Eines der neuen Werke von Fischli/Weiss das neu als Schenkung aus der Sammlung Ringier im Aargauer Kunsthaus zu sehen ist.

Ohne Titel (Funghi 06): Eines der neuen Werke von Fischli/Weiss das neu als Schenkung aus der Sammlung Ringier im Aargauer Kunsthaus zu sehen ist.

Interview mit Katharina Ammann

«Es gibt eine Neubesinnung auf die lokale Verankerung»

Das Aargauer Kunsthaus zeigt eine gross angelegte Schau mit Werken aus der eigenen Sammlung. Wir haben mit der Direktorin Katharina Ammann darüber gesprochen, wie das Museum Kunst sammelt, wo es an seine Grenzen stösst und wie die Zukunft des Kunstsammelns aussehen könnte.

Von Mathias Balzer

Aarau, 17.05.2022

9 min

Mathias Balzer: Katharina Ammann, warum präsentieren Sie gerade jetzt eine grosse Schau mit Werken aus der Sammlung?

Katharina Ammann: Abgesehen davon, dass es für mich persönlich sehr spannend ist, diese grosse Sammlung aus über 20’000 Werken kennenzulernen, war es seit meinem Antritt vor gut zwei Jahren klar, dass wir verstärkt mit unserer Sammlung arbeiten müssen. Natürlich wurde dies in der Vergangenheit auch gemacht. Aber ich bin überzeugt, dass wir einen Zeitenwandel durchmachen. Auch die Kunstwelt ist mit der Frage konfrontiert, wie nachhaltig sie ist. Anstatt hauptsächlich Wechselausstellungen mit Leihgaben aus der ganzen Welt zu machen, können wir uns vermehrt auf den Reichtum der eigenen Bestände konzentrieren.

Ist das ein Statement gegen die Internationalisierung des Kunstbetriebs?

Nicht unbedingt. Heute ist die Kunst der Gegenwart global ausgerichtet. Das ist auch richtig so. Aber es gibt eine Neubesinnung darauf, was uns eigentlich ausmacht, was unsere lokale Verankerung ist. Das bedeutet nicht, dass sich die Kunst einigelt und den Blick auf die globale Gegenwart verliert.

Trotzdem: Das Aargauer Kunsthaus wurde auch schon als «Louvre der Schweizer Kunst» betitelt. Gibt es nicht gewisse Alleinstellungsmerkmale der Schweizer Kunst?

Wir sprechen mittlerweile sehr bewusst von «Kunst aus der Schweiz» und nicht von «Schweizer Kunst». Es gab einmal die Zeiten, wo das Schweizerische eine Identitäts-Klammer bildete, beispielsweise als in den Siebzigerjahren von einer neuen Schweizer Innerlichkeit gesprochen wurde. Oder etwas später, mit Blick auf Fischli/Weiss und Roman Signer, ein «Schweizer Humor» ausgemacht wurde. Das waren kunsthistorische Zuweisungen. Ich glaube, die heutigen Künstler:innen sind da schon wieder an einem ganz anderen Punkt. Genau diese Entwicklungen versuchen wir in unserer Sammlung zu spiegeln.

Katharina Ammann, Direktorin des Aargauer Kunsthauses, spricht im FRIDA-Magazin über das Sammeln von Kunst aus der Schweiz.

Katharina Ammann

Katharina Ammann leitet das Aargauer Kunsthaus seit Sommer 2020. Sie lebt mit ihrem Partner in Zürich. Die 49-Jährige ist in Romanshorn geboren, als Tochter des Künstlers Max Ammann. Sie studierte Kunstgeschichte und Englische Literatur in Genf und Oxford. Danach arbeitete sie drei Jahre als wissenschaftliche Assistentin am Kunstmuseum Solothurn. Von 2008 bis 2015 war sie Konservatorin am Bündner Kunstmuseum und hat dort die Sammlung zur Bündner Video-Kunst aufgebaut. Danach wechselte sie als Abteilungsleiterin Kunstgeschichte und Mitglied der Institutsleitung ans Schweizerische Institut für Kunstgeschichte in Zürich.

