Essen mit Sophie Jung
Sophies Spiel mit der Welt
Sophie Jung ist der zweite Gast in unserer Performance-Reihe «Machs». Sie schenkt unseren Leser:innen eine Performance-Anleitung, und wir haben sie zum Essen eingeladen. Im Porträt erzählt sie, warum sie das Unfertige bevorzugt und wie Christoph Marthaler sie inspiriert hat.
Basel, 11.05.2022
Die Künstler:innen, die Kurator Chris Hunter einlädt, in diesem Magazin eine Performance-Anleitung zu veröffentlichen, treffen wir jeweils zum Essen. Die Gäste dürfen wählen: Gourmettempel, Lieblingsbeiz, Kebab-Stand, Picknick oder selber kochen: Alles ist möglich.
Sophie Jung wählt ein Mittagessen auf der Dachterrasse des Manor-Restaurants beim Claraplatz in Basel. Sie habe hier am Gemüsestand, auf den Tag genau vor 17 Jahren, ihren Partner kennengelernt, wird sie später, beim Verlassen des Warenhauses, erzählen. Aber erst wählt sie mal vom Buffet: ein Bircher-Müesli, Frühstück, quasi.
Performances zum Selbermachen
FRIDA schenkt ihren Leser:innen zwölf Performances zum Selbermachen. In unserer vom Künstler Chris Hunter kuratierten Serie «Machs» stellen wir zwölf Performance-Künstler:innen aus der Schweiz vor. Wir laden sie dafür zum Essen ein. Im Gegenzug präsentieren die Künstler:innen jeweils eine Performance-Anleitung. Diejenige von Sophie Jung findest Du am Ende dieses Artikels.
Solltest Du der Aufforderung folgen, und die Performance im privaten Kreis nachstellen, bitte lass es uns wissen. Foto, Video, Erlebnisberichte – alles ist erlaubt.
Nach einem Jahr werden die zwölf Performances samt Euren Erlebnissen in einer Publikation dokumentiert.
Es ist ganz einfach: «Mach’s»!
Auf der Dachterrasse der weite Himmel, Blick über Stadt und Rhein, Horizonterweiterung. Sophie Jung posiert fürs Foto, als ob sie das jeden Tag vor dem Frühstück macht: Sonnenbrille, etwas Körperspannung, das reicht. Techniken, welche die Performerin bei ihren Auftritten trainiert.
Beispielsweise in «The Bigger Sleep», im Kunstmuseum Basel, anlässlich des Manor(!)-Kunspreises, den sie 2019 erhalten hat. Sophie Jung fläzt da auf einer Chaiselongue, in einer Mischung aus Privatheit und Pose. Ihre Nacktheit ist ein Kostüm, der Raum ein riesiges Spiegelkabinett, darin seltsam zusammengesetzte Objekte. Ihr Partner Peter Burleigh gibt den Diener und erinnert: «Halte Dich ans Script.» Was Sophie auch tut, denn ihren Performances liegen geschriebene Texte zugrunde, die sie dann aber konsequent ignoriert, sie kann und will nicht auswendig lernen. Einzelne Abmachungen im Szenario bilden Inseln, dazwischen Improvisation, wie beim Jazz.
Jung hat ein untrügliches Gespür für Sprach-Rhythmus, variiert Tempi und Lautstärke, singt dazu Songs, oder, wie sie sagt: «Ich tue so, als ob ich singen kann.» Ihre Texte sind traumartige Gebilde, Assoziations-Pirouetten, mäandernde Bedeutungsflüsse. Worte zerbrechen in Bestandteile und verwandeln sich in Unvorhersehbares. Aus der Range-Rover-Reklame in einer Illustrierten wird ein Fischsterben im Wüstensee. Lacans Psychoanalyse gleitet fliessend in ein «Glory Glory Hallelujah» über, High und Low klatschen aufeinander, Nike und Art Basel, Messiaen und Missoni, Plato und Play-Doh. Das alles lakonisch vorgetragen von einer zerbrechlich melancholischen Lady, fragend, unsicher, scheinbar unperfekt, nicht leicht zu verstehen und doch fesselnd. «Man muss das nicht alles verstehen», sagt Jung beim Bircher-Müesli-Essen.
Aber wie entstehen diese Performances, Mischungen aus Environment und Schauspiel, diese ausufernden Collagen, ausholende Suchbewegungen, die keine Antworten liefern?
Jungs Werdegang war selbst eine Suchbewegung: Anglistik- und Germanistikstudium, danach Kunstgeschichte, auf dem Weg zum Lehrerdiplom, dann doch Fotografie und schliesslich die Kunst mit Studium in Zürich, Amsterdam und London.
Die Welt als Spiel
Das waren die Schulen, was aber sind ihre Inspirationsquellen? Die 39-Jährige nennt einerseits die Wortkaskaden von Elfriede Jelinek und Hélène Cixous, Basler Schnitzelbänggler, Comedians wie Andy Kaufmann, Tommy Cooper oder Performancekünstlerinnen wie Rose English oder Carolee Schneemann – vor allem aber einen Namen: Christoph Marthaler, dessen Inszenierungen wie «Pessoa Faust», «Stunde Null» oder «Groundings» sie als Pre-Teen-Jugendliche gesehen hat. Collagen aus Text, Musik, Performance, traumartiger Nonsens mit Ernst und Tiefgang. Mit auf der Bühne: Ihr Vater, der Schauspieler André Jung.
