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Ist erstaunt, dass Theater in Bern teilweise ganz grundsätzlich in Frage gestellt wird, Roger Vontobel, der Theaterdirektor der Bühnen Bern.

Foto: Thomas Rabsch

Interview mit Roger Vontobel

In der Schweiz ist Theater ein Budgetposten

Roger Vontobel ist seit zwei Jahren Schauspieldirektor an den Bühnen Bern. Für den gebürtigen Zürcher, der die meiste Zeit seines Lebens im Ausland verbracht hat, ist das auch eine «Rückkehr an einen unbekannten Ort», an dem es viel zu lernen gibt.

Von Valeria Heintges

Bern, 12.04.2023

11 min

Herr Vontobel, Sie haben 16 Jahre in der Schweiz gelebt, den Rest in Südafrika und vor allem in Deutschland. Ist Ihre Arbeit in Bern auch ein Heimkommen?

Es ist eine Rückkehr an einen unbekannten Ort. Vieles hat sich sehr verändert. Anderes ist – wie die Sprache – tief in mir verwurzelt. Viele Themen kenne ich: Fluch und Segen des Konsenses etwa. Die Fähigkeit, Konflikte austragen zu können oder nicht. Manche Länder, in denen ich gelebt habe, mussten sich neu erfinden, die Schweiz nicht. Das ist ein Thema für mich – neu-erfinden, neu-denken, neugierig sein und staunen, was alles möglich ist. In Bern bin ich neugierig, Fremdes kennenzulernen und zu staunen. Staunen ist das Wichtigste überhaupt. Wenn man nicht mehr staunen kann, wird es fad, man stagniert und wird genügsam.

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Roger Vontobel, 1977 in Zürich geboren, ging im Alter von 16 Jahren mit seinen Eltern nach Südafrika. Nach der Matura studierte er ein Jahr an der ETH, wechselte dann, weil er «komplett falsch abgebogen war», auf Schauspielregie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er führte u. a. Regie am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, an den Münchner Kammerspielen und am Staatsschauspiel Dresden. Sein Dresdner «Don Carlos» wurde mit dem Theaterpreis «Der Faust» ausgezeichnet und zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 2011-2016 war Vontobel Hausregisseur in Bochum, 2016-2021 in Düsseldorf. Seit der Spielzeit 2021/2022 ist er Schauspieldirektor an den Bühnen Bern mit der Möglichkeit, eine Inszenierung im Jahr an einem anderen Haus zu realisieren. Am 13. April hat seine Inszenierung von Bess Wohls «Grand Horizons» (schweizerdeutsche Fassung: Gerhard Meister) mit Heidi Maria Glössner und Stéphane Maeder in den Hauptrollen Premiere.

 

Foto: Thomas Rabsch

Staunen Sie auch über die Theaterstadt Bern?

Bern hat eine Art «gespaltene» Theaterszene, mit dem Stadttheater und einer grossen Freien Szene: Es gibt die Heitere Fahne, das Schlachthaustheater, das Tojo Theater, das Effinger, das Matte Theater und ähnliche. Für eine Stadt dieser Grösse sind das unglaublich viele Orte, an denen Theater stattfindet.

Wir mussten dieses Geflecht auch erstmal kennenlernen, um uns darin positionieren zu können. Vor allem weil wir auch Themen behandeln wollen, die in der Freien Szene stattfinden könnten. Wir wollen breit gefächert unterwegs sein und trotzdem niemandem das Territorium abgraben.

Sie kooperieren nicht wenig.

Ja, wir arbeiten jetzt mit der Heitere Fahne zusammen, mit der Camerata Bern, einem freien Orchester. Mit unseren Ressourcen ziehen wir das zusammen und können es wie in einer Agora zur Verfügung stellen.

Ist das die Aufgabe der Bühnen Bern in diesem Geflecht?

Wir können die Satelliten miteinander vernetzen und müssen immer wieder Verdichtung schaffen, auf vielen Ebenen. Auf der Bühne, thematisch, im Spielplan. Im Stadttheater können, müssen und wollen wir ausserdem die Kunst des Schauspiels hochleben lassen. Hier kann ich auch zeigen, warum ich Theater auf der grossen Bühne so sehr liebe: Weil es so verblüffend ist, wenn 600 Menschen in einem grossen Raum zuschauen, wie ein Mensch ein paar Sätze sagt – und alle begeistert.

Wenn es klappt, sind das Wundermomente.

