», erzählt Elay Leuthold an einem kalten Dezembermorgen in einem Zürcher Café. Nach zwei Stationen war die gemeinsame Fahrt schon zu Ende. Beim Aussteigen sagte der Mann, er könne nicht ganz glauben, dass die beiden schwul seien, weil sie so normal aussehen, aber er würde sich das mit dem «Nein» zur «Ehe für alle» nochmal überlegen.
Elay Leuthold möchte mit seinem Projekt die Vielschichtigkeit seiner Generation aufzeigen.
Diese Begegnung war für Leuthold so prägend, dass er später beschloss, sein Bachelorprojekt für den Abschluss an der Zürcher Hochschule der Künste in der Fachrichtung Cast/Audiovisual Media darauf aufzubauen. «Das war eine Zugfahrt von nur fünf Minuten, die aber sehr viel bei dem älteren Mann ausgelöst hat. Vermutlich weil er noch nie einen persönlichen Kontakt zu homosexuellen Männern hatte», sagt Leuthold.
Berührungspunkte schaffen
Ausgehend von diesem Erlebnis hat Leuthold die dokumentarische Webserie «Gegenwelten» realisiert, die die Zürcher Hochschule der Künste (ZHDK) dieses Jahr mit einem Förderpreis ausgezeichnet hat. In den drei Videos lässt Leuthold jeweils zwei ganz unterschiedliche junge Menschen aus der Generation Z aufeinander treffen. Sie konfrontieren sich gegenseitig mit ihren Wertvorstellungen, Lebensrealitäten und persönlichen Grenzen. Konservative, muslimische Werte treffen auf feministische Unabhängigkeit, christliche Tradition auf LGTBQ und Alltagsrassismus auf Ausgrenzungs-Traumata.
Mit «Gegenwelten» wolle er reale Berührungspunkte zwischen Menschen schaffen, die sich sonst nicht begegnen. «Wenn man immer nur über eine Community liest, aber sich nie in Echt begegnet, entsteht ein völlig verzerrtes Bild», sagt Leuthold.
Nach der Unterhaltung mit dem Herrn im Zug wollte Leuthold ursprünglich Gespräche zwischen den Generationen herstellen. «Aber irgendwie lag das zu sehr auf der Hand. Ich entschied mich, die Gespräche mit Personen aus der Generation Z zu realisieren.»
Graustufen statt Klischee
Sie kennen kein Leben ohne Smartphone, sie flirten online und bleiben nur so lange bei einer Entscheidung, bis sie etwas Besseres gefunden haben. Wie jede Generation wird auch die Generation Z, diejenigen jungen Menschen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden, mit klischeehaften Zuschreibungen überhäuft.
«In meiner Generation sind aber nicht alle megavegan und woke. Das sind vielleicht einfach nur die lautesten», sagt Elay Leuthold. «Es gibt auch die, die sehr traditionell leben und viele dazwischen. Diese Graustufen möchte ich mit meinem Projekt aufzeigen.»
Ausserdem habe er den Eindruck, dass die Generation Z mit den Algorithmen der Social-Media-Plattformen in Berührung kommt, bevor sie ihre persönliche Haltung in der analogen Welt ausloten konnte. «Dadurch hat der Instagram- oder TikTok-Feed einen enorm grossen Einfluss und man denkt, das, was sich dort abspielt, ist die Welt.»
Kein weiteres Interesse
Sechs junge Menschen zu finden, die ganz unterschiedliche Werte vertreten, Neugierde für ihr Gegenüber mitbringen und sich auch noch gerne vor der Kamera zeigen, war gar nicht so einfach, erzählt Leuthold. «Eine zeitlang dachte ich, das schaffe ich nie.» Zuerst hat er Menschen in Klubs und bei Fussballvereinen angesprochen, allerdings ohne Erfolg. «Dann habe ich angefangen, über Social Media zu suchen, das war einfacher, weil ich dort im Vorfeld schon viel mehr über die Person erfahren konnte. So hatte ich die Möglichkeit einzuschätzen, ob diese Person sowohl Tiefe als auch Ecken und Kanten hat.»
Schlussendlich hatte er seine Crew dann aber zusammen. Sechs junge Menschen, die bereit waren, sich zu öffnen, sich mitzuteilen, zu diskutieren und sich aufeinander einzulassen. Zumindest bis zu einem gewissen Grad. Dass Toleranz und Neugierde manchmal auch sehr schnell ausgeschöpft sein können, musste Leuthold bei einem Dreh erfahren.
Abgemacht war noch ein weiterer Drehtag mit gemeinsamen Aktivitäten, aber einer der beiden Protagonist:innen hatte keine Lust mehr. «Das hat mich zuerst sehr gestresst, weil es das Konzept meiner Arbeit anders vorgesehen hat», erzählt Leuthold. «Dann habe ich es aber genau so stehen gelassen. Ich finde, das hat auch eine starke Wirkung.»
Entstanden sind drei berührende und radikale Gespräche:
- «Im Militär sind alle gleich. Da gibt es keinen Unterschied zwischen den Leuten mehr. Egal ob reich oder arm, auch die Hautfarbe ist egal.»
o «Findest du es nicht ein bisschen problematisch, dass sie nur im Militär aus deiner Perspektive gleichgestellt sind und sobald du diesen Kreis verlässt, ist es nicht mehr so.»
- «Wieso willst du nicht jemanden, der queer ist, in deinem Leben haben?»
o «Weil das für mich einfach nicht normal ist, so leid es mir tut.»
- Willst du mal Hausfrau werden?
o Nein, ich bin eine sehr selbstständige Frau und das möchte ich auch bleiben. Ich möchte nie abhängig sein von jemandem. Und für dich so als zukünftige Ärztin?
- Ich muss ehrlich sagen. Ich wäre gerne Hausfrau. Einfach eine Hausfrau mit Doktortitel.
Man müsse ja überhaupt nicht jeden Tag seine Komfortzone verlassen, um seinen Horizont zu erweitern, sagt Leuthold. «Es ist etwas sehr Schönes, seine eigene Bubble zu haben, einen Rückzugsort, wo einen Menschen umgeben, die die gleichen Meinungen und Passionen haben wie man selbst, das sollte niemandem verwehrt sein.»
Leben und leben lassen, halte er für ein durchaus vollkommen berechtigtes Konzept. «Aber wenn man sich mit anderen Meinungen auseinandersetzen will, sollte man es richtig machen. Nicht über Social Media, sondern mit einem reellen Bezug, mit einem Gefühl für die Mimik des Gegenübers, für die Pausen, die er oder sie zum Überlegen braucht und alles drum herum.»
Er selbst sei gar nicht konfrontationsfreudig, eher harmoniebedürftig. «Wenn ich merke, dass jemand eine ganz andere Meinung hat als ich, ziehe ich mich eher zurück. Ich muss die Person dann nicht von meiner Meinung überzeugen.» Aufgrund seiner Homosexualität sei er aber trotzdem immer wieder in Situationen gekommen, in denen er für sich einstehen musste. «Manchmal bin ich dann doch auch auf Konfrontation gegangen. Allerdings gingen diese Begegnungen oft sehr schlecht für mich aus.»