Gesellschaft
Männer brauchen Freunde
Wenn Frauen ihre Freundinnen treffen, trinken sie Kaffee und quatschen stundenlang. Männer machen gemeinsam Sport. Soweit das Klischee, aber was davon stimmt und was macht eine gute Männerfreundschaft aus? Wir haben mit zwei Männern in unterschiedlichen Lebensphasen und dem Experten Markus Theunert über Freundschaft gesprochen.
Basel, 13.09.2023
*In diesem Text wird von Männern und Frauen geschrieben. Damit sind männlich und weiblich gelesene bzw. sozialisierte Menschen gemeint. Die Genderidentität spielt hierbei keine Rolle.
Andreas, 69 Jahre
«Früher, als ich vielleicht 25 Jahre alt war, war ich mit ein paar unheimlich charismatischen Männern befreundet. Ich bewunderte sie. Ich hegte eine Hoffnung, dass ein bisschen von ihrem Glanz auf mich abfärbt. Diese Freundschaften sind schon lange verflogen. Mit dem Älterwerden habe ich gemerkt, dass mir diese Freundschaften nicht gut tun. Wenn man sich trifft und danach nicht erfüllt ist, oder mit Grübeln anfängt, weil sich etwas komisch anfühlt…, dann bin ich eher vorsichtig und nehme Distanz zu diesen Menschen.
Als junger Mann fiel es mir schwer, Freundschaften zu Frauen aufzubauen. Ich habe mit der Frage nach Sexualität – was gehört jetzt in die Freundschaft? – gerungen. Dort hatte ich ein Problem. Ich konnte mich nicht ganz öffnen, als junger Mann.
Ich verbringe viel Zeit allein und denke oft darüber nach: Was sind eigentlich gute oder schöne Freundschaften? Wenn man es einfach immer gut hat, ist das natürlich schön.
Eine tiefe Freundschaft entsteht aber, wenn es auch mal schwierig ist und man Konflikte gemeinsam löst.
Ich habe sechs oder sieben Freunde. Das reicht mir. Darunter sind drei langjährige Freunde, die ich 40 bis 45 Jahre lang kenne. Sandro habe ich vor Jahren bei der Arbeit kennengelernt. Er ist Töff gefahren und ich bin Töff gefahren. So ist das entstanden. Peter lernte ich beim Deltafliegen kennen. Und David habe ich auch bei der Arbeit kennengelernt. Wir sind oft zusammen Ski gefahren.
Alle drei Freundschaften sind durch gemeinsame Aktivitäten entstanden, aber das spielt jetzt keine grosse Rolle mehr. Wenn ich einen von ihnen treffe, möchten wir einfach zusammen sein, uns austauschen und miteinander reden.
Freunde sind für mich Menschen, die keine Erwartungen an mich stellen.
Liebe und Freundschaft lassen sich eigentlich ganz einfach auf ein Wort reduzieren: ja. Es ist ein Ja-Sagen zu einem anderen Menschen. Ja, so wie du bist, so habe ich dich gern.
Mein Freund Peter hat vor eineinhalb Monaten die Diagnose Hirntumor bekommen. Ich war ein paar Wochen später bei ihm und wir verbrachten ein paar Tage zusammen. Wir hatten eine ganz tolle Zeit. Es war schön, lustig, schwierig – es war alles. Er wohnt auf einem Schiff und ist immer mal wieder ein halbes Jahr oder länger unterwegs. Ihn sehe ich in etwa zweimal im Jahr. Sandro sehe ich auch zweimal im Jahr. David wohnt in der Nähe, ihn sehe ich vielleicht monatlich.
Andreas erzählt bei FRIDA über seine Männerfreundschaften.
Was Freunde von mir aushalten müssen: Manchmal melde ich mich einen Monat lang nicht. Ich brauche viel Zeit für mich. Ich bin gern mit mir allein. Wenn mich jemand fragt, wie es mir geht, und ringsherum die Hölle los ist, sage ich zynisch: Mit mir ging’s mir eigentlich sehr gut! (lacht)
Einsamkeit kenne ich zum Glück nicht mehr. Ich war früher mal in einer Beziehung, in der ich mich einsam fühlte. Jetzt bin ich allein, wenn ich allein sein will. Wenn ich nicht allein sein will, kann ich einen Schritt raus machen, einen Schritt auf jemanden zu.
Ich höre immer wieder von Männern, die all ihre Zeit der Arbeit gewidmet haben.
Wenn sie in Pension gehen, stehen sie vor dem Nichts. Niemand ist da. Sie haben keine Freunde.
Kurz bevor ich in Pension ging, fragte mich meine Partnerin, ob ich nicht etwas planen wolle für die kommende Zeit. Ich wollte das nicht und das beunruhigte sie. Später sagte sie, ich hätte das gut gemacht. Sie realisierte, dass ich über die Jahre meine Beziehungen gepflegt hatte.
