«Es braucht Innovation und Anpassung, auf Knopfdruck umstellen geht nicht. »
Claudio Müller vom Maschinenring Graubünden ist der Kopf hinter den «Klimabauern». Was er sich von dem Projekt erhofft und wie sich die Landwirtschaft für die Zukunft aufstellen muss, erklärt er im Gespräch mit «FRIDA».
Interview: David Sieber
Herr Müller, «die Klimabauern» tönt ein wenig wie eine Aktion des Bündner Tourismus, der auf Nachhaltigkeit setzt, weil es gerade angesagt ist. Was steckt wirklich hinter diesem Etikett?
Claudio Müller: Eine ernsthafte Absicht. Es gibt drei Gründe, die zu diesem Projekt geführt haben. Da wäre zum einen die direkte Betroffenheit der Bauern, die zu wenig Wasser und zu wenig Futter für ihre Tiere haben …
… da gibt es auch Bauern, wie SVP-Nationalrat Marcel Dettling, selber Landwirt, der es gerne warm hat und sich über eine sehr gute Ernte freut …
… natürlich gibt es auch Gewinner. Man kann früher wimmeln, zum Beispiel. Und man kann zum Teil Pflanzen anbauen, die in unseren Breitengraden bisher nicht gediehen. Aber unter dem Strich gibt es deutlich mehr Verlierer. Die Kirschessigfliege breitet sich aus und der Maikäfer stösst in neue Regionen vor. Aber nicht nur die Landwirtschaft ist vom Klimawandel betroffen, sondern die ganze Gesellschaft und die ganze Wirtschaft. Deshalb hat das Thema international, national und kantonal so stark an Bedeutung gewonnen – die sich abzeichnende Energiekrise hin oder her.
Netto-Null lautet das Ziel. Die Frage ist bloss, bis wann es erreicht werden soll und kann. 2040? 2050? Was denken Sie, ist möglich?
Das kann ich nicht sagen. Aber klar ist, dass auch die Landwirtschaft ihren Beitrag leisten muss, sonst ist das Ziel nicht zu erreichen. Egal auf wann es terminiert ist. Für mich lautet die Frage:
Warten wir auf politische Entscheide oder suchen wir selbst nach Lösungen? Mit den Klimabauern geben wir die Antwort.
Und der dritte Punkt: Ein wachsender Teil der Bevölkerung macht sich Gedanken darüber, wie ihre Nahrungsmittel produziert werden. Zudem nimmt die vegetarische und vegane Ernährung zu. Da muss sich gerade der «Fleischkanton» Graubünden überlegen, ob er auch andere Wege gehen soll.
Ist das Projekt nicht einfach eine Flucht nach vorn, weil die Landwirtschaft ja als Klimakiller dargestellt wird?
Unbedingt. Ja. Die Bauernfamilien werden, ob zu Recht oder Unrecht, oft in diese Ecke gestellt. Das ist belastend. Auch das hat dazu geführt, dass wir uns zusammengesetzt haben, um nach praktisch umsetzbaren Lösungen zu suchen.
Die Ernährung macht 28 Prozent des ökologischen Fussabdrucks aus. Daran ändern ein paar Bündner Bergbauern auch nicht viel.
Es ist schon so, wir werden das Klima nicht retten mit unserem Projekt. Das ist uns allen bewusst. Sich mit dem Thema recht- oder zumindest frühzeitig auseinanderzusetzen, ist dennoch wichtig. Denn die Herausforderung ist riesig, diese ganzen komplexen biologischen und chemischen Zusammenhänge zu verstehen. Und diese dann so anzupassen, dass sie klimafreundlicher werden. Gleichzeitig ist es eine sehr motivierende und inspirierende Arbeit. Das spürt man besonders auf den Pilotbetrieben, wo ein ganz anderes Bewusstsein entstanden ist, nachdem man jahrelang in die Ecke der Klimasünder gestellt worden ist.
