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Die Autorin Ariane Koch mag weder Sofas noch all zu konkrete Formulierungen.

Bild: Mayk Wendt

Ein Treffen mit Ariane Koch

«Man sollte vermeiden, einzuschlafen»

Die Basler Autorin Ariane Koch hält es nicht mehr als zwei Wochen in ihrer Heimat aus. Sowohl physisch als auch geistig plädiert sie für Flexibilität und Vielseitigkeit, um nicht der Trägheit zu verfallen. Ihr vielfach ausgezeichneter Debütroman «Die Aufdrängung» wird aktuell fürs Theater Basel inszeniert.

Von Helena Krauser

Basel, 26.01.2023

6 min

Ariane Koch hat ein Sofa. Und tatsächlich sitzt sie dort auch oft, um zu arbeiten, zu lesen, zu schreiben. Weshalb das erstaunlich ist? Weil sie eigentlich eine Aversion gegen Sofas hat. Die teilt sie mit der Protagonistin in ihrem Debütroman «Die Aufdrängung»: 

«Sofas sind hässlich, auch wenn man sein gesamtes Erspartes daran zu verprassen bereit war. […] Sofas machen aus den Reisenden Sesshafte, aus den Aufgeschlossenen In-sich-Gekehrte, aus den Protestierenden Schlafende. Wer ein Sofa hat, der hat sich dazu entschieden, sich niederzulassen, sprich: zu kapitulieren und also bald zu sterben. Ich aber bin noch nicht bereit zu sterben.» 

Wie also kann Ariane Koch, die 34-jährige Basler Autorin, ein flexibler, interessierter und vor allem lebendiger Mensch sein, obwohl sie ein Sofa besitzt? «Ich denke, der Körper darf sich sehr wohl auf einem Sofa ausruhen. Es ist nur wichtig, dass der Geist aktiv bleibt. Man sollte es also vermeiden, einzuschlafen», so löst Koch die vermeintliche Widersprüchlichkeit. 

Eine ähnlich intensive Abneigung wie gegen Sofas hat Koch auch gegen Mittagsschläfchen. Schon nur der Gedanke, daran, dass sie tagsüber schlafen, also gedanklich völlig loslassen müsste, macht sie komplett nervös. Koch scheint ohnehin nicht Gefahr zu laufen, einer geistigen Untätigkeit zu verfallen. Sie braucht die Abwechslung. Vor allem beruflich. 

Ariane Koch ist ursprünglich keine Romanautorin, zumindest war sie das bis vor kurzem nicht. Sie schreibt viel fürs Theater, ist Hausautorin am Theater Basel, 2015/16 hatte sie eine Hausautorenschaft am Luzerner Theater, erhielt Aufenthaltsstipendien am Literarischen Colloquium in Berlin und an der Cité internationale des Arts in Paris. Für «Die Aufdrängung» erhielt Koch bereits den Aspekte-Literaturpreis 2021 und einen der Schweizer Literaturpreise 2022. Aktuell wird der Roman in sieben Sprachen übersetzt. 

Kochs Prägung durch das Schreiben für die Theaterbühne blitzt in ihrem Roman immer wieder durch. «Die Aufdrängung» erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die in einer Schweizer Kleinstadt lebt und eines Tages ziemlich spontan einen Gast bei sich aufnimmt. Von da an leben die beiden in dem viel zu grossen Haus, das die Protagonistin geerbt hat. Koch beschreibt dieses Zusammenleben in szenenhaften Sequenzen, voller Absurdität, Widersprüchlichkeit, Witz und mit viel Raum für Interpretation. Es geht um Integration, Machtverhältnisse, Erbschaft, natürlich um Gastfreundschaft und um die Kunst der Abgrenzung. Und je nach Lesart um noch viel mehr. 

Alles Konkrete wird rausgestrichen

Koch formuliert gerne sehr offen, so dass Raum ist für verschiedene Bedeutungen und Bezüge zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten. «Ich kann gar nicht anders», sagt sie im Gespräch und vermutet, dass dieser Hang zur Anknüpfung ans Zeitgeschehen mit ihrer Arbeit als Theaterautorin und bildende Künstlerin zusammenhängt. «Wenn ich meine Texte redigiere, finde ich immer das schlecht, was zu konkret oder in der Bedeutung abgelutscht oder festgefahren ist. Das finde ich zu einfach und langweilig. Diese Stellen nehme ich dann raus.» Schliesslich sei Schreiben vor allem dann sinnvoll, wenn neue Bedeutungen hergestellt und Erzählkonventionen gebrochen werden, denn nur so können neue Perspektiven entstehen, findet Koch. 

Von Routinen und Konventionen ist Ariane Koch augenscheinlich wenig begeistert. Kein Wunder, dass sie es nie lange in ihrer Heimat aushält. 

