Die erste postmigrantische Late-Night-Show der Schweiz von Uğur Gültekin (links) und Fatima Moumouni, geht in die zweite Staffel.

Die erste postmigrantische Late-Night-Show der Schweiz von Uğur Gültekin (links) und Fatima Moumouni, geht in die zweite Staffel.

Bild: Laura Gauch

Gespräch mit Fatima Moumouni und Uğur Gültekin

Der Weg in die Neue Schweiz ist lang – aber auch witzig

Unsere Autorin Arzije Asani, als Schweiz-Kosovarin selbst von einer Migrationsgeschichte geprägt, berichtet für FRIDA aus der Kulturszene der Neuen Schweiz. Das ist jenes Land in unserem Land, das von Menschen aus anderen Ländern bewohnt wird. Dieses Mal geht es um die erste postmigrantische Late-Night-Show der Schweiz. Ihre Erfinder:innen, Fatima Moumouni und Uğur Gültekin starten bereits mit der zweiten Staffel.

Von Arzije Asani

Zürich, 06.12.2022

9 min

«Die Show heisst ‹Moumouni/Gültekin›. Ursprünglich haben wir uns kurz überlegt, ob das Ganze Müller Gübelin heissen soll. Ich weiss nicht, ob unser Name zu kompliziert ist. Fatima Moumouni, Uğur (ausgesprochen: Uhr) Gültekin. Ich meine, das Land mit der grössten Uhrenindustrie will mir allen Ernstes erzählen, sie könnten das Wort Uğur (Uhr) nicht aussprechen.» 

So eröffnen die Spoken-Word-Poetin Fatima Moumouni und der Journalist Uğur Gültekin ihre 90-minütige Bühnenshow. Die beiden nennen sie die «erste postmigrantische Late-Night-Show der Schweiz» und füllen sie mit viel Witz, Grips und Anekdoten. Moumouni und Gültekin zeigen Videobeiträge und laden ausgewählte Gäste ein. Manchmal passiert es sogar, dass diese während der Show zu Livemusik tanzen, wie zum Beispiel die Basler Grünen-Nationalrätin Sibel Arslan.

Als ich auf Instagram die Werbung für die Show sah, freute ich mich riesig. Als Person mit Migrationsgeschichte fühle ich mich dadurch gesehen und kann endlich eine Show in der Schweiz besuchen, die mich von Herzen zum Lachen bringt. 

Zwei Stockwerke im Migrationsuntergrund

Das Duo bringt aber nicht nur einen frischen Wind in die Unterhaltungsbranche, sondern auch neue Wortkreationen wie «Migrationsuntergrund». «Das ist ein Wortspiel und kommt aus dem Netzwerk des Instituts Neue Schweiz», erklärt Moumouni grinsend.

«Unserer Meinung nach besteht der Migrationsuntergrund aus zwei Stockwerken. Das erste UG ist der Ort, an dem man hingeschickt wird, weil einem gesagt wird, man solle nicht zu laut sein, nicht zu stark auffallen und sich gefälligst integrieren. Im zweiten UG formiert sich der Widerstand. Hier möchten wir nicht integriert, sondern fordernd sein.». 

Und dieser Widerstand ist auch der Fokus der zweiten Staffel von «Moumouni/Gültekin», mit der die beiden aktuell durch die Schweiz touren. Sie gehen Fragen nach wie: Wie sehr oder stark müssen wir uns anpassen? Wo kommt Wut auf? Wie geht man mit dieser Wut um, in einem Land, das sich Rassismus nicht eingesteht? Und wo braucht es diesen Widerstand vielleicht gar nicht mehr? 

«Einen gewissen Konsens setzen wir voraus», meint Moumouni. «Wenn man die Late-Night-Show sehen möchte, sollte man akzeptieren, dass es in der Schweiz Rassismus gibt. Sonst funktioniert das Programm nicht», fügt Gültekin hinzu. Wenn man diese Bedingung mitbringt, werde man bei der Bühnenshow eine gute Zeit haben. «Es spielt auch keine Rolle, wie alt das Publikum ist. Es funktioniert immer. Wenn du eigene Rassismuserfahrungen mitbringst, wirst du unsere Jokes einfach verstehen. Weil sich diese Diskriminierungen und Ausgrenzungen leider immer wieder wiederholen.» 

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Sibile Aslan bei ihrem Auftritt bei «Moumouni/Gültekin». Bild: Laura Gauch

Die Neue Schweiz

Der Begriff die Neue Schweiz steht für die Bewohner:innen der Schweiz, die einen migrantischen oder postmirgantischen Hintergrund haben. Obwohl diese Menschen etwa einen Viertel der Bevölkerung ausmachen, haben sie kein Bürgerrecht. Nicht primär wegen der hohen Einwanderung, sondern weil die Schweiz mit die strengsten Einbürgerungsgesetze Europas hat. Viele Aktivitäten dieser Community werden durch das Netzwerk Institut Neue Schweiz sichtbar gemacht.

 

Die Show solle in erster Linie Spass machen, aber auch einen Ort für Reflexion bieten, da es solche Safe Spaces immer noch viel zu wenig gäbe in der Schweiz. «Wir sind Schweizer Bürger:innen und es ist Zeit, dass die Schweiz anerkennt, dass wir nicht mehr zurückgehen. Wir sind Teil der Neuen Schweiz. Unsere Geschichten brauchen jetzt endlich eine Bühne», erklären die beiden. 

