Aber wie entstehen diese Performances, Mischungen aus Environment und Schauspiel, diese ausufernden Collagen, ausholende Suchbewegungen, die keine Antworten liefern?
Jungs Werdegang war selbst eine Suchbewegung: Anglistik- und Germanistikstudium, danach Kunstgeschichte, auf dem Weg zum Lehrerdiplom, dann doch Fotografie und schliesslich die Kunst mit Studium in Zürich, Amsterdam und London.
Die Welt als Spiel
Das waren die Schulen, was aber sind ihre Inspirationsquellen? Die 39-Jährige nennt einerseits die Wortkaskaden von Elfriede Jelinek und Hélène Cixous, Basler Schnitzelbänggler, Comedians wie Andy Kaufmann, Tommy Cooper oder Performancekünstlerinnen wie Rose English oder Carolee Schneemann – vor allem aber einen Namen: Christoph Marthaler, dessen Inszenierungen wie «Pessoa Faust», «Stunde Null» oder «Groundings» sie als Pre-Teen-Jugendliche gesehen hat. Collagen aus Text, Musik, Performance, traumartiger Nonsens mit Ernst und Tiefgang. Mit auf der Bühne: Ihr Vater, der Schauspieler André Jung.
«Ich war mein Leben lang unterschiedlichem Umgang mit Sprache ausgesetzt, war immer von Menschen umgeben, bei denen Spiel und Ernst ineinander und übereinander schwappten. Diese sehr undeutliche Grenze zwischen gespielt und gelebt, öffentlich und privat, das hat mich sehr geprägt», sagt die Künstlerin.
Die Lust am Spiel brachte sie dazu, die Aufnahmeprüfung an die Schauspielschule in Zürich zu machen. «Ich wollte mich irgendwie mit der Bühne anfreunden, aber keinesfalls in die doch sehr grossen Fussstapfen meines Vaters treten. Irgendwie fühlte sich das falsch an.»
Die Expert:innen scheinen das gemerkt zu haben. «Ich kam zwar weit», sagt Jung, «aber am Ende wollte die Jury wissen, ob ich den Beruf der Schauspielerin auch wirklich wolle. Worauf ich eingestehen musste, dass ich das nicht wirklich bejahen konnte, ich wollte spielen, aber mit dem Kontext eigentlich nichts zu tun haben.»
Der Umgang mit Text, in Kunsträumen oder auf Bühnen, kam dann aber doch noch. Durch die Hintertüre. Zum Abschluss des Fotografiestudiums in Zürich sagten zwei ihrer Kommilitonen, dass die Art und Weise , wie sie über ihre Bilder spreche, spannender sei als die Fotografien selbst.
«Das war erstmal kränkend, hat mich aber auf die Spur gebracht», sagt Jung. Seither entwickelt die Künstlerin ihre unverkennbare Handschrift, wobei bei der Kreation ihrer Performances nicht das Wort am Anfang steht.
Die Welt als Fragment
Jung ist eine viel Reisende, nicht bloss zwischen den Wohnorten Basel und London pendelnd, sondern weltweit unterwegs. Auf diesen Reisen ist sie Jäger- und Sammlerin. Schrottplätze, Flohmärkte, Brockenhäuser, die Ränder der Zivilisation: Von dort stammt das Material, das sie in ihrem Atelier zu Arrangements zusammenfügt, neu komponiert, als Grundlage für Ihre Installationen und Settings benutzt – und diese skurril-verspielten Objekte wiederum als Ausgangspunkt für ihre Texte.
In der Performance «The Bigger Sleep» sagt ihr Partner, die Welt sei nicht überblickbar, da sie nicht flach, sondern rund sei. Diese Unüberblickbarkeit der Welt könnte man auch als fluides Fundament von Jungs Arbeit bezeichnen.
«Wir nehmen ja immer nur Fragmente wahr. Aber viele Fragmente ergeben, irgendwie, auch wieder ein Ganzes, auch wenn natürlich immer weggelassen wird. Die Pausen, die Leerstellen sind sogar wichtiger Bestandteil eines Ganzen», sagt sie und erklärt: «Ich mag nicht, wenn etwas klar definiert ist und dadurch unumstösslich, unveränderbar erscheint. Wenn wir Dinge, Gegenstände, Medien, Lebewesen genau betrachten, mit Zeit betrachten, eröffnen sich immer vielschichtige Assoziationsräume. Genau betrachtet, ist eben nichts im Leben eindeutig.»
Wir reden noch über Ihre Tätigkeit als Mentorin am Institut der Künste und als Dozentin in Karlsruhe. Arbeit, die Ihr Spass und Inspiration bringt. Und finanzielle Sicherheit. Während der Pandemie, als wir uns bereits einmal für ein Gespräch trafen, erzählte sie, wie wohltuend Lockdown für sie war, eine Künstlerin, die weiss, was Erfolg bedeuten kann: im Hamsterrad des Kunstbetriebs zu landen.
Zum Ende des Essens schlägt das Wetter um. Ein Gewitter naht. Und das passt gerade wunderbar:
Das Fliessende, Unfertige, Prekäre als Weltzustand bleibt nach der Begegnung mit Sophie Jung haften. Wir wünschen uns das Leben ja als fertigen Zustand, als etwas Haltbares, mit klaren Regeln, Dimensionen – ohne plötzlichen Regen – aber so ist die Welt nie.
Anstatt an ihrer Unfertigkeit zu verzweifeln, uns gegen ihre Flüchtigkeit zu wehren, sollten wir uns gerade damit anfreunden. Sophie Jung legt uns dazu einen Schlüssel in die Hand, schräg, chaotisch, etwas melancholisch, unterhaltend und komisch.