Einfach grossartig. Klar, es ist auch toll, riesige Spektakel zu veranstalten. Aber mich fasziniert vor allem der eine Moment, in dem Schauspielerinnen und Schauspieler verzaubern, weil sie auf der Bühne etwas wirklich verhandeln. Das können wir als Stadttheater leisten – mit dem Ort, der Architektur, der Konzentration.

Und mit der Möglichkeit, ein Ensemble zu bilden. Es ist auch ein Wunder, wenn neu zusammengewürfelte Menschen plötzlich Synergien entwickeln – natürlich fechten sie auch Grabenkämpfe aus und so, das gehört ja alles dazu. Auch deshalb kann man auf der Bühne das Leben verdichten.

Wie wurden Sie in Bern aufgenommen?

Wir entdecken die Bereitschaft der Menschen, dabei zu sein, den Dialog zu führen. Das macht Spass. Der Anfang war nicht leicht. Auch weil wir 2021/22 gestartet sind, mit den Auswirkungen von Corona. Zudem haben viele Menschen das alte Ensemble sehr geschätzt.

Aber wir wollten einen Neustart und fanden es unabdingbar, frischen Wind hereinzubringen. Einige Schauspieler:innen sind geblieben, aber wir haben viele Neue engagiert. Dagegen gab es Ressentiments. Kennenlernen braucht Zeit, das geht nicht von heute auf morgen. Jetzt, am Ende der zweiten Spielzeit, spüren wir, dass sich Bande zu knüpfen beginnen.

Was unterscheidet das Berner Theater von anderen Theatern, die Sie kennen, von Düsseldorf, Dresden, Bochum?

Es sind andere Historien dahinter, auch gesellschaftlicher Art. Ich kenne natürlich auch viele Schweizer:innen, die das Genre sehr schätzen. Aber gesamtgesellschaftlich ist das Theater in Deutschland oder Österreich viel etablierter.

Die Frage «Wofür leisten wir uns das?» taucht als echte Frage in Bern immer wieder auf.

Manche sehen das Theater als Surplus, als Posten in einem gesamtgesellschaftlichen Budget. Natürlich findet man auch in Düsseldorf, Bochum, Hamburg oder München mal Stücke schlecht, aber man stellt das Theater nicht grundsätzlich in Frage. Es ist ein gesamtgesellschaftlicher Pakt, dass es ein Theater gibt. Daran wird nicht gerüttelt. So empfinde ich das. Das hat mich erstaunt, schliesslich ist die Schweiz sehr wohlhabend.

Sie spüren diesen Kampf?

Ja. Das Thema beschäftigt mich auch wegen der Kürzungen, die dem Haus drohen. Diese Einsparungen, die jetzt beschlossen wurden, werden den Betrieb ändern, strukturell. Es werden Arbeitsplätze verlorengehen, man wird weniger produzieren können.

Wieviel genau müssen Sie einsparen und was genau bedeutet das?

Ab der Saison 2023/2024 wird Bühnen Bern jährlich 470’000 Franken weniger an Subventionen bekommen. Gleichzeitig will und muss aber unser Betrieb erstmals seit rund 30 Jahren Real-Lohnanpassungen in den technischen Gewerken und beim Orchester vornehmen, so dass die Bühnen Bern Einsparungen in Höhe von 1,75 Millionen Franken vornehmen muss.

Daher ist vorgesehen, dass wir ab 2025/2026 im Grossen Haus vom Repertoire- auf einen Stagione-Betrieb umstellen:einzelne Produktionen werden weniger häufig und über eine kürzere Zeit gespielt. Dadurch können Umbauzeiten eingespart werden. Zudem verzichtet jede Sparte auf eine Produktion und das Berner Symphonieorchester auf drei Konzerte pro Saison.

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Der Drache ist ein Beizentheater, bei dem das Publikum das Geschehen hautnah miterlebt.

 

Screenshot Trailer

Gehen Sie mit mobilen Stoffen raus, hin zu den Menschen, um sich in der Stadt und der Region zu vernetzen?

Ja, mobile Produktionen wie «Der Drache» sind eine maximale Einladung; wir wollen das Haus öffnen, transparent und nahbar sein. Deshalb gehen wir raus: an Orte wie Dorfplätze, dass die Menschen uns spielen sehen und kennenlernen.

Hat sich das bewährt?

Viele lieben es, finden das Zeichen und den Effort toll. Es kommt gut an, wenn es stattfindet, aber es ist nicht so leicht, es stattfinden zu lassen. Unsere Idee ist: Wir spielen, wo wir eingeladen werden – und das hat sich noch nicht so herumgesprochen.