«Bis jetzt gibt es keinen Ort, an dem ich mich wirklich hundertprozentig wohl fühle. Ich stehe immer irgendwo dazwischen», erklärt mir Gültekin. Und ich verstehe sofort, was er meint. Doch genau mit dieser Show erschaffen sich die beiden diesen sicheren Raum. 

Unterschiede von Stadt zu Stadt

Das Publikum sei von Stadt zu Stadt verschieden, dabei merke man die kulturpolitischen Unterschiede, erzählt Mounouni. Ihr absolutes Wunschpublikum sei in Bern. Dort funktioniere die Mobilisierung der migrantischen Community mit ähnlichen Mechanismen, wie sie Moumouni und Gültekin in ihrer Show verwenden. In Basel hätten sie zweimal das weisseste Publikum gehabt. «Das heisst nicht, dass in Basel nicht mobilisiert wird», sagt die Spoken-Word-Künstlerin. «Es wird einfach anders mobilisiert. Eher im Untergrund. Die schwarze, queere Community zum Beispiel ist gut organisiert, aber sie hat andere Räume für sich gefunden. Räume, in denen die Menschen einfach für sich sein können.» 

Die erste postmigrantische Late Night Show der Schweiz von Fatima Moumouni, Uğur Gültekin geht in die zweite Staffel.

Die erste postmigrantische Late-Night-Show der Schweiz von Uğur Gültekin und Fatima Moumouni geht in die zweite Staffel.

Bild: Ananda Jade

Moumouni und Gültekin möchten aber in die grossen Veranstaltungsräume der Schweiz: «Wenn du schon deinen eigenen kleinen Community-Raum hast, ist dein Bedürfnis oft bedient, du kannst dich ausleben und die Reibung mit Fremdem vermeiden. Das reicht uns als Moumouni/Gültekin aber nicht. Wir setzen uns, indem wir in Räume gehen, die für alle offen stehen sollten, aktiv dieser Reibung aus. Sie ist Teil unserer Arbeit.» 

Die beiden haben das Ziel, ein möglichst migrantisches Publikum zu erreichen. Vor allem wegen der einzigartigen Stimmung im Raum. Wenn viele weisse Leute im Publikum sitzen, sei es auch der Humor ein anderer, erklärt Gültekin. «Wenn wir unter uns die weissen Schweizer:innen auf die Schippe nehmen, lachen wir uns kaputt. Wenn wir dann aber in einem Raum mit ihnen sind, merken wir, wie sie über sich selbst lachen. Das ist eine ganz andere Erfahrung.»

Abgeschifft im Appenzell

Vor ihrer aktuellen Late-Night-Show experimentierten Moumouni/Gültekin mit der Vorgänger-Bühnenshow in verschiedenen Orten der Schweiz. Einmal waren sie in Appenzell. «Da hat es gar nicht gut funktioniert. Das Publikum hat im falschen Teil vom Joke gelacht. Der eigentliche Witz wäre danach gekommen», erzählt Gültekin und lacht. «Wir haben da auch schnell gemerkt, dass das Publikum dort nicht bereit für uns ist, weil es stets als Teil der Dominanz-Gesellschaft reagiert.» Da werde dann schon gelacht bei «Ich bin Deutsche», statt abzuwarten, bis der eigentliche Joke über Lederhosen und Weissbier-Mass komme, fährt Moumouni fort.

Für die beiden sei es selbstverständlich, zu zelebrieren, dass sie ein Teil der Schweiz sind. Von der hiesigen Gesellschaft sei dies aber stets denormalisiert worden. Darum sei es sehr schwierig, vor einem Publikum aufzutreten, das die Realität der postmigrantischen Schweiz nicht anerkennt.

«Egal wie gutmütig und wohlwollend das Publikum ist. Man spürt ständig diese Bewertung.»

Die Schreibende kann ihre Situation sehr gut nachvollziehen und ist umso dankbarer, dass es Kulturschaffende gibt wie sie, die fähig genug sind, diskriminierungsfreie Unterhaltung zu bieten. 

Das Duo ist optimistisch. Sie möchten durch das Erzählen der verschiedenen Geschichten neue Perspektiven schaffen und mit diesen die Neue Schweiz formen. Durch die Bühnenshow seien sie aber auch entspannter geworden und hätten gelernt, dass sie nicht alles abbilden können und auch nicht versuchen müssen, abschliessende Antworten zu finden.

«Es ist ein langer Prozess und wir sind nur ein Puzzleteil davon. Ein kleines Fenster, welches einen Ausschnitt der postmigrantischen Schweiz bietet», meint das Duo bescheiden. Ein lautes «Wir sind da» sei nun endlich ausgesprochen worden in der Schweiz. «Nun beginnt es komplizierter zu werden, denn jeder ist anders da. Die Diskussion um die Frage: ‹Wie sind wir da?› bedingt auch innere Kritik. Das ist sehr anstrengend, aber wir freuen uns auch darauf.» 

Die Autorin freut sich auf jeden Fall auf alles, was von diesem inspirierenden Duo noch kommen wird.

«Moumouni/Gültekin» auf Tour

Rote Fabrik Zürich, 8. Dezember 2022.
Neubad Luzern, 17. Dezember 2022.
Turnhalle Bern, 14. Januar 2023.
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