Das Künstler-Duo Stirnimann-Stojanovic in der Porträts-Serie «machs» im FRIDA-Magazin

Das Künstler-Duo Stirnimann-Stojanovic reflektiert über die Mechanismen im Kunstmarkt und die Frage, wie sich eine Künstlerexistenz in die Gesellschaft einfügt.

Kunst und Performance

«Wir brauchen neue Formen sozialer, progressiver Politik»

Das Künstler-Duo Stirnimann-Stojanovic macht Kunst, die das Künstlerdasein zum Thema macht. In ihrem Wohnatelier in Zürich empfingen Nathalie und Stefan zum Essen und zum Gespräch über ihre Arbeitsweise, Klassenunterschiede im Kulturbetrieb und ihre ungewisse Zukunft.

Von Mathias Balzer

Zürich, 11.04.2023

13 min

Unter dem grau verhangenen Himmel wirkt die Wohnsiedlung oberhalb des Triemli-Spitals in Zürich trist. Eine Art Schweizer Plattenbau mit Eternit-Schindeln. Erstaunlich, dass es hier ein Künstler-Atelier der Stadt gibt. Aber auf ebenso erstaunliche Weise passt dieser Ort zu Nathalie Stirnimann und Stefan Stojanovic.

Wie sie, und wie überhaupt Künstler:innen leben, wird schnell zum Gesprächsthema. Wir sprechen Englisch, die Umgangssprache des Paars. Die beiden sitzen auf einem alten Ledersofa und fallen sich gegenseitig ins Wort, merken es aber gleich und lachen darüber. Sie teilen sich im Parterre des Wohnblocks ihren Lebens- und Arbeitsort auf 46 Quadratmetern. Da ist Achtsamkeit im Umgang miteinander essenziell.

Performances zum Selbermachen

FRIDA schenkt ihren Leser:innen zwölf Performances zum Selbermachen. In unserer vom Künstler Chris Hunter kuratierten Serie «Mach’s» stellen wir zwölf Performance-Künstler:innen aus der Schweiz vor. Wir laden sie dafür zum Essen ein. Im Gegenzug präsentieren die Künstler:innen jeweils eine Performance-AnleitungDiejenige von Stirnimann-Stojanovic findest Du am Ende dieses Artikels.

Solltest Du der Aufforderung folgen, und die Performance im privaten Kreis nachstellen, bitte lass es uns wissen. Foto, Video, Erlebnisberichte – alles ist erlaubt. Es ist ganz einfach: «Mach’s!»

Am 27. Juni 2023 wird die Publikation zum Projekt im Museum Tinguely in Basel präsentiert.

Liebe und Arbeit zwischen Serbien und der Schweiz

Nathalie und Stefan lernen sich 2015 im Rahmen eines dreimonatigen Kunstprojekts kennen, das in Zürich, Belgrad und Pristina stattfindet. Stefan besucht zu dieser Zeit eine klassische Malakademie in Novi Sad in Serbien. Nathalie, aus Fribourg stammend, studiert Bachelor in Fine Arts in Zürich.

Von 2015 bis 2017 entwickeln die beiden ihre künstlerische Arbeit zwischen Serbien und der Schweiz. Aber Beziehung, Liebe und Arbeit über eine solche Distanz ist ein kompliziertes Unterfangen, auch wenn dieses Modell ebenfalls seine Vorteile habe, wie sie sagen. Sie beschliessen 2017, sich als Duo für ein Masterstudium in Fine Arts an der ZHdK zu bewerben.

Im Laufe des Studiums stellen sie fest, dass die angehenden Kulturschaffenden schon während des Studiums, aber auch nach dem Abschluss, ganz unterschiedliche Karten in der Hand haben. «Manche haben externe finanzielle Unterstützung, privat oder öffentlich», sagt Nathalie. «Manche finanzieren sich selbst, mit höherem oder niedrigerem Einkommen. Manche haben Probleme mit dem Visum; manche haben weniger soziales Netzwerk, manche mehr. Manche sind noch gar nicht im Kunststudium oder im künstlerischen Bereich präsent, aufgrund von fehlendem Zugang und verschiedenen Einflussfaktoren.»

Diese Ungleichheiten würden, so die beiden, durch die Tatsache verstärkt, dass aufstrebende Künstler für ihre Arbeiten meist die Materialkosten oder Spesen erstattet bekämen, aber selten Künstlerhonorare erhielten, mit denen sie ihre Lebenskosten decken könnten.

