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Die amerikanische Künstlerin Joan Jonas in ihrem Video «Moving Off the Land II», Videostill aufgenommen im Kunsthaus Baselland.

Bild: Mathias Balzer

Kunst und Natur

Joan Jonas: Die Grande Dame der amerikanischen Kunst spricht mit dem Ozean

Letzte Woche schaute halb Europa die Verfilmung des Romans «Der Schwarm». Wie der Mensch jenseits von Blockbuster-Dramatik mit dem Meer und seinen Tieren in Kontakt treten kann, das ist derzeit am Kunsthaus Baselland zu erfahren. Die 86-jährige amerikanische Künstlerin Joan Jonas zeigt dort eine kluge und berührende Annäherung an die Natur der Ozeane.

Von Mathias Balzer

Basel, 10.03.2023

11 min

Das Kunsthaus Baselland präsentiert derzeit (unter anderem) die Ausstellung «Nature. Sound. Memory». Fünf Künstlerinnen aus diversen Generationen erhalten Platz für raumgreifende Video- und Klanginstallationen, die sich den Themen Natur, Klang, Erinnerung und Teilhabe auf unterschiedlichste Weise annähern.

All diese Arbeiten sind für sich einen Besuch wert (siehe Kasten). Dem Schreibenden ist jedoch passiert, dass er über eine Stunde in einem der Räume die Zeit vergass – und danach erstmal am Ufer der Birs, dem Bach neben dem Kunsthaus, Luft holen und die Gedanken schweifen lassen musste.

Joan Jonas ist eine prägende Figur der amerikanischen Kunstszene. Eine Pionierin der Videoperformance, die Techniken des Films und des Theaters in die Kunst übergeführt und zahlreiche nachfolgende Künstler:innen beeinflusst hat. Durch ihren präzisen Umgang mit Raum, Zeit und Struktur gelingen ihr immer wieder Werke von hochpoetischer Energie.

Jonas war seit Harald Szeemanns legendärer Documenta 1972 mehrmals in Kassel vertreten, bespielte 2015 den amerikanischen Pavillon an der Biennale Venedig und zeigte vergangenen September bis Februar im Haus der Kunst in München eine grosse Retrospektive.

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Joan Jonas – mit Pudel. Bild: Enrico Fiorese

Die heute 86-jährige Künstlerin setzt sich seit den Nullerjahren intensiv mit den Themen Natur und Klimawandel auseinander und rückt in ihren Werken nichtmenschliche Lebensformen und Ökosysteme ins Zentrum. Das Kunsthaus Baselland zitiert Jonas mit der Aussage: «Der Ozean hat uns für lange Zeit so viel gegeben. Nun liegt es an uns, etwas zurückzugeben.»

Wie sie selbst versucht, sich dem Ozean anzunähern, zeigt Joan Jonas im hintersten Raum der Gruppenausstellung. Es lohnt sich hier mehr als bloss die obligaten fünf Minuten zu verbringen und es sich auf einem der Sitzsäcke bequem zu machen. Es hängen farbige Zeichnungen an der Wand, deren Herkunft sich in den Videos entschlüsselt. Auf zwei grossen Screens laufen zwei Filmcollagen.

Die amerikanische Künstlerin Joan Jonas in ihrem Video «Moving Off the Land II», Videostill aufgenommen im Kunsthaus Baselland.FRIDA Magazin

Die amerikanische Künstlerin Joan Jonas in ihrem Video «Moving Off the Land II», Videostill aufgenommen im Kunsthaus Baselland.

Videostill: Mathias Balzer

Beim realen Besuch darf man sich getrost in diesen quirligen Strudel begeben und sich staunend treiben lassen. Für die Beschreibung des Ganzen wiederum ist es dienlich, zu versuchen, die Struktur dieser vielschichtigen Arbeit zu beschreiben. Zumal die Künstlerin in einem Interview anlässlich der Ausstellung in München selbst gesagt hat: «Ohne Struktur geht gar nichts. Ohne sie kann gar keine Poesie entstehen.»

Der Film im Film

Erste Regel: Joan Coan zeigt nicht nur Filme, sondern sie filmt Menschen, die vor ihren gross projizierten Filmen agieren. Wir sehen also Film im Film.

Es treten auf: Erstens Meeresbewohner und andere Tiere. Wir sehen Oktopusse, Seepferdchen und uns unbekannte Meereswesen, Fischschwärme oder Einzelexemplare in Nahaufnahme. Allen voran ein weisser Beluga-Wal, der seine Schnauze immer wieder an ein Aquariumfenster drückt, was wiederum wirkt, als wolle er in die Kunsthalle Baselland eindringen.

Videostill aus «Moving Off the Land II» von Joan Jonas, aufgenommen im Kunsthaus Baselland (2023) FRIDA Magazin

Videostill aus «Moving Off the Land II» von Joan Jonas, aufgenommen im Kunsthaus Baselland (2023)

Bild: Mathias Balzer

Es sind Szenen wie aus einer Sonntagsnachmittag-Tierdoku, die ob ihrer Schönheit schnell in Kitsch abrutschen könnten. Sie sind aber nur Teil eines viel komplexeren Settings. Denn da erscheinen auch Bilder von Meerjungfrauen. Oder es tippelt wiederholt ein weisser Pudel durchs Bild, mal am Strand, mal auf einer Wiese. Ob er die Meeresbewohner und die Sirenen versteht?

