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Der Schweizer Künstler Dieter Roth hat aus Zeitungen Kunstwürste gemacht. Fragt sich, was die Zeitungen in Zukunft mit der Kunst machen.

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Kulturjournalismus

Der Patient liegt im Sterben – es lebe der Patient

Der Kulturjournalismus ist in der Krise, aber es gibt Reaktionen darauf – und viele Fragen. Etwa die, ob der Patient durch staatliche Förderung reanimiert werden soll. Oder ob er durch Innovation und Neudefinition eine Wiedergeburt erleben könnte.

Von Mathias Balzer

Chur/Basel, 11.10.2023

7 min

In der Diagnose sind sich die Mehrheit der Ärzt:innen einig: der Kulturjournalismus der privaten Medienhäuser leidet an massivem Substanz-Schwund. Auch über den Grund der Krise ist man sich einig: die niederen Klickzahlen im Online-Bereich und die durch marktwirtschaftliche Kriterien geprägte Reaktion darauf.

Die Art der Behandlung des Patienten ist jedoch umstritten. Die einen setzen auf die Heilungskräfte des Marktes. Die anderen sind überzeugt, dass der Patient nur mit der altbewährten Medizin der staatlichen Förderung überleben wird, Generika in Form von Stiftungsgeldern eingeschlossen. In beiden Fällen bräuchte es aber eine starke Vitaminkur in Form von Innovation.

In unserer Interview-Serie mit den Parteipräsident:innen der Schweiz haben wir unter anderem diese Frage gestellt: «Im aktuellen Entwurf zur Kulturbotschaft des Bundes ist nicht von der Förderung des «Kulturjournalismus» die Rede; allerdings von der «Berücksichtigung von neuen digitalen und hybriden Formaten der Produktion, Verbreitung und Vermittlung». Würden Sie eine explizite Aufnahme des Kulturjournalismus in die Kulturbotschaft begrüssen?

Marco Chiesa, Präsident der SVP, hat als einziger nicht an der Interview-Serie teilgenommen. Die Antworten der anderen Parteipräsident:innen zeichnen ein leichtes Plus für die staatliche Förderung des Kulturjournalismus. Hier Auszüge aus den Statements:

Mattea Meyer und Cédric Wermuth (SP): «Selbstverständlich. Viele Zeitung haben die Kultur in den letzten zwanzig Jahren totgespart. Wer vom aktiven kulturellen Leben überzeugt ist, kämpft auch für einen vielfältigen Kulturjournalismus.»

Jürg Grossen (GLP): «Wir begegnen dem Abbau der Medienqualität in der Schweiz mit Sorge. Die Aufnahme des Kulturjournalismus in die Kulturbotschaft wäre eine elegante Möglichkeit, die Herausforderungen der Kulturszene von verschiedenen Richtungen anzugehen.»

Balthasar Glättli (Grüne): «Ja. Kulturschaffende brauchen auch kompetente Einordnung und Kritik. Zu diesem Dialog und zur Vernetzung zwischen Zivilgesellschaft und Kulturwelt leistet der Kulturjournalismus einen unerlässlichen Beitrag.»

Thierry Burkart (FDP): «Ich unterstütze, dass der Bund zur Umsetzung der Kulturpolitik in den Jahren 2025–2028 mit der neuen Kulturbotschaft Finanzmittel in der Höhe von insgesamt 1001,9 Millionen Franken vorsieht. Dies entspricht einem Wachstum von durchschnittlich real 0,2 Prozent im Vergleich zum Voranschlag 2024.» Was eigentlich keine Antwort auf unsere Frage ist. (Anm. der Red.)

Gerhard Pfister (Die Mitte): «Man erweist weder dem Journalismus noch der Kultur, einen guten Dienst, wenn die staatliche Förderung nicht fokussiert bleibt. Es gibt Medienförderung und Kulturförderung. Wird das vermischt, besteht das Risiko, dass beide Bereiche nicht mehr, sondern weniger Geld erhalten.»

Das Manifest der 1200

Die abgeschlossene Vernehmlassung zur Kulturbotschaft ist derzeit in Bearbeitung beim Bundesamt für Kultur. Eine gewichtige und interessante Stimme hat dazu der Verein ch-interkultur erhoben. Sein Manifest «Der Kulturjournalismus gehört in die Kulturbotschaft»  wurde 1200 Mal unterzeichnet, auch vom hier Schreibenden.

Darin wird die prekäre Situation des Kulturjournalismus beschrieben und gefordert: «Wir appellieren an den Bundesrat, ans Parlament, an die Kultur- und Publikumsorganisationen und nicht zuletzt an die Medien: Die Förderung der kritischen Rückmeldung bedarf griffiger Massnahmen. Der Kulturjournalismus gehört in die Kulturbotschaft.»

Man darf gespannt sein, ob der Forderung stattgegeben wird. Staatliche Medienförderung hat es seit der Ablehnung des «Massnahmenpakets zur Förderung der Medien» durch die Stimmbevölkerung im vergangenen Februar schwer.

Dass explizit für den Kulturjournalismus eine Ausnahme gemacht wird, wäre eine Überraschung.

Und wem die Förderung zugute käme, wäre dann die Frage. Den Kulturredaktionen der privaten Medienhäuser? Oder nur Fachmagazinen wie dem unsrigen, dem «Kunstbulletin» oder der Zeitschrift «Du»?

Sicher Ist: Staatliche Förderung würde neue Impulse setzen und das Überleben bestehender Angebote erleichtern. Es sind aber bereits auch neue Projekte in der Pipeline.