«Mehr, als jeder Künstler verdient»

Als Antwort auf diese Problematik entwickelten Nathalie und Stefan im Jahr 2020 die Arbeit «Win-Win For Life» für ihre Master-Abschlussausstellung. Das Duo erhielt, wie jeder andere Student auch, ein Budget von 500 Franken für die künstlerische Produktion seiner Arbeit. Sie beschließen, zu versuchen, dieses «Produktionsbudget» in ein «Künstlerhonorar» umzuwandeln, das einem ausreichenden Lebensunterhalt entsprechen würde.

Sie gehen mit den 500 Franken zum Kiosk und setzten den ganzen Betrag und alle daraus gewonnenen Kleingewinne auf Win for Life Lose. Der Hauptgewinn dieser Lotterie verspricht ein monatliches Einkommen von 4000 Franken über die Laufzeit von zwanzig Jahren. «Das wäre mehr, als jeder junge Künstler verdient», sagt Stefan.

Ein Jahr später kreiert das Duo im Kunst(zeug)haus Rapperswil aus den aufgerubbelten Losen den Schriftzug «Looooosers» und pinnt diesen an die Wand. Mit viel mehr Aufwand, und mehr Handwerk erfordernd, bilden die beiden einzelne Lose massstabsgetreu nach, aus Tausenden Minipartikeln Murano-Glas. Pro Bildchen erfordert das rund achtzig Arbeitsstunden.

«Win-Win For Life», 2021 im Rahmen der Grossen Regionale im Kunst(zeug)haus in Rapperswil.

«Win-Win For Life», 2021 im Rahmen der Grossen Regionale im Kunst(zeug)haus in Rapperswil.

Bild: Stirnimann-Stojanovic

Eine Parodie auf den Kunstmarkt

Das Werk liest sich wie eine Parodie auf den Kunstmarkt und seine Spekulationsmechanismen, das Künstlerdasein und politische Forderungen, etwa nach einem Grundeinkommen. Und es zeigt, was Künstler:innen in der Regel tun: Sie investieren erwirtschafteten Gewinn wiederum in ihre künstlerische Praxis, also neues Material, in der Hoffnung, irgendwann das grosse Los auf dem Markt zu ziehen. «Oder zumindest Wege zu finden, um ihr tägliches Leben auf menschenwürdige Weise zu bestreiten», sagt Stefan.

Das Glück – oder besser eine Jury – will es, dass «Win-Win For Life» von der Stadt Zürich angekauft wird, für 15’000 Franken. «Die haben Humor», meint Nathalie. Den haben die beiden Künstler auch. Sie investieren – wie es im Fall eines Verkaufs vorgesehen war – wiederum 10’000 Franken in Lose.

«Die Person am Kiosk hat schon ein wenig gestaunt», meint Nathalie. Sie zeigen mir die Schachtel mit den 2000 Losen. Aus diesen wiederum werden sie einen noch grösseren «Looooooooosers»-Schriftzug kreieren, den sie an der Art Basel 2023 zeigen werden. Das Duo ist dort für den renommierten Kiefer «Hablitzel I Göhner Kunstpreis» nominiert.

«Vielleicht wird das Werk ja irgendwann so gross, dass es an die Art Unlimited, Ort für Grossinstallationen, passt», scherzen beide. «Aber was wir uns wirklich wünschen, ist, dass die Künstler nicht auf einen Lottogewinn angewiesen sind, um ein ausreichendes Einkommen zu erzielen«, erklärt Nathalie. «Damit meinen wir die Lotterie bei Stipendien oder Preisen, aber auch die Lotterie beim Verkauf eines Werks – oder eben die buchstäbliche Lotterie.»

«Wir profitieren jetzt noch vom Jugend-Bonus»

Die beiden sind nicht bloss Künstler mit Humor, sondern auch wunderbare Gastgeber, die ersten in unserer Reihe, die selbst kochen, ein serbisches Essen: Punjena Paprika (gefüllte Paprika), ein Salat mit Gurken, dazu Sauerkraut, ein Kartoffelauflauf mit Lauch, Avocado und mit scharfem Öl überbacken, dazu eine Flasche Weisswein aus Neuchâtel.