Bei aller Bewunderung für das vor zwei Jahren gestartete Projekt. Rechtzeitig kommt es längst nicht mehr. Da hätte man in den Siebzigerjahren beginnen müssen.
Absolut. Das ist uns klar. Aber noch länger zuwarten, ist auch keine Option.
Warum war es eigentlich der Maschinenring, der dieses Projekt angestossen hat?
Wir sind eine unabhängige Selbsthilfeorganisation, die den Bauernfamilien gehört und seit 13 Jahren existiert. Und anders als der Name sagt, geht es längst nicht mehr nur um gemeinsam genutzte Maschinen. Wir bieten viele weitere Dienstleistungen, unter anderem vermitteln wir auch Personal. Mir als Geschäftsführer war es schon immer ein Anliegen, die Nase im Wind zu haben und zusammen mit den Bauernfamilien zu schauen, wo der Schuh drückt und welche Lösungen möglich sind.
Es stellte sich vor sieben Jahren, als wir eine Umfrage durchführten, heraus, dass das Klimaproblem ganz oben auf der Liste stand.
In der Folge haben wir ein Projekt erarbeitet und wollten eigentlich damit auf Bundesebene reüssieren. Vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) kam ein «Njet». Wir sagten, das kann ja nicht sein. Der Zeitgeist wollte es aber, dass in Graubünden der «Aktionsplan Greendeal» Fahrt aufnahm, das passte dann gut und so bekamen wir Unterstützung. Auch die Branchenorganisationen zogen von Anfang an mit.
52 Betriebe sind in dieser Pilotphase mit dabei. Gibt es bereits Ausbaupläne?
Unser Projekt ist auf zehn Jahre angelegt, unterteilt in zwei Phasen. Die ersten fünf Jahre dienen dazu, selbst Erfahrungen zu sammeln, zu schauen, ob in der Praxis funktioniert, was wir in der Theorie ausgedacht haben. Deshalb ist die Anzahl Betriebe beschränkt, denn diese werden von uns und der Wissenschaft eng begleitet. Gestützt auf die gewonnenen Erkenntnisse, gehen wir in die Expansionsphase. Wir suchen dann weitere Betriebe im Kanton. Und vor allem müssen wir dann schauen, das Programme, Verordnungen bis hin zu Gesetzen angepasst werden, um den nötigen Multiplikatoreneffekt zu erreichen.
Aber alles innerhalb der Bündner Grenzen?
Wir spüren das wachsende Interesse aus anderen Kantonen. Es kommen wöchentlich Anfragen. Selbst im Ausland ist man auf das Projekt aufmerksam geworden. Die Zeit ist wirklich reif. Selbst beim Bund.
Hat der denn jetzt reagiert?
Jein. Wir haben mittlerweile alle wichtigen Forschungsanstalten an Bord. Bei Agroscop konnten wir sogar eine Stelle schaffen, die je zur Hälfte von uns und vom Bund finanziert wird. Diese Person hat die Aufgabe, die Schnittstellen zwischen der Wissenschaft und unserem Projekt herzustellen. Insofern ist der Bund nun involviert und schaut auch genau hin, was da abgeht.
Wie sind die Reaktionen von Konsumentenseite?
Kommunikation ist wichtiger Teil unseres Projekts und wird sicherlich noch ausgebaut.
Denn Netto-Null in der Landwirtschaft ist nur möglich, wenn die Konsumentinnen und Konsumenten mitziehen.
Um den Dialog anzukurbeln, haben wir letztes Jahr erstmals einen Klimagipfel durchgeführt. Am 22. Oktober findet übrigens der nächste statt. (siehe Kasten am Ende des Textes)
Ist nicht das Problem, dass Sie so «nur» Leute erreichen, die nicht nur über das nötige Bewusstsein, sondern auch das entsprechende Portemonnaie verfügen? Ernährt werden müssen aber sehr viel mehr Menschen.