Humor, so die Künstlerin, sei sehr wichtig. Ohne wäre es nicht auszuhalten. Sie sei gegen eine zu düstere Weltsicht, auch wenn klar sei, dass auch wir alle bald baden, respektive untergehen werden.

Videostill aus «Moving Off the Land II» von Joan Jonas, aufgenommen im Kunsthaus Baselland (2023) FRIDA Magazin

Videostill aus «Moving Off the Land II» von Joan Jonas, aufgenommen im Kunsthaus Baselland (2023)

Bild: Mathias Balzer

Zweitens gibt es eine floatende Klangcollage und wissenschaftliche Texte: Neben den Meeresbewohnern sind junge Menschen sehr präsent. Sie stehen, sitzen und bewegen sich vor den oben genannten Videos aus dem Ozean, werden in deren farbig flackerndes Licht getaucht.

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Sie sprechen wissenschaftliche Texte aus der Meeresbiologie, reden über Evolution, beschreiben unsere nahe Verwandschaft zu den Meerestieren, die, seit sie die Ozeane verlassen haben, das Meer in sich tragen.

Es erscheinen auch wissenschaftliche Zeichnungen, beispielsweise der Vergleich eines menschlichen Auges mit dem eines Wals. Sie sind beinah identisch. Wir sehen also mit unseren Augen rätselhafte Wesen an, die dieselben Augen wie wir haben. Und die Wesen schauen zurück.

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Drittens – und vor allem – ist da Joan Jonas, die Performerin: Die 86-jährige Dame erscheint in unterschiedlichsten Kostümen und Funktionen. Mal sehen wir sie unter Wasser tauchend. Mal versucht sie das Filmbild eines Hummers zu umarmen, oder mit einem Seehund Kontakt aufzunehmen. Wir sehen sie malend am Strand, oder als Putzfrau vor einem riesigen Fisch.

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Sie gibt sich als eine Art Schamanin, geht mit einem Gestrüpp auf dem Haupt baden oder wandern und erscheint meist doppelt: Als Filmfigur und wiederum als Figur, die sich selbst zuschaut oder versucht dasselbe zu tun, wie die Frau auf dem Videoscreen. Beispielsweise auf einer Leinwand zu malen, die sie sich vor den Körper hält. Sie tut dies auch vor einem Video eines Oktopus, dessen Tentakel sie malt. Das sind die Bilder, die eingangs erwähnt wurden und in Basel zu sehen sind.

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Wir sehen eine betagte Frau, die auf unterschiedlichste Weise versucht, mit den Wesen aus dem Ozean in Kommunikation zu treten. Einige wenige Male berührt sie wirklich einen Oktopus. Meist aber kommuniziert sie mit den Filmen, den Lichtprojektionen dieser Wesen. Und mit sich selbst als Filmfigur. Das ist tief berührend, weil absurd-grotesk und traurig. Denn der Wunsch mit dem Beluga oder dem Hummer in Kontakt zu treten, bleibt hier offensichtlich ein Wunsch. Was bleibt, ist die Möglichkeit der Kunst: Wir können versuchen, uns ein Bild zu machen, gefilmt oder gemalt.

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Aber glücklicherweise gibt es den weissen Pudel. Und die Jugendlichen, die mit Elan das Wissen über die Natur weitergeben und weiterentwickeln. Und glücklicherweise gibt es eine Künstlerin, die auf so betörende Weise zeigt, dass die viel beschworene Annäherung an die Natur, keine einfache Sache ist, aber das sich der Versuch allemal lohnen könnte. Ganz nach dem Motto: Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie.

 

Monira Al Qadiri Holy Quarter, 2020 20 min. video and glass

«Nature. Sound. Memory»

Die Gruppenausstellung im Kunsthaus Baselland in Muttenz legt den Schwerpunkt auf raumgreifende installative Arbeiten, vornehmlich Videoarbeiten, die sich explizit mit den Themen Natur, Klimawandel, Sound, Erinnerung und Teilhabe auseinandersetzen. Neben Joan Jonas sind vier weitere Künstler:innen in der sehenswerten Ausstellung zu entdecken:

Die kuwaitische Künstlerin Monira Al Qadiri zeigt in einer Videoarbeit das «Holy Quarter», eine unwirtliche Kraterlandschaft im Nahen Osten und thematisiert damit auch den Umgang mit dem Rohstoff Öl.

Die israelische Künstlerin Sigalit Landau verhandelt in ihrem Video die klimatischen Veränderungen im Toten Meer und gleichzeitig die reale und metaphorische Bedeutung von Salz.

Die französische Künstlerin Maya Schweizer beschäftigt sich in ihren beiden Videoarbeiten mit urbanen Räumen und dem damit verbundenen Erinnerungspotential.

Die Schweizer Künstlerin Hannah Weinberger lässt drei Steine aus Graubünden ein veritables «Rock-Conzert» geben.

Alle Arbeiten sind erstmals in der Schweiz zu sehen. Ergänzt wird die Ausstellung durch ein Begleitprogramm unter dem Titel «Soundfields».

«Nature. Sound. Memory». Bis 9. Juli 2023. Kunsthaus Baselland, Muttenz.