Ist Ihnen Basel manchmal zu eng?

«Ja, absolut. Wenn ich länger als zwei Wochen da bin, muss ich schnell wieder nach Berlin in mein zweites Zuhause oder sonst wohin reisen. In Basel ist es sehr schwierig für mich noch Unbekanntem zu begegnen. Für meine Arbeit hat mein grosses Netzwerk natürlich auch Vorteile, aber in der Grossstadt bin ich viel undefinierter. Dort muss ich mich viel eher immer wieder fragen: Wer bin ich eigentlich?»

Zum Zeitpunkt des Gesprächs ist Ariane Koch gerade in London. Von der Landis und Gyr Stiftung hat sie ein Atelierstipendium erhalten und lebt nun für einige Monate in einem von fünf Reihenhäuschen, die die Stiftung in East End für ihre Stipendiant:innen zur Verfügung stellt. Sie schreibt dort an ihrem zweiten Roman über eine Spaltenforscherin und an einem Stück für das Theater Basel.

Die Zeit in London musste sie stark verteidigen. Sie musste lernen «Nein» zu sagen zu beruflichen Anfragen und Aufträgen. Das fiel ihr gar nicht so leicht. «Ich bin nämlich ziemlich schlecht im Loswerden von Dingen, die sich aufdrängen», sagt Koch. Den Grund dafür vermutet sie in ihrem inneren Konflikt: Sie möchte gerne freundlich sein, sich aber auch deutlich abgrenzen. «Ich glaube, dafür braucht es eine gewisse natürliche Autorität. Ich bewundere es sehr, wenn jemand diese besitzt. Andererseits ist es ja diese Offenheit oder Durchlässigkeit, die mich Beobachtungen für mein Schreiben machen lässt.» 

Während des Schreibens an ihrem Roman, der dieses Thema ganz offensichtlich beinhaltet, hat Ariane Koch sich so intensiv mit der Aufdrängung und Abgrenzung beschäftigt, sagt sie, dass sich ihr persönlicher Konflikt aufgelöst und sie tatsächlich gelernt habe, etwas mehr «Nein» zu sagen. 

Boshafte Frauen braucht die Welt

Die Protagonistin in Kochs Roman behält immer die Deutungshoheit. Im Kampf um Autorität scheut sie keine Unfreundlichkeiten, im Gegenteil, sie wird zeitweise geradezu bösartig. Zu dieser Boshaftigkeit ihrer Figur wurde Koch schon öfters befragt. Sie berichtete dann davon, dass sie möchte, dass Frauenfiguren in Theater und Literatur vielseitig sein können, ohne direkt in das Klischee einer wahnsinnigen oder Hysterischen Frau gedrückt zu werden.  

Was aber ist mit dem echten Leben? Sollen Frauen auch hier boshafter sein? 

«Klar erstmal möchte man, dass es so wenig Bösartigkeit wie möglich gibt auf der Welt. Vielleicht geht es auch viel eher um Emotionen wie Wut oder Aufgeregtheit, die Frauen zugestanden werden sollen. Denn das sind auch wichtige Emotionen, um in gesellschaftlichen Debatten weiterzukommen. Es braucht ja auch eine Radikalität, um schwierige gesellschaftliche Fragen öffentlich zu vertreten. Mittlerweile finde ich die Protagonistin auch gar nicht mehr so bösartig. Ich habe eher mitleidige Gefühle für sie. Meine Mutter, die mich kürzlich an eine Lesung begleitete, hat gesagt, ihr käme es vor, als würde die Protagonistin auch immer nur behaupten, so böse zu sein und das vielleicht eigentlich gar nicht ist.»

Hatten Sie während dem Schreiben aber die Absicht, dass die Protagonistin böse ist?

«Ja, das schon. Mir war es wichtig, dass es da eine grosse Ablehnung gegen das Unbekannte gibt. Ich wollte, dass die Bösartigkeit und Diskriminierung, die in der Gesellschaft im Umgang mit politischen Gästen eben da ist, deutlich werden.»

Nun, Ende Januar ist Kochs Zeit in London vorerst zu Ende. Am 27. Januar findet die Premiere von «Die Aufdrängung» im Theater Basel statt. Die Regisseurin Marie Bues hat die Erzählung als mehrstimmiges Chorstück inszeniert. Kochs Roman findet also schlussendlich auch noch Heimat in ihrer Hauptdisziplin. 

Sie selbst reist erst zwei Tage vor der Premiere an. An der Inszenierung war sie so gut wie gar nicht involviert. Sie hat den Theaterschaffenden vom Theater Basel völlig freie Hand gelassen. Sie bleibt also auch hier spontan und flexibel ohne jegliche Anzeichen für Trägheit. 


Die Aufdrängung
Schauspiel

29.Januar bis 29. April im Theater Basel