Ein Wohnatelier, ein Ankauf und ein Kunststipendium der Stadt Zürich, Atelieraufenthalte in Belgrad und Shanghai, Einzel- und Gruppenausstellungen im In- und Ausland, ein Reisestipendium der Landis & Gyr Stiftung, nominiert für den Kiefer-Hablitzel-Preis und zwei Tage nach meinem Besuch die Abreise für einen zweimonatigen Atelieraufenthalt mit Gruppenausstellungen in Taiwan: Dem Duo läuft es gut – zumindest von aussen gesehen.

In Wirklichkeit leben sie sehr sparsam. Sie verdienen mit Kunsthandwerkerarbeiten, mit Workshops und anderen kunstbezogenen Gelegenheitsjobs gelegentlich etwas dazu. Und: Stipendien und Ateliers bekommt niemand umsonst. Dafür braucht es aufwändige Büro- und Konzeptarbeit, deren Wirksamkeit aber immer ungewiss ist. Zudem hat dieses System eine gewisse Halbwertszeit. Nathalie ist 33, Stefan 30 Jahre alt. «Wir profitieren jetzt noch vom Jugend-Bonus. Aber bald einmal ist das vorbei», betonen sie.

«Interdependency!» an der Liste 2018 in Basel im Rahmen von «Performance, Production, Products» im Kaskadenkondensator.

«Interdependency!» an der Liste 2018 in Basel im Rahmen von «Performance, Production, Products» im Kaskadenkondensator.

Bild:Stirnimann-Stojanovic

Wie ihre Zukunft aussehen wird, künstlerisch, finanziell, privat, beschäftigt die beiden. Das liegt vielleicht auch daran, dass sie nicht, wie andere Künstler:innen, aus einer privilegierten Oberschicht stammen.

Stefan ist in den Neunzigerjahren in Bujanovac im Süden Serbiens aufgewachsen. Das Einkommen der Eltern reichte gerade zum Leben. Er habe bereits als Kind viel gezeichnet, und die Eltern seien seinem Wunsch, die Kunstakademie zu besuchen, nicht im Weg gestanden.

Nathalie bezeichnet ihr Elternhaus als nicht «unbedingt kunstaffin». Sie sagt: «Meine Eltern respektieren, was wir machen. Aber die zeitgenössische Kunst ist für sie eine fremde Welt. Sie können nur schwer begreifen, dass wir so viel arbeiten und trotzdem kein gesichertes Einkommen haben.»

Wer prägt eigentlich die Kultur?

Die Künstlerin bringt das Problem des Klassenunterschieds in der Kunstwelt so auf den Punkt: «Der Zugang zur Kunst sollte radikal egalitär gestaltet sein, sowohl für die Künstler:innen wie das Publikum. Was werden wir sehen, wenn wir uns in 200 Jahren fragen, wer die Kultur im 21. Jahrhundert geprägt hat? Werden es wiederum nur die wohlhabenden Schichten gewesen sein, wie schon die Jahrhunderte davor?»

Die Reflexion über die Mechanismen im Kunstmarkt, die Frage, wie sich eine Künstlerexistenz in die Gesellschaft einfügt und die schiere Unmöglichkeit, die eigene Zukunft planen zu können, fliessen in verschiedenster Weise in das Werk des Duos ein.

Unter dem Titel «Interdependency» (gegenseitige Abhängigkeit) stellten sie an der Liste 2018 in Basel drei Holzstühle aus. Auf deren Sitzfläche war der Entwurf eines Vertrags mit einem möglichen Sammler gekritzelt: Dieser könnte die Stühle für 40’000 Franken kaufen. Stirnimann-Stojanovic würden im Gegenzug in zehn Jahren mit eben diesen Stühlen eine Performance aufführen.

Ein Kreditsystem also, das den Künstler:innen Zukunft sichern würde, indem das Performance-Relikt, nicht wie üblicherweise Jahre nach, sondern Jahre vor der Performance gekauft wird. Noch ist kein Sammler darauf eingegangen.

Werden sie auf dem Kunstmarkt bestehen?

Ebenfalls in die Zukunft gerichtet ist die Performance «See you in twenty years, good luck», 2018 in der Stadtgalerie in Bern gezeigt. Die Aufführung besteht einzig darin, dass die Künstler Play-back den Text sprechen, dass sie «diese Performance in zwanzig Jahren wieder aufführen werden». Also 2038, 2058, …

Nur: Wo werden sie das tun? Wird sie jemand dafür bezahlen? Werden sie auf dem Kunstmarkt bestehen? Werden sie noch als Künstler arbeiten? Werden sie noch eine Beziehung führen?

