Die Autorinnen und Autoren der 288 Seiten schweren, reich bebilderten Publikation präsentieren die Fragestellungen und Erkenntnisse der Klimawanderung in 46 Kapiteln. Reportage, Interview, Kolumne, Statement und Essay wechseln sich wohlportioniert ab. Die Leser:innen finden Konkretes wie beispielsweise die Klimafahrpläne von 17 Kleinstädten zwischen Chur und Yverdon. Sie begegnen aber vor allem prägnanten Köpfen, die das Netto-Null-Ziel auf unterschiedlichste Weise angehen.
Architekt Gion A. Caminada verknüpft in Valendas klimavernünftiges Bauen mit achtsamer, sozialer Lebensweise. Der Grosstouristiker Reto Gurtner versucht in Laax den Massentourismus neu zu denken. Die Bündner Bäuerinnen und Bauern schliessen sich unter Federführung der Genossenschaft Maschinenring zusammen und entwickeln gemeinsam mit der ETH eine klimavernünftige Landwirtschaft. Die St. Galler Firma Senn entwickelt mit Ökonomen und Bauleuten das Bauen der Zukunft. In Zürich besucht das Klimawandervolk den Klimapavillon, in Bern die Velostadt, in Solothurn mit der Kreisförsterin den Wald, in Langenbruck das Ökozentrum, oder in Olten trifft es auf das Architektur-Kollektiv Countdown 2030.
Die Realpolitik schlägt zurück
Noch während des Fussmarsches entlang dieser Klimaschutz-Perlenkette hat die Schweizer Realpolitik die Spurensucher:innen eingeholt. Am Sonntag, 21. Juni 2021, lehnt das Stimmvolk das CO2-Gesetz ab. Ein herber Dämpfer für alle hoffnungsvollen Streiter:innen in Sachen Klimaschutz. Ein Dämpfer auch, der klar macht, dass der politische Kampf noch lange nicht vorbei ist. Klimaspuren verhehlt denn auch nicht, dass diese Feldforschung durchaus aktivistische Züge hat. In Zürich lesen die Wandernden den Grossbanken die Leviten. Im Aargauer Jura bringen sie Klimaktivistinnen und -aktivisten mit Vertretern der Zementindustrie ins Streitgespräch. In einem Statement erklärt Rosemarie Wydler-Wälti, warum die Klima-Seniorinnen in Strassburg vor dem Gerichtshof Geschichte schreiben wollen.
Es ist die Stärke dieser Publikation, dass sie das Abstrakte anschaulich macht, Lösungsansätze aufzeigt, ohne rosarot zu malen. Das Buch beinhaltet auch melancholische, wenn nicht resignative Stimmen. Etwa wenn Peter Zumthor schreibt, als Architekt könne er gar nicht so viel ausrichten. Oder wenn Johanna Brandstetter und Christian Reuter, Forschende an der Fachhochschule OST, eingestehen, dass uns immer noch die Erzählungen fehlen für eine wirklich alternative Entwicklung unserer Gesellschaft. Es wäre die Erzählung vom glücklichen Leben und Arbeiten, fern des Wachtumszwangs. Ein Lied, das bereits Legionen von Naturschutz-Pionier:innen gesungen haben. Unter ihnen auch der heilige Benedikt in seinen Ordensregeln. Auch sie werden im Buch zitiert: «Gemäss dem eigenen, von Gott zugemessenen Mass zu leben lernen, nicht im Übermass besitzen, essen, ruhen, arbeiten, reden.» Gerade dieser Ausflug ins Spirituelle zeigt, wie weit wir noch entfernt sind von einem mentalen System-Change, der die psychologischen Anreize des Massenkonsums durch eine freiwillige Selbstbescheidung ersetzen würde.
Die Klimapolitikerin Anja Kollmuss sagt, das Wichtigste sei, sich politisch zu engagieren. Was für sie bedeutet, die richtigen Organisationen zu unterstützen, aber vor allem auch vor den eigenen Füssen zu fegen. Angesichts der nahenden Ferien hiesse das: Wandern statt Kreuzfahren und Fliegen!