Freundschaften geben mir Kraft.
Wenn ich meine Freunde sehe, umarme ich sie und drücke sie fest.
Es gibt mir Sicherheit im Leben zu wissen, dass Menschen da sind, die einem sehr nahestehen. Mit meinen Freunden kann ich gut über meine Ängste reden, über die persönlichsten Dinge. Es ist ein tiefes Vertrauen da.
Auch ich musste lernen über meine Gefühle zu reden, aber ich konnte es schon früh. Das hat sicherlich mit meinem Beruf zu tun. Ich arbeitete viele Jahre als Pflegefachmann in der Psychiatrie.
Über sich reden und über seine Gefühle reden, über seine Ängste und Unsicherheiten reden können – irgendwann habe ich gemerkt: Es ist eine Stärke. Wenn man seine Schwächen offenlegen kann, werden sie fast schon zu Stärken. Es macht mich stärker, wenn ich mich zeigen kann. Was das Gegenüber damit macht, ist seine Sache.»
Lorenzo, 22 Jahre
«Ich war lange hauptsächlich mit Männern befreundet. Noch vor zwei, drei Jahren dachte ich, mit Frauen kann ich nicht befreundet sein. Ein Treffen mit einer Frau hätte sich immer wie ein Date angefühlt. Es wäre komisch gewesen, sich zu zweit zu treffen.
Seit etwa einem Jahr habe ich viele Freundinnen. Ich verbringe etwa gleich viel Zeit mit Männern und Frauen, oder sogar ein bisschen mehr Zeit mit Frauen. Für mich spielt das keine Rolle mehr. Es ist eher ein gesellschaftliches Ding: Man bekommt beigebracht, dass Freundschaften zwischen Männern und Frauen nicht möglich sind. Dem würde ich widersprechen.
Freundschaft ist für mich ein Zweierding.
Ich bezeichne jemanden erst als Freund oder als Freundin, wenn ich mit der Person auch zu zweit Zeit verbringe und nicht nur in der Gruppe.
Ich habe viele Leute um mich herum, und die meisten meiner Freunde – dazu zähle ich etwa 30 Personen – sehe ich oft. Im Moment gibt es keinen Tag, an dem ich nichts unternehme mit jemandem. Ich definiere mich sehr über meine Freundschaften und Beziehungen, weil sie mir wahnsinnig viel geben und ich darauf angewiesen bin.
Wir Männer sind tendenziell so sozialisiert, dass man sich körperlich nicht nah kommt.
Viele Männer schlagen zur Begrüssung ihre Hände zusammen, geben sich einen sogenannten ‘Check’. Das mache ich eigentlich nicht mehr, ich umarme alle. Für einige war das ungewohnt, aber ich finde es wichtig, dass ich allen gleich begegne.
Seitdem ich mehr Zeit mit Frauen verbringe, setze ich mich mehr mit dem Thema Männlichkeit auseinander. Meine Freundinnen zeigen mir auf, wie ich mich als Mann verhalte. Von Frauen wird gesellschaftlich verlangt, dass sie sich anpassen. Bei Männern ist es eher so: Ihr könnt machen und die anderen werden sich schon euch anpassen. Die Privilegien, die ich als Mann habe und gar nicht haben will, belasten mich auch. Ich finde es blöd, dass ich in einer patriarchischen Welt gross geworden bin.
Lorenzo spricht im FRIDA Magazin über Männerfreundschaften.
Seit ich zwölf Jahre alt bin, höre ich Gangsterrap. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob ich diese Musik höre, um irgendetwas zu kompensieren. Höre ich diese Musik, weil ich mich männlich fühlen will, um das Mannsein in einer Form auszuleben? Oder gefällt mir die Musik einfach?
Ich spüre die Forderungen an die heutige Männlichkeit und es ist anstrengend seine eigene Rolle zu hinterfragen.
Gleichzeitig stehe ich nicht still. Ich lackiere mir die Fingernägel und mache mir Spängeli in die Haare. (lacht)
Gefühle zu zeigen, fällt mir leicht bei Leuten, die mir nah stehen. Es ist eher so, dass ich meine Gefühle ganz schlecht verstecken kann. Und eigentlich finde ich das gut. Manchmal ist es auch mühsam.
Ich spiele Theater am Jungen Theater Basel und durch meine Theatererfahrungen habe ich wahnsinnig schnell nahe Beziehungen zu Menschen aufbauen können. Die intensiven Proben und das Durchleben von Emotionen schweissen sehr zusammen.
In unseren letzten zwei Theaterproduktionen ging es um Freundschaft und Liebe. Die Themen beschäftigen mich auch ausserhalb des Theaters die ganze Zeit. Ich finde ich es schwierig, sie voneinander zu trennen: Was ist jetzt Liebe? Was ist Freundschaft?