Auf ihre Lebens- und Arbeitssituation angesprochen, räumen die beiden ein, dass es nicht immer einfach sei, 24 Stunden im Tag ein Team zu sein. Da falle es oft schon schwer, mal Sonntag zu machen, da Privates und Arbeit verschwimmen würden. Ein Prozess, der ein hohes Mass an Selbstreflexion erfordere.

Stefan sagt es so: «Nathalie kann beispielsweise um 22.30 Uhr beginnen, über den nächsten Arbeitstag zu reden. Aber würde sie das auch mit einem anderen Mitarbeiter tun, mit dem sie nicht zusammenlebt?»

Das Künstlersein als Kunstwerk

Am liebsten würden die beiden sich eine gewisse Zeit ausschliesslich der Analyse und Weiterentwicklung ihrer Arbeits- und Lebensform widmen. «Es schleifen sich viele Dinge ein, was die Rollenverteilung angeht», sagt Nathalie. Gerade unter Zeitdruck mache jeder das, was er jeweils am besten könne.

Ideal wäre es jedoch – auch in die individuelle Zukunft gedacht – wenn beide jeweils das Know-how des anderen mitbeherrschen würden. «Vielleicht müssen wir diese Idee aber auch zu einem Projekt machen, um uns diese Auszeit finanzieren zu können.»

Das Künstlersein selbst als Kunstwerk – in radikaler Offenheit. So könnte man ihre Arbeit auch lesen.

Ein T-Shirt für einen Jahreslohn

Mit seinem neuen Werk «Your Logo*here!» demonstriert das Duo, was es heisst, seine Haut auf den Kunstmarkt zu tragen. Für die Performance ziehen sich Nathalie und Stefan ein T-Shirt über und mischen sich unter Vernissage-Gäste.

Das T-Shirt wird dann oft zum Thema, denn: Auf der Vorderseite ist ein Leerraum definiert, wo ein Unternehmen sein Logo für 50’000 Franken platzieren könnte. Die Künstler würden für diesen durchschnittlichen Schweizer Lohn das Shirt ein Jahr lang tragen. Auf der Rückseite des Shirts sind jedoch Bedingungen formuliert, die das Unternehmen erfüllen muss.

«Your Logo* Here!» im Rahmen von «Exploit me!» im Kunstmuseum Olten, 2023.

«Your Logo* Here!» im Rahmen von «Exploit me!» im Kunstmuseum Olten, 2023.

Bild: Thalles Piaget

Der Katalog beginnt mit eher erfüllbaren Forderungen, wie der Gleichbehandlung aller Beteiligten «ohne Rücksicht auf Rasse, Hautfarbe, Religion, nationale Herkunft oder Staatsbürgerschaft, Geschlecht, Geschlechtsidentität oder -ausdruck, Schwangerschaft, sexuelle Orientierung, Alter, Behinderung, Zugehörigkeit oder Status.»

Oder etwa dem Anspruch, «alle Personen im Unternehmen müssten einen existenzsichernden Lohn erhalten sowie eine Unfall- und Krankenversicherung sowie eine Rente, die einen Lebensabend in Würde garantiert.»

Schwieriger bis unmöglich wird es bei Bedingungen wie diesen: «Alle im Produktionsprozess verwendeten Materialien werden recycelt. Die Verwendung von Material in der Produktion erfolgt im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Die eigene Produktion sowie die vorgelagerten Produktionsschritte basieren auf einer fossilfreien Wirtschaft (Kompensationen werden nicht akzeptiert).»

Kein richtiges Leben im falschen

In letzter Konsequenz bedeutet dies: Das Duo akzeptiert für dieses Kunstwerk keine Finanzierung, die nicht seinen ethischen Werten entspricht. Was würde passieren, wenn alle Künstler:innnen dieses Prinzip auf den Kunstmarkt übertragen würden?

Wir können davon ausgehen, dass dies in absehbarer Zeit nicht geschieht. Was wiederum bedeutet, dass Künstler:innen weiterhin mit diesem Widerspruch leben müssen, den Theodor W. Adorno bereits vor 72 Jahren so schlank formuliert hat: Es gibt kein richtiges Leben im falschen.

Nathalie Stirnimann und Stefan Stojanovic halten freundlich lächelnd den Finger in diese offene Wunde wie zwei Eulenspiegel. Stefan meint zum Ende meines Besuchs in der Zürcher Plattenbaute:
«Wir brauchen neue Formen sozialer, progressiver Politik.»

Performanceanleitung für «machs» im FRIDA-Magazin