Eine alte Idee mit neuen Mitteln

Der oben genannte Verein ch-interkultur ist aus dem «Schweizerischen Feuilletondienst» entstanden. Dieser belieferte seit 1939 über die SDA Schweizer Medien kostenlos mit kulturjournalistischen Texten. 2020 wurde der vom Bund und einzelnen Kantonen subventionierte Betrieb jedoch eingestellt; unter anderem, weil das Angebot von den Medienhäusern immer weniger genutzt wurde. Denn im Zuge der Digitalisierung lautet dort die Devise: Was zu wenige Klicks generiert, wird nicht produziert.

CH-Interkultur wird von Ulrich E. Gut präsidiert, Jurist, ehemaliger Zürcher FDP-Kantonsrat und ehemaliger Chefredaktor der »Zürichsee-Zeitung». Eine der treibenden Kräfte hinter dem Verein ist der Autor und Literaturnetzwerker Beat Mazenauer. Er hat im Auftrag des Vereins bereits 2021 das Konzept zu «Kultur online» verfasst, ein «Modell für eine lebendige Kulturberichterstattung in der mehrsprachigen Schweiz». Darin wird (Zitat) die «alte Idee einer Kulturagentur mit neuen Mitteln» reanimiert.

Entstehen soll eine als kooperatives Modell angelegte mehrsprachige Agentur mit Sitz in der Deutschschweiz und der Romandie, die über eine zentrale Redaktion verfügt und mit lokalen, regionalen und spartenspezifischen Medien zusammenarbeitet. Ein Kulturpool, der kulturjournalistische Inhalte über die vom Medienunternehmer Hansi Voigt gegründete Plattform wepublish.ch verschiedenen Online-Medien wie «Bajour», «Tsüri» oder «Hauptstadt» zur Verfügung stellt.

Kern des Angebots soll ein «lebendiger, moderner Webjournalismus sein, der nicht hauptsächlich die Mehrung von Klicks zum Ziel hat». Das klassische Format der Kulturkritik soll durch soziale Medien, experimentelle Formate, Video, Podcast und Live-Veranstaltungen erweitert werden, die in einem eigens geschaffenen «Labor» entwickelt und erprobt werden.

So will ch-interkultur ein «Dach für Kulturjournalismus» bilden und diesen nachhaltig sichern und stärken. Als mögliche Partner für die Finanzierung werden Kulturstiftungen und -verbände und Urheberechtsgesellschaften genannt – und falls der Kulturjournalismus wirklich in die neue Kulturbotschaft des Bundes aufgenommen wird – auch staatliche Förderung. 2024 soll das gross angelegte Projekt in einer Pilotphase mit einem Kultur-Newsletter online gehen.

Überforderung durch Überangebot

Es tut sich also was zur Rettung der Patienten Kulturberichterstattung, -kritik und -vermittlung. Das breit und kooperativ angelegte Projekt von ch-interkultur könnte ein wichtiger Baustein sein.

Unsere Erfahrung nach eineinhalb Jahren FRIDA zeigt jedoch auch, dass das Problem kulturjournalistischen Substanzverlustes nicht nur von der Angebotsseite her gedacht werden sollte. Eine der häufigsten Rückmeldungen unserer Abonnent:innen ist: «Toll, was ihr macht – aber mir fehlt meistens die Zeit, Eure Beiträge zu lesen oder zu hören».

Sind die Menschen also übersättigt und überfordert von der medialen Flut – zu der eben auch die Sozialen Medien, alle Newsletter und Newsticker, Streamingangebote und das gute alte Buch gehören? Die Antwort lautet ja.

Kommt hinzu: Auch das Kulturangebot ist in den letzten Jahren zur fröhlichen Unübersichtlichkeit angewachsen, wie meine Kollegin Helena Krauser jüngst in ihrem Kommentar ausgeführt hat: «Die Unverbindlichkeit und Überforderung des Publikums kollidieren mit dem Überangebot der Kulturschaffenden, dabei entsteht ein für alle sehr schmerzhaftes Vakuum.»

Da könnte der neue Kulturjournalismus natürlich Einordnung und Orientierung bieten – falls diese beim Publikum denn auch wirklich gefragt ist.

Journalismus als Kunst

Denn der Grund für die Krise des Kulturjournalismus sind eben geringe Klickzahlen im Online-Bereich – also ein zu geringes Interesse. Da ist der als «böse» gescholtene Markt eben doch ein wichtiger Indikator.

Klar ist aber auch: Die Auseinandersetzung mit den Themen unserer Kultur ist essenziell für eine aufgeklärte Gesellschaft. Sie ist ein notwendiges Lebensmittel wie Milch und Rüebli – und die werden ja auch subventioniert.

Es könnte sich aber auch abzeichnen, dass Kulturvermittlung in Zukunft verstärkt Wege geht, die mit klassischem Journalismus und seinen Massstäben wenig zu tun haben. Jeder Kulturanbieter, der es sich leisten kann, entwickelt mittlerweile eigene Vermittlungsformate bis hin zum Web-Magazin – oft sehr gut gemacht.

An einer Podiumsdiskussion am Schweizer Theatertreffen 2023 in Fribourg sagte der junge Publizist Maxime Barras, Gründer der Kulturplattform «Etat des Choses», für ihn sei guter Kulturjournalismus eine Kunstform.

Das Statement löste bei Menschen mit einem klassischen Journalismusverständnis ernstes Stirnrunzeln aus – verständlicherweise. Menschen mit einem erweiterten Kunstbegriff hatten damit jedoch keine Mühe.

Für alle, die den Kulturjournalismus fördern wollen, ergibt sich eine interessante Frage: Gehört eine solche Förderung in den Bereich Kultur oder den Bereich Medien?