Das Problem ist, dass die konventionelle Intensivlandwirtschaft Kosten verursacht, die nicht eingepreist werden. Also alle Externalitäten, wie zu viel CO2 in der Luft und zu viele Nährstoffe im Wasser, spiegeln sich in den Preisen der Billigprodukte nicht wieder. Das ist paradox. Weiter kommt dazu, dass der Fleischkonsum in der westlichen Hemisphäre viel zu hoch ist. Wenn sich die ganze Welt so ernähren will, reichen die heutigen Ackerflächen bei Weitem nicht.
Ist das die Chance der Klimabauern, dass sie Produkte anbieten können, die Fleisch vergessen machen.
Nicht nur der Klimabauern. Ich hab grad einen Text eines Landwirtschaftshistorikers gelesen, in dem er mit dem Mythos vom Grasland Schweiz aufräumt. Auch in den Bergen gab es nicht nur Wiesen und Weiden und Rindvieh, sondern wurde auch relativ viel Ackerbau betrieben. Das Potenzial ist also in einem Bergkanton vorhanden, mehr pflanzliche Produkte herzustellen. Man hat das nur ein bisschen vergessen.
Zwei der drei von uns besuchten Betriebe gehen ja schon in diese Richtung. Einer macht Braugerste, der andere Speisegerste. Man sieht aber auch, dass der Aufwand beträchtlich ist.
Es braucht Innovation und Anpassung, auf Knopfdruck umstellen geht nicht. Aber genau deshalb sind diese Betriebe dabei. Sie sind offen für Neues, offen für Pionierarbeit, sind neugierig und innovativ. Es hatte junge Bäuerinnen und gestandene Bauern mit dabei und Bio- und IP-Betriebe, verteilt über den ganzen Kanton.
Was gibt Ihnen Hoffnung, dass das Berggebiet bewohnbar bleibt?
Die Lösungen, die auf diesen Betrieben erarbeitet werden, stimmen zuversichtlich. Wenn man sieht, wie man den Boden beleben kann, sodass er nicht nur mehr Ertrag abwirft, sondern auch Treibhausgase bindet und resilienter gegen Trockenheit wird, dann ist das schon eindrücklich und gibt Hoffnung.
Es fällt auf, dass einige Klimabauernbetriebe über sehr grosse Flächen Wiesland verfügen und darauf relativ wenige Tiere halten. Ist das die Zukunft? Eine möglichst extensive Landwirtschaft?
Im Berggebiet je nachdem, ja. Aber das primäre Ziel der Landwirtschaft ist ja nicht der Klimaschutz, sondern die Ernährung der Bevölkerung. Auch Biobetriebe müssen effizienter und produktiver werden. Die Challenge ist, dies ohne chemische Hilfsmittel, Zukauf von Futter und möglichst bodenschonend zu machen.
Neben der Verbesserung der Bodenqualität, was ist ein weiterer Pflock, der eingeschlagen werden muss, um Netto-Null zu erreichen?
Mit Abstand am meisten Treibhausgase entstehen bei der Haltung von Wiederkäuern. Also muss der Tierbestand runter. Aus meiner Sicht sollte die Tierhaltung nicht in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung stehen. Sprich, keine Ackerfrüchte als Futtermittel. Aktuell werden in der Schweiz über 50 Prozent des angebauten Getreides den Tieren verfuttert. Das ist ein Unsinn. Die Wiederkäuerhaltung hat absolut ihre Berechtigung überall dort, wo nur Gras wächst. Zumal deren Mist sehr viel zur Bodenfruchtbarkeit beiträgt.
Ist eigentlich ein eigenes Label für die Produkte der Klimabauern geplant?
Die gemeinsame Vermarktung ist für die zweite Phase angedacht. Diese Produkte, diese Leistung soll ja auch in Wert gesetzt werden, sonst kann das Projekt längerfristig nicht funktionieren. Wir hoffen unter anderem auf Firmen, die unsere Produkte abnehmen und zum Beispiel in den Kantinen verwerten. Das wäre gelebter regionaler Klimaschutz und viel effizienter als sich mit CO2-Zertifikaten freizukaufen.