Interview mit Benedikt von Peter im FRIDA Magazin

Benedikt von Peter inszeniert am Theater Basel Richard Wagners «Ring» – und lässt den Stoff aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchten.

Bild: Roland Schmid

Interview mit Benedikt von Peter

«Das Totalitäre bei Wagner durchzieht das ganze Werk»

Nach dem Opernhaus Zürich und den Bühnen Bern stemmt nun auch das Theater Basel Richard Wagners Monsterwerk «Der Ring des Nibelungen». Aber wie geht man mit diesem kontaminierten Stoff um? Ein Gespräch mit dem Intendanten Benedikt von Peter, der als Regisseur in den kommenden zwei Wochen gleich zwei Teile herausbringen wird.

Von Dominique Spirgi

Basel, 06.09.2023

7 min

Herr von Peter, von Woody Allen stammt das Bonmot: «Wenn ich Wagner höre, habe ich das starke Bedürfnis, in Polen einzumarschieren.» Können Sie jetzt noch darüber lachen?

Benedikt von Peter: Nein, nicht wirklich, weil es in der Rezeptionsgeschichte ja ein Stück Wahrheit beinhaltet.

Bei Ihnen ist der Name Wagner sicher mit der Musik und mit dem «Ring des Nibelungen» verbunden, den Sie gerade inszenieren. Eine breite Bevölkerung wird eher an die brutalen Kriegsverbrechen der russischen Söldnergruppe Wagner denken. Können Sie das wegstecken, wenn Sie sich künstlerisch mit diesem Werk befassen?

Ganz und gar nicht. Das Totalitäre bei Wagner durchzieht das ganze Werk. Wagners Musik, die Geschichte des «Rings» ist gewalttätig. Seit ich mich mit der Inszenierung beschäftigte, komme ich, weil ich diesen Löwen bändigen muss, nicht vor 4 Uhr morgens ins Bett. Es ist eine Riesenaufgabe, dieses Stück zu inszenieren. Und ich bin nicht derjenige, der mehr oder weniger locker daran vorbeigeht. Wir gehen richtig rein in dieses Ding, das lang ist, das berserkerhaft ist. Das kann richtig unangenehm sein.

Ich muss mein Ensemble antreiben, sich der Fantasie Wagners, die zum Teil ja krank ist, zu stellen.

Sie betonen das Totalitäre in seinem Werk. Aber Wagner schafft doch auch Helden, die allesamt scheitern, die doch auch bewusst nicht als heroische Vorbilder taugen?

Die scheitern nur in einem gewissen Kontext, dann, wenn bei der Götterdämmerung Walhalla in Flammen aufgeht und die Götter darin untergehen. Aber auch dieses Ende der Götter im Martyrium ist Teil einer verqueren Fantasie, etwa wenn die Tochter Brünhilde sich für Vater Wotan verbrennt. Eigentlich wird Wotan da zum Gott. Das Ganze ist eine schreckliche, patriarchale Gewaltgeschichte zulasten einer jungen Generation. Das zu inszenieren, ist nicht sehr angenehm.

benedikt-von-peter

Benedikt von Peter

wurde 1977 in Köln geboren, studierte in Bonn Musikwissenschaft, Germanistik, Jura und Gesang. Danach war er an verschiedenen Häusern Regieassistent und gründete ein freies Theaterkollektiv. Nach einigen Jahren in der Freien Szene inszenierte er an Theatern und Opern in Deutschland und der Schweiz (u. a. Theater Basel, Oper Frankfurt, Staatstheater Hannover, Komische und Deutsche Oper Berlin), von 2012 bis 2016 leitete Benedikt von Peter die Musiktheatersparte des Theaters Bremen. Ausgezeichnet wurde er u. a. mit dem Götz-Friedrich-Preis, dem Theaterpreis «Der Faust» sowie 2014 mit dem Kurt-Hübner-Preis für das Musiktheater-Programm und die eigenen Produktionen am Theater Bremen. Von 2016 bis 2021 ist Benedikt von Peter Intendant des Luzerner Theaters. Seit der Spielzeit 20/21 ist er Intendant und Künstlerischer Leiter der Oper am Theater Basel. (Quelle: Theater Basel)

Warum tun Sie sich so etwas an? War Ihnen das bewusst, bevor Sie sich an diese Riesenkiste machten?

Ja. Ich bin mit Wagner aufgewachsen und habe ein zutiefst ambivalentes Verhältnis zu seinem Werk. Aber es ist ein Werk, das gleichzeitig dramaturgisch und vor allem musikalisch unglaublich gut ist. Da stimmt jeder Satz, jeder Ton, alles passt zusammen, nichts ist willkürlich. Aber es ist halt etwas, das nicht nur gute Gefühle hinterlässt.

Ist es die Ambivalenz, die Sie an Wagner reizt?