Auf Einladung der Gemeinde haben wir jetzt auf dem Dorfplatz Belp gespielt – das war toll, Kinder liefen herum, so hatten wir es uns vorgestellt. Dazu haben wir Vertreter anderer Gemeinden eingeladen, jetzt spricht es sich hoffentlich herum. Aber es dauert. Da muss man dranbleiben.

Sie haben den Spielplan für 2023/24 fertig. Ist er anders geworden als Sie es zu Beginn Ihrer Zeit in Bern gedacht hätten?

Ja und nein. Wir haben gemerkt: An manchen Stellen werden wir verstanden, an anderen nicht. Da verändern wir das Angebot ein bisschen, damit das Publikum besser andocken kann und keiner ausgeschlossen wird.

Können Sie das konkreter ausführen?

Nehmen Sie das Thema Heiterkeit und das Stück «Grand Horizons», das ich gerade inszeniere. Das war eine Broadwaykomödie, für uns hat Gerhard Meister eine schweizerdeutsche Fassung geschrieben.

Die macht richtig Spass, ist ganz direkt, ganz nahbar. Hochdeutsch ist keine Fremdsprache, aber sagen wir: eine fremde Sprache. So redet man nicht zuhause. Und wenn sich an einem Küchentisch ein Ehepaar trennt, beide 80 Jahre alt, dann reden sie miteinander schweizerdeutsch. Und sie heissen nicht Nancy und Bill, sondern Irene und Heinz.

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«Die schwarze Spinne» inszeniert von Armin Petras.

Foto: Florian Spring

Das hätten Sie in der ersten Spielzeit nicht gemacht?

Nein. Danach hätte ich auch nicht gesucht. Wir wollen Themen verhandeln wie Emanzipation, die Möglichkeit, ein Leben zu verändern, ganz egal wann.

Aber wir müssen das nicht schwer und diskursiv tun, sondern indem wir eine Geschichte erzählen, die die Leute mitnimmt.

Das Stück ist gut geschrieben und transportiert viel. Ich lerne bei all dem sehr. Aber deswegen mache ich das ja, weil ich lernen will.

Können Sie andere Spielplanpositionen nennen, mit denen Sie auf Rückmeldungen reagieren?

In der ersten Spielzeit haben wir vier österreichische Autorinnen an das «Sennentuntschi» gesetzt. Das war ein Superprojekt, auch in der Genese richtig super. Es gab gute Kritiken und einige mochten es auch sehr. Aber en gros ist es bei den Menschen nicht gelandet, nicht angekommen. «Die schwarze Spinne» hingegen auf der Grossen Bühne war fast immer ausverkauft, auch weil so viele Schulklassen drin waren.

Armin Petras hat eine spezielle «Schwarze Spinne» gezimmert, direkter, nicht so drumherum. Auch das «Bernbuch» von Vincent O. Carter ist ein Stoff, der hier verwurzelt ist. Wir haben die Community miteinbezogen, mit dem Rapper Z The Freshman. Da kommen sofort ganz andere Leute – auch wenn nur 80 Zuschauer:innen in den Saal passen.

Das Stück ist divers besetzt. Wie weit sind Sie beim Thema Diversity?

Wir gehen so undogmatisch und neugierig wie möglich darauf zu. Diversity ist ein Riesenthema und ein wichtiges dazu. Welchen Perspektiven geben wir eine Bühne? Es gibt viele Identitätsdebatten. Das «Bernbuch» ist ein super Beispiel. Wir haben Geschlechterparität im Ensemble, haben viele Regisseurinnen und Autorinnen. Wir können auch problemlos «Grand Horizons» mit Schweizer Schauspieler:innen besetzen.

Es darf aber nicht exkludierend werden. Denn wenn man zu inklusiv denkt, werden andere plötzlich ausgeschlossen. Es muss Angebote geben, aber auch ein Gegengewicht. Wir haben feministische Themen, aber auch Mathias Spaans Version von Schillers «Die Räuber» über die alten, weissen Männer. Für mich ist die Vielfalt wichtig.

Gleichzeitig tauschen wir mit dem Theater Freiburg und dem Zürcher Theater Winkelwiese Inszenierungen aus, um sie öfter als acht bis zehn Mal zeigen zu können und so auch ökonomisch und ökologisch nachhaltiger zu planen. Aber ich finde es auch nachhaltig, jungen Leuten Schiller näherzubringen.