Die herausragende Bedeutung des Aargauer Kunsthauses als Ort für Kunst aus der Schweiz erzeugt auch Druck. Viele Sammler:innen und Künstler:innen möchten gerne Teil dieser einzigartigen Sammlung werden. Was gibt es denn für Kriterien, nach denen Werke aufgenommen werden?

Natürlich ist es ein grosses Privileg für uns, dass wir als Referenzort für Kunst aus der Schweiz wahrgenommen werden. Wir sind jedoch kein Nationalarchiv, dass alle möglichen Nachlässe aufnehmen kann. Den Anspruch auf Vollständigkeit können wir nicht leisten. Einerseits bieten wir durch unsere Ausstellungen aktueller Kunst eine Plattform und haben dabei auch immer im Blick, dass diese neuen Werke Teil der Sammlung werden könnten. Andererseits erhält die Sammlungskommission viele Angebote. Da stellen sich dann unterschiedliche Fragen: Schliesst das angebotene Werk eine Lücke im bereits vorhandenen Bestand? Ergänzt es Werkgruppen bereits gesammelter Künstler:innen? Handelt es sich um eine sinnvolle, anschlussfähige Ergänzung? Oder, wenn es sich um eine neue Künstler:in handelt: Passt das Werk in die Sammlung? Ist es wirklich dasjenige Werk, das wir von dieser Künstler:in haben wollen?

Die aktuelle Sonderausstellung mit Werken der Sammlung erstreckt sich über alle drei Stockwerke – und doch sehen wir nur ein Prozent der insgesamt 20’000 Werke im Lager. Ist das nicht auch frustrierend? Für die Künstler:innen und für Euch?

Frustrierend ist hier sicher das falsche Wort. Im Gegenteil, der Reichtum der Sammlung ist ungeheuer inspirierend. Wir zeigen die Sammlung ja nicht in einer permanenten, starren Präsentation, sondern immer wieder in neuen Konstellationen. Für die Künstler:innen bleibt so gewährleistet, dass Ihre Werke auch irgendwann wieder gezeigt werden. Unsere Sammlung zwingt uns eigentlich zu dieser Haltung. Zudem haben wir den Vorteil, dass wir nicht permanent irgendwelche Meisterwerke zeigen müssen, die mit dem Haus identifiziert werden.

Das Problem von Sammlungen ist ja, dass sie permanent wachsen. Die Museen müssen laufend Erweiterungsbauten realisieren, um der Menge gerecht zu werden. Angesichts der wachsenden Kunstproduktion ist das in Zukunft doch eine kaum lösbare Aufgabe. Irgendwann wird die Menge nicht mehr handhabbar.

Handhabbar bleibt das schon, wenn beim Personal und bei der Infrastruktur aufgerüstet wird. Letztendlich stellt sich da die Frage, wie weit Gesellschaft und Politik diese Entwicklung mittragen wollen. Wir im Kunsthaus versuchen der Flut entgegenzuwirken, indem wir restriktiver sammeln, als das auch schon gemacht wurde. Aber Sie haben recht: Fülle und Überfülle sind ein grosses Thema, auch im Bereich der Daten. Überall stellt sich die Frage, was aufbewahrt werden soll und was nicht. Einen kurzen Moment dachte man, die Digitalisierung löse dieses Problem, was natürlich überhaupt nicht zutrifft. Aber trotzdem: Es ist ja auch keine Option zu sagen, wir hören mit dem Sammeln auf. Wir würden damit ja aufhören, unsere kulturelle Geschichte abzubilden. Und genau dies ist ja unsere Funktion als öffentliche Institution.

Urs Fischers Installation «The Intelligence of Flowers» in der aktuellen Ausstellung im Aargauer Kunsthaus.

Urs Fischers Installation «The Intelligence of Flowers» in der aktuellen Ausstellung im Aargauer Kunsthaus.

Sie sprechen die Digitalisierung an. In der Ausstellung setzen sie auch auf ein Augmented-Reality-Angebot. Liegt die Zukunft der Kunstsammlungen darin, dass sie von zuhause aus virtuell besucht werden können?