Viele Leute ziehen die Trennlinie beim Sex. Wenn man mit jemandem Sex hat, ist es Liebe. Das andere ist Freundschaft. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das eine sinnvolle Trennung ist.
Man kann ja auch innerhalb einer Freundschaft romantisch sein.
Und wenn ich eine Freundin oder einen Freund umarme, ist das auch Liebe, auf eine Art.
Vor der Pandemie war ich viel in Clubs unterwegs. Meistens ging es darum, möglichst viel zu erleben, mit möglichst vielen Leuten zu reden, möglichst viel zu trinken…, damit man coole Geschichten erzählen kann. Früher war dies das Beste, das es gibt. Jetzt habe ich aber genug oft viel erlebt. (lacht)
Ich mache jetzt lieber ruhigere Dinge. Ich gehe Kaffee trinken mit Freundinnen oder Freunden. Oder wir kochen, spazieren, baden, basteln, machen Musik. Vielleicht redet man gar nicht so viel, sondern ist einfach beieinander. Das finde ich etwas vom Tollsten.»
Eine gesellschaftliche Einordnung mit Markus Theunert
Frauen reden über alles. Männer treffen sich in der Bar oder zum Sport. In etwa so lauten die Klischees. Was ist da dran? Männerforscher und Autor von «Jungs, wir schaffen das», Markus Theunert, sagt: «Die Unterschiede zwischen männlicher und weiblicher Sozialisation wirken sich auch auf Freundschaften aus. Ein ‘richtiger Mann’ zu sein, geht mit der Verpflichtung einher, alles vermeintliche ‘unmännliche’ abzuspalten. Dazu gehören insbesondere Bedürftigkeit, Verletzlichkeit und Angst.» Es brauche deshalb ein enorm grosses Vertrauen in einer Freundschaft zwischen Männern, um sich seelisch zu entblössen.
«Aus einer männlichkeitskritischen Perspektive ist das der Grund, weshalb viele Männerfreundschaften eher dem Konzept Kameradschaft entsprechen.»
«Man ist zwar für einander da, das schon, aber eher, um gemeinsam etwas zu erleben und weniger um sich über Sachen auszutauschen, die einem wirklich nahe gehen, bei denen man unsicher und verzweifelt ist.»
Das sei natürlich nur eine gesellschaftliche Tendenz, betont Theunert. Gegenbeispiele finden sich in allen Milieus und Altersgruppen. Beweis dafür sind Andreas und Lorenzo.
Martin Theunert, Männerforscher und Autor von «Jungs, wir schaffen das», im FRIDA Magazin.
Foto: Annick Ramp
Das sagt die Forschung
Ausserdem wird die Bedeutung von Männerfreundschaften nach wie vor unterschätzt. Die Forschung sagt: Um vorherzusagen, wie gesund und glücklich sich Männer im Alter von 80 Jahren fühlen, muss man nicht auf ihren Wohlstand, ihren beruflichen Erfolg, ihren Intelligenzquotienten oder ihre Gene schauen. Sondern auf ihre Beziehungen, die sie im Alter von 50 Jahren pflegen. Besteht da ein tragfähiges Netz, erhöht das die Chancen auf ein langes Leben enorm.
Markus Theunert betont: «Es müssen gar nicht viele Freunde sein, aber eben verlässliche und persönliche Beziehungen. Viele, vor allem ältere Männer, sagen dann, ‘meine Frau ist mein bester Freund’. Das empfinde ich immer ambivalent. Natürlich ist es super schön, wenn eine Mann-Frau-Beziehung auch Gefährtenschaft und Freundschaft ist. Aber der Austausch mit jemandem, der aus einer unabhängigeren Perspektive ein Spiegel sein kann: Das ist schon nochmal was Anders, Wichtiges.»
Das Verbundensein mit sich und anderen: Das sei die zentrale Entwicklungsaufgabe von Männern heute, sagt Theuert weiter. «Männer wurden (und werden) darauf getrimmt, Leistung zu erbringen, zu funktionieren, zu performen – ohne Rücksicht auf Verluste. Viele Männer verlieren sich mit der Zeit völlig aus dem Gespür, managen sich und ihren Körper, ohne wirklich mit ihm verbunden zu sein. Genauso managen sie auch Beziehungen.»
«Wenn die ganzen technologischen Entwicklungen auf diese Prägungen stossen, gibt es schon Grund zur Sorge, dass sich immer mehr Männer ganz zurückziehen und soziale Kontakte fast nur noch virtuell pflegen», sagt Theunert. In Japan gibt es für diese Gruppe einen eigenen Begriff: Hikikomori. Davon betroffen sind zu drei Vierteln oder mehr: Männer.
Buchtipp:
Markus Theunert: «Jungs, wir schaffen das. Ein Kompass für Männer von heute», Kohlhammer Verlag, 2023.