Ich bin als Deutscher mit der schrecklichen Rezeptionsgeschichte aufgewachsen. Mein Grossvater hat als Ingenieur für die Nazis gearbeitet. Ich habe diese Wotans kennengelernt. Natürlich hat Wagner nicht alles unreflektiert konstruiert. Er hat Wotan auch als Manipulator angesetzt. Aber es ist eine schwere Aufgabe, nicht über das Herrische hinwegzuspielen. Zum Glück habe ich ein Ensemble, das sich traut, sich dem Ganzen auszusetzen, einen Wotan, der weiss, dass er ein Psychopath sein kann. Und der fähig ist, zwei Stunden 45 Minuten schwerstes musikalisches Material zu bewältigen, ohne dass es ihm die Birne weghaut. Es ist unfassbar viel Text und Musik.

Es gibt Regisseure, die deshalb diesen «Ring» gegen den Strich bürsten …

… ich versuche mit dem Strich zu gehen auf die Gefahr hin, dass es mir schlecht dabei geht. Aber es gibt ja auch Filme und andere Stücke, die von Tyrannen und schrecklichen Vätern erzählen, mit denen man nichts zu tun haben möchte.

In Wagners «Ring» steckt ja auch ein Urtypus der abenteuerlichen Fantasy-Geschichten, denen man gegenwärtig auf allen Streaming-Kanälen begegnet: Geschichten mit bösen Zwergen, Riesen, Kriegerinnen – der berühmte «Walkürenritt» ist ja zum Inbegriff der Schlachtenszene geworden – im Guten wie auch im Schlechten.

Klar, das Ding ist voll mit diesen märchenhaften Fantasy-Elementen. Wenn man zum Beispiel mit der Geschichte von Alberich beginnt, der das Gold stiehlt – was ja eigentlich gar nicht so stimmt, denn er bezahlt dafür mit seiner Lieblosigkeit. Zum bösen Zwerg, über den man eigentlich gar nichts erfährt, gesellen sich Riesen und dergleichen mehr.

In Bern wurde das «Rheingold» als Komödie inszeniert. Geht das?

«Rheingold» ist eine Komödie. Eine schwarze Komödie. Es ist schnell komponiert, mit 14 Personen, die dauernd auf der Bühne sind und extrem viel Text haben, es sind Protagonisten, die Screwball-mässig ständig aufeinander reagieren müssen.

Sie ergänzen Ihren «Ring» mit Nebenproduktionen – unter anderem mit einer Produktion aus der Elfenbeinküste, die Wagners Mythenwelt aus einer postkolonialen Perspektive beleuchten soll, wie Sie schreiben. Das klingt schon fast nach einer Entschuldigung, dass Sie uns den «Ring» zumuten.

In der Zeit der Cancel Culture haben wir uns natürlich gefragt, ob wir den Wagner-Zyklus überhaupt noch und in welchem Kontext wir ihn bringen können.

Wir mussten uns auch mit der problematischen Rezeptionsgeschichte auseinandersetzen. Diese Nebenproduktionen können neue und andere Blickwinkel auf die Machtstrukturen eröffnen, die in Wagners «Ring» offenbart werden.

Sie inszenieren das «Rheingold» und «Die Walküre» parallel. Wie schaffen Sie das?

Es ist sehr extrem. Es gibt ja aber auch Regisseure, die den ganzen Ring in einem Jahr inszeniert haben.

Aber die mussten nebenher nicht auch noch ein Theater leiten?

Es gibt den Stadttheatermodus mit sechs Wochen Probezeit für das eine Stück und wieder sechs Wochen für das nächste – halt mit einem gewissen Abstand, den wir hier nicht haben. Aber es sind zum Teil dieselben Sängerinnen und Sänger, es ist dasselbe Bühnenbild, das gibt auch einen Schwung, der dynamisiert.

Der «Ring» ist sicher ein Moloch, der viel Kapazitäten verschlingt in einem Stadttheater wie Basel. Sie müssen hier doch auch Zuschauerinnen und Zuschauer ansprechen, die Mozart Wagner vorziehen. Sie haben Monteverdi, Bizet und Mozart im Spielplan, aber können diese Opern noch aus dem Schatten des «Rings» hervortreten?

Es ist schon eine ganze Menge, die da zusammenkommt. Aber wir sind ja auch seit vier Jahren dabei, das Ganze vorzubereiten. Und wir haben für den «Ring» extra Gelder gesammelt, sodass wir beim restlichen Opernspielplan und in den anderen Sparten keine Abstriche machen mussten.

Die Schweiz erlebt gegenwärtig einen regelrechten «Ring»-Reigen: Nach dem Zürcher Opernhaus folgten die Bühnen Bern und das Lucerne Festival mit einer konzertanten Aufführung von «Rheingold». Und jetzt noch Basel. Ist das nicht viel zu viel «Ring» für die kleine Schweiz?

Ich weiss es nicht. Alle Bühnen haben für sich geplant, es gibt ja jeweils lange Vorlaufzeiten. Ich wusste, dass Andreas Homoki den «Ring» in Zürich macht. Aber ich kann Ihnen sagen, dass der Basler «Ring» etwas ganz anderes sein wird.

«Der Ring» am Theater Basel

«Das Rheingold» Premiere 9. September

«Rheinklang – Ein Chorritual» Premiere 9. September

«Gold, Glanz und Götter» Premiere 10. September

«Die Walküre» Premiere 16. September

«Der Youpongon-Ring» Premiere 22. September

Das ganze Ringfestival mit Rahmenprogramm finden Sie hier