Ich halte es für absolut zentral, dass wir alle technischen Möglichkeiten zur Vermittlung der Sammlung nutzen. Der virtuelle Museumsbesuch ist da ein möglicher Zugang. Obwohl ich überzeugt bin, dass er die reale, räumliche Begegnung mit Kunst nicht ersetzen kann. Aber der Zugang über erweiterte Technologien kann eben auch sehr lustvoll sein, was das Experimentieren mit unserer Augmented-Reality-App gerade eben zeigt. Und ich bin auch überzeugt, dass wir unsere Datenbanken vermehrt öffentlich zugänglich machen müssen. Wir sind aufgefordert, mehr Möglichkeiten der Teilhabe zu schaffen. Wir bieten auch bereits einen DIY Raum an, in dem mit unserer Online Sammlung eigene Ausstellungen kuratiert werden können – über Projektionen auf die Wände. Und wir arbeiten an 3-D-Applikationen, die auch von zuhause aus genutzt werden können.

Andererseits investieren die Museen sehr viel darin, die Schwellenängste abzubauen und sich als multifunktionale Aufenthaltsorte zu präsentieren. Wie sieht Ihr Wunsch-Museum in zehn Jahren aus?

Es geht darum, dass wir durch verschiedene Angebote unterschiedliche Zugänge zur Kunst bieten, auch wenn uns bewusst ist, dass wir nie ein Museum für alle Anspruchsgruppen sein können. Aber die Bestrebungen laufen dahin, dass der elitäre Nimbus der Kunsthäuser verschwindet. Das bedeutet, dass wir uns auch für Bedürfnisse öffnen, die von aussen an uns herangetragen werden. Und dass wir zuhören. Ich masse mir ja nicht an zu wissen, was eine 25-Jährige von einem Museum erwartet.

Aber sie könnte Ihnen schreiben…

… Alle dürfen mir schreiben. Aber wenn wir das ernst nehmen, beispielsweise Angebote für 25-Jährige zu schaffen, dann löst das bei uns ganz neue Projekte aus.

Und was wäre die Strategie für 25-Jährige?

Ich glaube, das funktioniert vor allem Peer-to-Peer, also durch Angebote, die Gleichaltrige für Gleichaltrige entwickeln. Aber natürlich kann man das nicht gleichzeitig für alle Zielgruppen realisieren, wenn man es sorgfältig und nachhaltig machen will.

Letzte Frage: Sammelt die Museumsleiterin auch Kunst?

(Lacht) Ich habe Kunst zuhause, selbstverständlich. Das sind -abgesehen von den Werken meines Vaters – Arbeiten, hinter denen sehr persönliche Beziehungen stehen. Also Erlebnisse und Zusammenarbeiten mit unterschiedlichsten Künstler:innen. Ich würde das aber nie als Sammlung bezeichnen, die mit einem Konzept verbunden ist. Es sind mehr persönliche Erinnerungen.

Valérie Favre (*1959). Selbstmord (Suicide), 2003-2013 Öl auf Leinwand, je 24 x 18 cm Aargauer Kunsthaus, Aarau Foto- ullmann.photography

Davor – Darin – Danach. Die Sammlung im Wandel

Die Sammlung des Aargauer Kunsthauses zählt bereits 20’000 Werke. Die Kuratorinnen Simona Ciuccio und Katrin Weilenmann haben aus den Beständen seit 1960 eine überaus sehenswerte Schau zusammengestellt, die sich in drei Kapiteln über alle drei Stockwerke des Museums ausbreitet. Die Kuratorinnen verzichten dabei auf Chronologie und kombinieren ältere und neue Werke, Malerei Installation und Videokunst auf anregende und erhellende Weise. Neue Schenkungen aus der Sammlung Ringier mit Werken von Silvie Fleury, Urs Fischer oder Fischli/Weiss zeigen, dass das Aargauer Kunsthaus immer noch die Top-Adresse für Gegenwartskunst aus der Schweiz ist. Werkreihen wie Valérie Favres «Selbstmord» oder Christian Marclays spektakulärer Video-Raum «Surround Sounds» beweisen, dass die Aargauer Sammlungskommission schon in der Vergangenheit ein gutes Gespür für Meisterwerke hatte. (mb)

Davor – Darin – Danach. Die Sammlung im Wandel
Bis 7. August 2022. Aargauer Kunsthaus