Cover Buchtipp von BuchBasel Leiterin Marion Regenscheit

Literatur-Tipp

BuchBasel: Persönliche Empfehlungen der Festivalleiterin

Als Leiterin des Literaturfestivals Buch Basel ist Marion Regenscheit professionelle Vielleserin mit einem umfassenden Überblick. Für unser Magazin schreibt sie das ganze Jahr über jeden Monat drei Leseempfehlungen. Jetzt steht das Festival vor der Tür. Deshalb gibt es diese Woche Veranstaltungstipps statt Leseempfehlungen.

Von Marion Regenscheit

Basel, 03.11.2022

6 min

Liebe Bücherfreund:innen

Ich wollte auf unserer neuen Buch Basel Webseite unbedingt einen Countdown haben. Das hat geklappt und heute steht da: «Noch 15 Tage bis zur BuchBasel 2022». In zwei Wochen geht es nun also los und ich freue mich einerseits enorm darauf, dass es nach einem Jahr Arbeit nun endlich so weit ist und andererseits werde ich auch ein bisschen nervös.

Diesen Monat gibt es aus dem Grund auch keine Buchtipps von mir, sondern Veranstaltungstipps. Umkreist das Datum 18.–20. November gelb in eurem Kalender und kommt vorbei, liebe FRIDA-Leser:innen.

Zwei Veranstaltungstipps vorweg:

  • Am Donnerstagabend ab 20 Uhr feiern wir im Sääli in Basel unser Programm-Release mit einer Lesung. Mit dabei ist Lidija Burčak mit ihrem ersten Buch Nöd us Zucker und danach legt DJ MixMax auf. Eintritt ist frei.
  • Am nächsten Dienstag 8.11 findet im kHaus unsere Auftaktveranstaltung mit Wolf Haas und seinem neusten Brenner-Krimi statt.

Und nun zu einigen Festivalhighlights, die ihr nicht verpassen solltet:

Sibylle Berg: RCE in musikalischer Begleitung von WAS DAS?

Wenn sich etwas ändern soll, dann braucht es manchmal einen Weltuntergang. Also macht sich ein weltumspannendes Kollektiv daran, den Kapitalismus zu hacken. Die Nerds wollen den Feind mit seinen eigenen Waffen schlagen: mit subversiven Smartphone-Games, umstürzlerischen Fernsehserien und irrsinnigen Bankentransaktionen. Es ist ein Fünfjahresplan zur Zerstörung der Bad Boys aus der Tech- und Unterhaltungsbranche und der Milliardäre aus der Überwachungsindustrie. RCE (Kiepenheuer & Witsch, 2022), das Akronym für «Remote Code Execution», ist nach GRM der zweite Teil von Sibylle Bergs Trilogie zu einer kaputten Welt.

Am Festival tritt Sibylle Berg zusammen mit der siebenköpfigen Basler Rapgruppe WAS DAS? auf. Mit zeitgenössischen Beats und politischen Aussagen zeigen sie, dass Rap längst nicht mehr Kopfnicken und Bro Battle sein muss.

Kim de l’Horizon: Blutbuch

Aufgewachsen in einem schäbigen Schweizer Vorort, ist die Erzählfigur von Blutbuch (Dumont Buchverlag, 2022) den engen Strukturen der Herkunft entkommen, lebt in Zürich und fühlt sich im nonbinären Körper wohl. Doch dann erkrankt die Grossmutter an Demenz, und das Ich beginnt, sich mit der Vergangenheit und den bruchstückhaften Erinnerungen an die eigene Kindheit auseinanderzusetzen. Der Text lässt Erzählkonventionen hinter sich und erzählt auf verblüffend eigenwillige Art eine Familiengeschichte vor dem Hintergrund der aktuellen Gender- und Klassendebatten.

Kim de l’Horizon würde für sein*ihr Debüt mit dem Deutschen Buchpreis 2022 ausgezeichnet. Bekommt Kim de l’Horizon auch den Schweizer Buchpreis? Wir werden es am Sonntag, 20. November, erfahren. Die Verleihung ist öffentlich und gratis und findet um 11 Uhr im Theater Basel statt.

Helene Hegemann: Schlachtensee

In 15 Erzählungen versammelt Hegemann in Schlachtensee (Kiepenheuer & Witsch, 2022) überspannte Menschen und Figuren in ihren Endzwanzigern. Alle reiben sich wund an körperlichen Grenzerfahrungen, irgendwo zwischen Wohlstandsverwahrlosung und polyamourösen Affären. Sie befinden sich in einer Art Überlebensmodus, der bis zum Totalausfall führt. In der längsten Erzählung steht eine Wortschöpfung Dostojewskis im Zentrum: надрыв, Nadrýw. Diese beschreibt eine emotionale Spannung, die auch mit «Schmerzekstase» oder «wunde Stelle» übersetzt wurde. Diese Spannung verbindet alle Kurzgeschichten: Sie sind dystopisch, absurd und hochaktuell.

Einmal mehr zeigt Helene Hegemann, wie das Abarbeiten an Widersprüchen zwar schmerzhaft, aber zugleich auch ein Lesevergnügen sein kann. Und ich freue mich sehr auf das Wiedersehen mit Helene Hegemann dieses Jahr.

Laurie Penny: Sexuelle Revolution

Sexuelle Revolution (Nautilus Flugschrift, 2022) ist das achte Buch von Journalist*in, Buch- und Drehbuchautor*in Laurie Penny. Die gegenwärtige sexuelle Revolution beginnt für Penny überall dort, wo Frauen, queere, nichtbinäre und trans Personen – vor allem jene, die nicht der weissen Mehrheitsgesellschaft angehören – nicht mehr bereit sind, ihren Körper als den Besitz anderer Personen zu begreifen. Penny wirft einen Blick auf die Krise der weissen Männlichkeit und zeigt auf, was die Angst vor Machtverlust damit zu tun hat. Gefordert wird eine radikale Kultur des Consent, die weit über Sex hinausgeht: Auch Arbeitsverhältnisse und politische Prozesse sollen zu einer Logik des fortlaufend ausgehandelten Einvernehmens finden.

Laurie Penny ist am Samstag auch Speaker*in auf einem Podium zum Thema Body Politics, das ich auch unbedingt empfehlen möchte. Denn mit der Abschaffung des Rechts auf Abtreibung in den USA haben die politischen Kämpfe, die auf Körpern von FINTA*-Personen ausgetragen werden, einen neuen Höhepunkt erreicht.

 

Marion Regenscheit ist Leiterin des Literaturfestivals BuchBasel und eine chronische Vielleserin. Sie ist ständig von Büchern umgeben, sieht Bücher als ein gesellschaftliches Phänomen, liebt Geschichten und ist fasziniert von Schnittstellen und Interfaces aller Art – selbstverständlich besonders dann, wenn Bücher und ihre Leser:innen involviert sind.