«Ich war mein Leben lang unterschiedlichem Umgang mit Sprache ausgesetzt, war immer von Menschen umgeben, bei denen Spiel und Ernst ineinander und übereinander schwappten. Diese sehr undeutliche Grenze zwischen gespielt und gelebt, öffentlich und privat, das hat mich sehr geprägt», sagt die Künstlerin.
Die Lust am Spiel brachte sie dazu, die Aufnahmeprüfung an die Schauspielschule in Zürich zu machen. «Ich wollte mich irgendwie mit der Bühne anfreunden, aber keinesfalls in die doch sehr grossen Fussstapfen meines Vaters treten. Irgendwie fühlte sich das falsch an.»
Die Expert:innen scheinen das gemerkt zu haben. «Ich kam zwar weit», sagt Jung, «aber am Ende wollte die Jury wissen, ob ich den Beruf der Schauspielerin auch wirklich wolle. Worauf ich eingestehen musste, dass ich das nicht wirklich bejahen konnte, ich wollte spielen, aber mit dem Kontext eigentlich nichts zu tun haben.»
Der Umgang mit Text, in Kunsträumen oder auf Bühnen, kam dann aber doch noch. Durch die Hintertüre. Zum Abschluss des Fotografiestudiums in Zürich sagten zwei ihrer Kommilitonen, dass die Art und Weise , wie sie über ihre Bilder spreche, spannender sei als die Fotografien selbst.
«Das war erstmal kränkend, hat mich aber auf die Spur gebracht», sagt Jung. Seither entwickelt die Künstlerin ihre unverkennbare Handschrift, wobei bei der Kreation ihrer Performances nicht das Wort am Anfang steht.
Die Welt als Fragment
Jung ist eine viel Reisende, nicht bloss zwischen den Wohnorten Basel und London pendelnd, sondern weltweit unterwegs. Auf diesen Reisen ist sie Jäger- und Sammlerin. Schrottplätze, Flohmärkte, Brockenhäuser, die Ränder der Zivilisation: Von dort stammt das Material, das sie in ihrem Atelier zu Arrangements zusammenfügt, neu komponiert, als Grundlage für Ihre Installationen und Settings benutzt – und diese skurril-verspielten Objekte wiederum als Ausgangspunkt für ihre Texte.
In der Performance «The Bigger Sleep» sagt ihr Partner, die Welt sei nicht überblickbar, da sie nicht flach, sondern rund sei. Diese Unüberblickbarkeit der Welt könnte man auch als fluides Fundament von Jungs Arbeit bezeichnen.
«Wir nehmen ja immer nur Fragmente wahr. Aber viele Fragmente ergeben, irgendwie, auch wieder ein Ganzes, auch wenn natürlich immer weggelassen wird. Die Pausen, die Leerstellen sind sogar wichtiger Bestandteil eines Ganzen», sagt sie und erklärt: «Ich mag nicht, wenn etwas klar definiert ist und dadurch unumstösslich, unveränderbar erscheint. Wenn wir Dinge, Gegenstände, Medien, Lebewesen genau betrachten, mit Zeit betrachten, eröffnen sich immer vielschichtige Assoziationsräume. Genau betrachtet, ist eben nichts im Leben eindeutig.»
Wir reden noch über Ihre Tätigkeit als Mentorin am Institut der Künste und als Dozentin in Karlsruhe. Arbeit, die Ihr Spass und Inspiration bringt. Und finanzielle Sicherheit. Während der Pandemie, als wir uns bereits einmal für ein Gespräch trafen, erzählte sie, wie wohltuend Lockdown für sie war, eine Künstlerin, die weiss, was Erfolg bedeuten kann: im Hamsterrad des Kunstbetriebs zu landen.
Zum Ende des Essens schlägt das Wetter um. Ein Gewitter naht. Und das passt gerade wunderbar:
Das Fliessende, Unfertige, Prekäre als Weltzustand bleibt nach der Begegnung mit Sophie Jung haften. Wir wünschen uns das Leben ja als fertigen Zustand, als etwas Haltbares, mit klaren Regeln, Dimensionen – ohne plötzlichen Regen – aber so ist die Welt nie.
Anstatt an ihrer Unfertigkeit zu verzweifeln, uns gegen ihre Flüchtigkeit zu wehren, sollten wir uns gerade damit anfreunden. Sophie Jung legt uns dazu einen Schlüssel in die Hand, schräg, chaotisch, etwas melancholisch, unterhaltend und komisch.
Solltest Du der Aufforderung folgen, und die Performance im privaten Kreis nachstellen, bitte lass es uns wissen. Foto, Video, Erlebnisberichte – alles ist erlaubt.
Nach einem Jahr werden die zwölf Performances samt Euren Erlebnissen in einer Publikation dokumentiert. Es ist ganz einfach: «Mach’s»!